Die Nilbraut. Georg Ebers

Die Nilbraut - Georg  Ebers


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brennenden Durst nach Rache erhalten geblieben, und das Schicksal hatte ihm gestattet, ihn in einer Weise zu stillen, die seiner friedfertigen Natur am Ende zu gewaltsam erschien.

      Wenn auch nicht durch seine Schuld, so doch unter seiner Mitwirkung, sah er das byzantinische Reich um die reiche Provinz kommen, die der Kaiser seiner Obhut anvertraut hatte, sah er die Griechen und alles, was Melchit hieß, schmählich aus Aegypten vertrieben und — was er freilich gern verhindert hätte! — an vielen Stellen von dem empörten Volke, das den Muslim als Befreier begrüßte, wie tolle Hunde erschlagen werden.

      So war alles Böse, was er den Mördern seiner Kinder, den Quälern und Bedrückern seines Volkes gewünscht hatte, über sie gekommen und seine Rache nur zu vollständig gewesen; aber mitten in der Freude über diese seltene Erfüllung heißer, jahrelanger Wünsche, hatte sein Gewissen die Stimme erhoben, und neue, ihm bis dahin unbekannte Beängstigungen waren über ihn gekommen. Zum Helden oder Reformator fehlte ihm die Stärke der Seele. Zu Großes war durch ihn bewirkt, zu Furchtbares über Tausende verhängt, sein Höchstes, der christliche Glaube, zu schwer durch ihn gefährdet worden, als daß er den Gedanken, es veranlaßt zu haben, hätte ruhig ertragen können. Die Verantwortlichkeit, welche das alles mit sich brachte, erwies sich für seine Schultern zu schwer, und so oft er sich auch wiederholte, daß er die Araber nicht ins Land gerufen und daß es ihm an Macht gebrochen habe, sie abzuwehren, hörte er sich doch von allen Seiten als denjenigen bezeichnen, der ihnen sein Vaterland überliefert, und nun sah er sich überall bedroht, glaubte er denen, die ihm von Meuchelmördern erzählten, welche die Byzantiner gegen ihn ausgesandt hätten. — Aber quälender noch war seine Furcht vor dem Zorn des Himmels gegen ihn, der ein christliches Land den Ungläubigen überantwortet hatte. Das Bewußtsein, zeitlebens ein wohldenkender, gerechter Mann gewesen zu sein, half ihm nicht gegen diese Aengste, und es gab nur ein einziges Mittel, das ihm den gesunkenen Mut hob: die weißen Kügelchen, die ihm längst so unentbehrlich geworden wie Luft und Wasser.

      Der alte, freundliche Bischof Plotinus von Memphis und sein Klerus hatten für alles Vergebung, der Patriarch Benjamin, welcher während seiner Verbannung aus der Wüste auf die Araber wie auf Erlöser aus der Tyrannei der Melchiten hingewiesen, zu dessen Rückberufung und Wiedereinsetzung er das meiste beigetragen und auf dessen Zustimmung er darum gehofft hatte, war ihm im Gegenteil wie einem Verlorenen, ewiger Verdammnis Verfallenen entgegengetreten, und wenn er, der Mukaukas, auch durchschaute, welche Nebengründe den Kirchenfürsten dazu bestimmten, so glaubte er doch, daß Benjamins Hirtenamt ihm die Macht verleihe, jedem Schaf seiner Herde das Himmelsthor zu verschließen.

      Je sicherer er die Araber sich in seiner Heimat festsetzen, je verständiger er sie dort walten, je mehr ägyptische Christen er endlich vom Kreuze zum Halbmonde übertreten sah, desto größer erschien ihm seine Schuld, und als nach Vollendung seines Rächerwerks, das die Griechen »doppelten Verrat« nannten, ihm statt der Strafe Gottes alles zufiel, was die Menschen Glück und Schicksalsgunst nennen, fürchtete der gläubige Mann, dies sei der Sold des Teufels, dem sein schneller Friedensschluß mit den Muslimen so viele Christenseelen in die Arme getrieben.

      Zwei große Erbschaften waren ihm unerwartet zugefallen, seine Schatzgräber in der Totenstadt hatten mehr Gold, Silber und Edelsteine als alle übrigen zusammen aus den alten heidnischen Grüften erbeutet. Der muslimische Chalif und sein Stellvertreter hatten ihn im Amte gelassen und erwiesen ihm Freundschaft und Ehre; die Buleuten Die Ratsherren.

      Der Stadt hatten ihm unter der jauchzenden Zustimmung der gesamten Bürgerschaft den Beinamen des »Gerechten« zuerkannt und seine Güter niemals größere Renten abgeworfen; von der Witwe seines ermordeten ältesten Sohnes erhielt er aus dem Kloster Briefe voller Glückseligkeit über das neue höhere Daseinsziel, das sie gefunden; seine Enkelin, ihre Tochter, war ein Kind, dessen schönes, heiteres Erblühen auch Fremde erfreuen mußte, und die zahlreichen Briefe seines Sohnes aus Konstantinopel hatten ihm bewiesen, daß er in jeder Hinsicht fortschreite und dabei stets der Eltern gedenke; denn von allen Vergnügungen, die er genossen, allen Erfolgen, die er geerntet, war er nicht müde geworden, ihnen aus freiem Antrieb sogleich Mitteilung zu machen.

