Tausend Und Eine Nacht. Gustav Weil
»Oft weicht der Blinde einer Grube aus, in die der Sehende stürzt. Der Unwissende hütet sich oft vor einem Worte, das den Gelehrtesten ins Verderben stürzt. Der Rechtgläubige hat oft wenig Lebensunterhalt, während der Ruchlose und Ungläubige im Überfluß schwelgt. Was nützt dem Klügsten Geist? Alles dies hat der Allmächtige vorherbestimmt.«
Als er das Blatt vollgeschrieben hatte, überreichte er es der Königin, welche den Inhalt las und zum tiefsten Mitgefühle bewegt ward. Sie wandte sich zu Bahram und sagte: »Verkaufe mir diesen Sklaven.« — »Ich kann ihn nicht verkaufen,« entgegnete dieser; »denn er ist der einzige den ich noch besitze.« — »Du mußt ihn mir aber verkaufen,« sprach sie, »oder mir ihn schenken.« Bahram aber sagte: »Ich kann ihn weder verschenken, noch verkaufen.« Hierüber ward die Königin Murdjane sehr aufgebracht, schrie Bahram an, ergriff Asad beim Arme, und ging mit ihm auf die Zitadelle. Bahram aber ließ sie durch einen Boten sagen: »Verlasse sogleich unsere Stadt, oder ich nehme alles, was du besitzt, und lasse dein Schiff zertrümmern.« Als ihm diese Botschaft zukam, ward er sehr betrübt und sagte: »Das ist keine glückliche Reise.« Er machte dann seine Vorbereitungen bis Nacht und sprach zu seinen Leuten: »Packt eure Effekten zusammen und füllt eure Schläuche, denn bei Anbruch der Nacht wollen wir absegeln.« Soviel, was diese angeht. Die Königin Murdjane aber ging mit Asad ins Schloß und ließ die Fenster öffnen, die aufs Meer gingen; dann befahl sie ihren Sklavinnen, das Essen zu bereiten, und hieß Asad neben sich sitzen. Dann ließ sie Wein auftragen und trank mit ihm und Gott flößte ihr immer mehr Liebe zu ihm ein. Sie sprach ihm so viel zu, bis er mehr getrunken hatte, als er ertragen konnte. Nachdem die Tafel aufgehoben war, wollte Asad sich ein wenig in der frischen Luft erquicken. Er ging zum Saal hinaus und kam in eine Halle, und als er dort eine offene Türe fand, ging er hinein und kam in einen großen Garten, in dem Bäume mit den verschiedenartigsten Früchten standen. Er setzte sich unter einen Baum, ruhte eine Weile aus, stand wieder auf und wandelte im Garten umher. So kam er an den Springbrunnen, der mitten im Garten war, und wusch darin seine Hände und sein Gesicht. Eben wollte er wieder weggehen, da erhob sich eine so angenehme frische Luft, daß er sich wieder auf den Rasen niederlegte und nach einer Weile einschlief. So brach die Nacht an und Bahram rief seinen Leuten zu: »Machet euch fertig, daß wir absegeln!« Sie erwiderten: »Wir wollen nur noch unsere Schläuche füllen.« Sie gingen dann um die Zitadelle herum und überstiegen die Gartenmauer. Dann gingen sie einem Wassergraben nach, bis sie an den Springbrunnen kamen, wo sie Asad im tiefsten Schlafe, gleich einem Toten, liegen fanden. Sie erkannten ihn sogleich und füllten die Schläuche und schleppten Asad mit sich fort, stiegen mit ihm über die Mauer, und brachten ihn Bahram in aller Eile und schrieen: »Kapitän, dein Tamburin schlägt und deine Flöte bläst (d. h. du hast viel Glück). Hier ist dein Gefangener, den die Königin Murdjane dir entrissen hat«, und warfen ihn vor ihn hin. Da hüpfte ihm das Herz in die Brust, und er kam fast von Sinnen vor Freude, und er ließ alle Segel aufspannen und steuerte wieder dem Feuerberge zu.
