Die Nilbraut. Georg Ebers
den Nilflügel, in die Räume, wo der Vater schläft, ist der Einbrecher gedrungen? Barmherziger Gott, wenn da wieder ein Ueberfall geplant wird! Rasch, schnell fort, Sebek. Mit Bewaffneten hinüber. Das ganze Haus durchsucht von oben bis unten! Vielleicht greift ihr den Bösewicht — den Rasen hat er zertreten — ihr müßt ihn — er darf nicht entwischen!«
Der Hausmeister eilte hinaus, Paula aber forderte den Obergärtner, welcher ebenfalls herbeigeeilt war, mit hochklopfendem Herzen, und indem ihr Blick wiederum des Jünglings Augen suchte, auf, die Fußspur des Flüchtlings, welche sich noch auf dem nassen Rasen finden müsse, mit dem Schuh zu vergleichen.
Da zuckte Orion wiederum zusammen, und während er sich in das Viridarium begab, versetzte er: »Das ist meine Sache.« Doch schämte er sich vor sich selbst, und es war ihm, als schnüre ihm etwas den Hals zu. Er kam sich vor wie ein ertappter Dieb, ein Betrüger, ein elender Wicht und begann zu begreifen, daß er in der That nicht mehr war, was er gewesen, bevor er den verhängnisvollen Gang in das Tablinum gethan.
Paula schaute ihm tief atmend nach. War er so tief gesunken, den Befund zu fälschen und zu erklären die breite Sohle des Bereiters passe in die Spur seines kleinen, wohlgebauten Fußes? Sie haßte ihn, aber sie hätte doch beten mögen, daß er wenigstens das nicht begehe, und als er zurückkam und verlegen erklärte, er sei seiner Sache nicht gewiß, der Schuh scheine doch nicht recht auf die zertretenen Stellen zu passen, atmete sie erleichtert auf und wandte sich mit dem Arzte, der eben erschienen war, wiederum der Kranken zu.
Bevor Frau Neforis ihr folgte, zog sie Orion an sich und fragte ihn besorgt, was ihm fehle, er sehe so bleich und verstört aus; er aber entgegnete zögernd: »Das Schicksal des armen Mädchens« — und dabei wies er auf die Verwundete — »geht mir doch nahe.«
»Dein weiches Herz! Wie als Knabe!« tröstete die Mutter. Sie hatte seine Augen feucht glänzen sehen, doch diese Thränen galten nicht der Perserin, sondern dem geheimnisvollen Etwas, er wußte es selbst nicht zu bezeichnen, das er in dieser Stunde eingebüßt hatte und dessen Verlust ihm namenlos weh that.
Aber das Gespräch zwischen Mutter und Sohn wurde bald unterbrochen; denn das erste Unglück dieser Nacht hatte seinen Gefolgsmann gefunden:
Die herrliche, von schöner Jugendfrische strotzende Gestalt des treuen persischen Karawanenführers Rustem wurde leblos in die Halle getragen. Ein wütender Jakobit hatte ihn, als er sich mit einer spöttischen Bemerkung in den Glaubensstreit gemischt, überfallen und ihm mit einem Holzscheit eine tiefe, vielleicht tödliche Wunde geschlagen.
Der Arzt wandte ihm sogleich seine Aufmerksamkeit zu, und unter dem murmelnden und flüsternden Menschenhaufen, der sich neugierig oder im Verlangen, sich hilfreich zu erweisen, in den weiten Raum gedrängt hatte, flog jetzt mancher hierhin und dorthin, um den Verordnungen des Heilkünstlers zu folgen.
Sobald dieser die Wunde des Masdakiten besichtigt hatte, rief er barsch: »Ein ägyptischer Schlag; denn er ist von hinten gekommen. Was will all das Gesindel? Hinaus mit jedem, der nicht hieher gehört! Das erste, was wir brauchen, sind Sänften; Du aber, Frau Neforis, weis’ uns zwei Räume an: einen für die arme, liebe Seele dort, und einen andern für diesen herrlichen Burschen, mit dem es übrigens bald vorbei sein wird, wenn kein Wunder geschieht.«
»Im Norden des Viridariums,« versetzte die Hausfrau, »stehen zwei Zimmer zur Verfügung.«
»Nichts da!« rief der Arzt. »Ich brauche Räume mit guter freier Luft, die nach dem Flusse hinaus sehen.«
»Da wären nur die schönen Räume im Fremdenstocke, wo auch meines Gatten Nichte wohnt. Es haben schon manchmal Kranke aus der Familie dort gelegen, aber für so einfache Leute — verstehst Du?«
»Nein, ich bin taub,« entgegnete der Arzt.
»Ich weiß schon,« lächelte Neforis, »aber die Zimmer sind wirklich für vornehme Gäste neu eingerichtet.«
»Vornehmere als solche Todkranke gibt es wohl schwerlich,« unterbrach sie Philippus. »Sie stehen Gott und dem Himmel näher als Du; zu Deinem Vorteile glaub’ ich. Heda, ihr Leute! In den Fremdenstock mit den Kranken!«
Neuntes Kapitel.