      Auch in der Fremde hatte er mit Vater und Mutter zusammengelebt, sie als sein Höchstes und Liebstes betrachtet.

      Und Paula! Seine Gattin konnte sich nicht für sie erwärmen, doch er betrachtete ihre Anwesenheit im Hause als eine freundliche Fügung, der er — nicht nur am Brettspiel — viele gute Stunden verdankte.

      Das alles, gewiß, es konnte ein Geschenk des Satans sein, aber war es ein solches, so wollte er, Georg der Mukaukas, dem Bösen nun zeigen, daß er nicht ihm, sondern dem Heiland ergeben sei, auf dessen Gnade er hoffte. Und mit wie innigem Dank gegen den Höchsten war seine Seele für die Heimkehr eines solchen Sohnes erfüllt. Sein ganzes Wesen drängte ihn, dieser Empfindung Ausdruck zu geben, und so waren es Herzensangst und Erkenntlichkeit zugleich, die ihn veranlaßt hatten, so große Summen hinzugeben, um der Kirche Christi ein Geschenk ohnegleichen zu machen. Wie ein Kriegsgefangener, für den das Lösegeld eintrifft, war er sich vorgekommen, indem er das Täfelchen mit der Anweisung dem Kaufherrn überreichte, und als man ihn zur Ruhe brachte und seine Gattin nicht müde ward, ihm für sein frommes Vorhaben zu danken, fühlte er sich heiterer und leichter als seit vielen Jahren.

      Sonst pflegte er Paula, welche über seinem Schlafgemach wohnte, auf und nieder schreiten zu hören; denn sie ging spät zur Ruhe und hing wohl in der nächtigen Stille süßen und schmerzlichen Erinnerungen nach. Wie so vieles hatte ihr ein herbes Schicksal entrissen: Vater, Bruder, die nächsten Verwandten und Freunde, alle zugleich, alle durch die Hand der Muslimen, denen er sein Vaterland fast widerstandslos übergeben.

      »Man hört Paula heute nicht,« sagte er, aufwärts schauend und als fehle ihm etwas. »Die Aermste wird sich nach dem Vorgang von vorhin zeitig niedergelegt haben.«

      »Laß sie,« versetzte Frau Neforis, die sich ungern in ihren freudigen Ergüssen unterbrochen sah, indem sie unwillig die Achseln zuckte. »Wie hat sie sich wieder betragen. Wir haben ja eben viel zu viel über Barmherzigkeit zu hören bekommen, und ich will mich der meinen nicht rühmen, doch ich übe sie gern, und außerdem ist es geradezu meine Pflicht, einer verlassenen Verwandten von Dir alles Gute zu erweisen; aber dies Mädchen! Sie macht mir’s zu schwer, und ich bin doch auch nur ein Mensch! Ich kann nicht froh sein, wenn ich sie sehe; kommt sie ins Zimmer, so ist mir’s, als trete das Unglück selbst über die Schwelle. Und dann! Du hast für dergleichen ja keine Augen, aber Orion macht sich auch mehr mit ihr zu schaffen, als gut ist. Ich wollte, wir hätten sie erst aus dem Hause!«

      »Neforis!« unterbrach sie ihr Gatte mit leisem Vorwurf, und er hätte sie gern schärfer zurechtgewiesen, aber seit er der Sklave des Opiums geworden, gelang es ihm nicht mehr, mocht’ es sich um Kleines oder Großes handeln, ihr kräftig entgegenzutreten.

      Bald lag der Mukaukas in unruhigem Halbschlaf, doch öffnete er dabei häufiger als sonst die Augen. Es fehlte ihm der leise Schritt ihm zu Häupten, an den er seit zwei Jahren gewöhnt war; aber diejenige, welche sonst die erste Hälfte der Nacht dort oben umherging, war nicht, wie er wähnte, zur Ruhe gegangen.

      Wohl hatte sie nach dem Vorgefallenen ihr Zimmer mit glühenden Wangen und brennenden Augen aufgesucht; aber die Sklavinnen, welche des geduldeten, von der Hausfrau scheel angesehenen Gastes wenig achteten, waren ihrem Geheiß, die Laden ihres Gemachs nach Sonnenuntergang zu öffnen, um der kühleren Nachtluft Einlaß zu gewähren, nicht nachgekommen, und nun erfüllte dumpfe, drückende Schwüle das Zimmer. Die hölzernen Laden fühlten sich heiß an und ebenso die linnenen Tücher auf der Wolle des Lagers. Das Wasser in ihrem Kruge und selbst das Handtuch, wonach sie gegriffen, waren warm. Einer Aegypterin wäre das alles nichts Ungewohntes gewesen, die Damascenerin aber hatte jeden Sommer in dem schönen Landhause ihres Vaters auf der Höhe des Libanon in schattiger und doch lichter Kühle zugebracht, und heut wollte ihr die Wärme überall unerträglich erscheinen.

      Draußen war es angenehm; sie hatte es unten empfunden, und so stieß sie, ohne sich lange zu besinnen, die Laden auf, verhüllte sie sich mit einem langen dunklen Kopftuch, schlich sie die steile Treppe hinunter, und dann durch ein Gesindepförtchen, das ihr bekannt war, auf den Hof.

      Dort atmete sie tief auf und streckte die Arme sehnsüchtig aus, als ob es sie fort, fort


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