»Es ist nicht möglich, möglich, möglich!« rief Orion und sprang von seinem Schreibtische auf. Was er begangen, kam ihm wie ein Unglück vor, nicht wie eine Schuld; wußte er doch selbst kaum, wie er zu alledem gekommen! Ja, es gab Dämonen, böse, tückische Dämonen, und sie hatten ihn zu dieser unsinnigen That gezwungen.
Gestern Abend nach dem Teppichkauf war er der Bitte seiner Mutter gefolgt und hatte die Witwe Susanna nach Hause begleitet. Dort war er mit dem Bruder ihres verstorbenen Gatten, dem reichen Chrysippus aus Alexandria, einem lustigen Lebemann, zusammengetroffen, und als die Rede auf den Teppich und die Absicht des Mukaukas gekommen war, das Kunstwerk mitsamt den herrlichen Juwelen, die es schmückten, der Kirche zu verehren, hatte der alte Herr die Hände zusammengeschlagen, Orions Mißbilligung lebhaft geteilt und lachend gerufen: »Ei was, Du bist der Sohn, und Dir kommt jedenfalls ein Teil von dem Edelsteinregen zu! He, Katharina? Ein Diamantchen und ein Opalchen fällt ja wohl für das irdische Glück des Jungen ab, wenn der Alte für sein himmlisches sorgt. Sei kein Narr! Der Magen der Kirche ist voll genug, und wahrhaftig, Dir gebührt auch ein Bissen!« Dabei war viel edler Wein getrunken worden, und zuletzt hatte der alte Herr, um sich in der kühleren Nachtzeit Bewegung zu machen, Orion nach Hause begleitet. Eine Sänfte folgte ihm, die ihn zurückbringen sollte, und auf dem ganzen Wege hatte er dem Jüngling zugeredet, den Vater zu bewegen, der Kirche doch nicht den ganzen Schatz in den Rachen zu werfen und ihm wenigstens einige Steine für schönere Zwecke zu überlassen. Dabei war viel gelacht worden, und Orion hatte Chrysippus innerlich recht gegeben und an Heliodora, ihre Liebhaberei für schöne, große Edelsteine und an das Andenken, welches er ihr noch schuldete, gedacht. Daß weder Vater noch Mutter der Kirche auch nur einen Stein entziehen und ihr den ganzen Teppich stiften würden, das lag auf der Hand, aber ihm, dem Sohne, gebührte in der That doch wohl etwas von diesem Ueberflusse, und ein schöneres Geschenk an Heliodora als der große Smaragd ließ sich nicht denken. Ja, sie sollte ihn haben; welche Freude mußte er ihr machen! Es kam ihm sogar der Grundgedanke für die Verse in den Sinn, welche er dem Geschenk beigeben wollte.
Den Schlüssel zum Tablinum, wo der Teppich lag, trug er bei sich, und wie er bei seiner Heimkehr die Leute noch am Feuer sitzen sah, schloß er die Vorhausthür ab, und dabei überkam ihn ein widriges Gefühl, das er zum letztenmal empfunden, wie er mit den Brüdern verbotenerweise Obstbäume geplündert. Da wäre er beinahe von dem thörichten Vorhaben zurückgetreten, und wie ihn im Tablinum selbst eine schmähliche innere Angst abermals beschlichen hatte, war er schon zur Umkehr bereit gewesen, doch da hatte er sich wieder an den alten Chrysippus und seine Aufmunterung erinnert. Sich jetzt noch zur Flucht zu wenden, wäre Feigheit gewesen. Den großen Smaragd mußte Heliodora haben, und zwar mit seinen Versen; alles andere mochte der Vater nach seinem Belieben verschenken.
Als er mit dem Messer in der Hand vor dem Teppich niedergekniet war, hatte ihn die widrige Beängstigung von vorhin zum drittenmale überfallen, und wäre ihm der große Smaragd nicht auf den ersten Griff in die Hand gefallen, hätte er den Ballen ganz gewiß wieder geschlossen und unverrichteter Sache das Tablinum verlassen. Doch der böse Dämon war ihm behilflich gewesen, hatte ihm das Juwel gleichsam in die Hand gestoßen und es zwei Messerstichen gelingen lassen, es aus der Fassung zu heben, und wie es ihm in die Hand gerollt war, und er seine edle Schwere gefühlt hatte, war jede Besorgnis von ihm gewichen, und er hatte nur noch mit Vergnügen an das Gelingen dieses prächtigen Streiches gedacht, den er morgen, natürlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit, dem alten Chrysippus mitteilen wollte.
Und wie anders erschien ihm nun beim nüchternen Tageslichte diese übereilte, wahnsinnige That, wie schwer war er jetzt schon dafür bestraft worden, welche Folgen konnte sie noch nach sich ziehen? Sein Haß gegen Paula wuchs mehr und mehr; sie hatte gewiß alles gesehen und scheute nicht zurück — das hatte sie gestern gezeigt — ihn zu verraten. Es war ihm gleichsam der Krieg von ihr erklärt worden, und mit flammenden Augen sagte er sich, daß er nicht zurückweichen werde. Dabei konnte er sich nicht verhehlen, daß er sie nie schöner gesehen als heute früh, da sie ihm