Die Königin war indessen, als sie eine Weile vergebens die Rückkehr Asads erwartet hatte, aufgestanden, um nach ihm zu sehen und als sie keine Spur von ihm fand, fing sie an, unruhig zu werden. Sie befahl ihren Frauen, ihn mit Lichtern zu suchen. Dann machte sie sich selbst auf, und da sie die Türe des Gartens offen stehen sah, trat sie hinein. Als sie an dem Springbrunnen vorüberging, sah sie einen Pantoffel liegen. Von Asad fanden sie aber keine Spur, obgleich sie die ganze Nacht ihn aufsuchten. Sie fragte nach dem Schiffe Bahrams und erfuhr, daß er im ersten Dritteil der Nacht wieder abgesegelt und sie zweifelte nicht mehr daran, daß er Asad wieder mitgenommen. Dies tat ihr wehe und brachte sie sehr auf. Sie ließ alsbald zehn große Schiffe segelfertig machen und schiffte sich selbst mit ihren bewaffneten Mamelucken und Sklavinnen ein, und sagte dem Kommandanten: »Wenn ihr das Schiff des Magiers einholet, so habt ihr ein schönes Ehrengeschenk und viel Geld zu erwarten; holt ihr‘s aber nicht ein, so lass‘ ich euch alle ohne Ausnahme hinrichten.« Die Schiffleute schrien nun einander Mut zu, und verfolgten das Schiff des Magiers den ganzen Tag, die Nacht und den zweiten ganzen Tag, ohne es zu erblicken. Am dritten Morgen aber sahen sie das Schiff in weiter Ferne, und so gut segelten die Schiffe der Königin, daß sie noch vor Mittag Bahrams Schiff umringt hatten. Bahram hatte eben Asad aufs Verdeck bringen lassen, und ihn so derb geschlagen, daß er vor Schmerzen um Hilfe schrie. Als aber die Schiffe herankamen und das Fahrzeug Bahrams umzingelten, sah dieser seinen Tod vor Augen. Er schrie Asad an: »Wehe dir, du bist schuld an allem meinem Unglück!« Mit diesen Worten faßte er ihn an der Hand und befahl seinen Leuten, ihn ins Meer zu stürzen. Asad aber tauchte unter, kam wieder in die Höhe und arbeitete mit Händen und Füßen, bis eine Welle ihn ans Land trieb, denn der erhabene Gott hatte beschlossen, ihn zu retten. Er stieg ans Land und konnte kaum an seine Rettung glauben. Dann zog er seine Kleider aus, drückte und breitete sie auf einem Felsen aus, setzte sich nackt hin und weinte über die vielen Unglücksfälle, die ihm zugestoßen. Er brachte zehn Tage in einem öden Lande zu und aß von den Kräutern der Erde und trank vom Wasser der Bäche. Endlich kam er an eine Stadt, die er für die Stadt der Magier erkannte, in welcher sein Bruder Amdjad Vezier war. Er freute sich sehr darüber; aber die Nacht überfiel ihn, und die Tore der Stadt waren schon geschlossen. Das Schicksal wollte es, daß Asad wieder umkehren mußte; er ging nach den Gräbern, um dort zu schlafen, fand ein Grabmal ohne Türe, ging hinein und schlief dort bis Mitternacht. Dies geschah mit Asad; was aber Bahram angeht, so fragte ihn die Königin Murdjane, als ihr Schiff das seinige eingeholt hatte, nach Asad, und er schwor ihr, daß er sich nicht bei ihm befinde, auch gar nichts von ihm wisse. Murdjane ließ nun das Schiff durchsuchen, aber man fand ihn nicht. Sie ließ ihn ergreifen und wieder nach der Zitadelle bringen und wollte ihn, um Asad zu rächen, töten, er kaufte sich aber durch seine ganze Habe los, und er wurde mit seinen Sklaven freigelassen. Bahram und seine Leute wanderten zehn Tage, bis sie wieder nach Hause in die Stadt der Magier kamen. Weil das Tor schon geschlossen war, denn es war schon Nacht, sahen sie sich auch genötigt, auf dem Begräbnisplatz ein Grabmal aufzusuchen. Bahram sah auch das Grabmal, das keine Türe hatte, trat ein und fand einen schlafenden Mann, welcher laut schnarchte, und den Kopf auf der Brust liegen hatte. Bahram ging auf ihn zu, hob seinen Kopf in die Höhe und rief, ihn erkennend: »Ha! Ha! Du bist‘s, wegen dessen ich mein Schiff und all mein Gut verloren habe.« Ohne ein weiteres Wort band er ihn und verstopfte ihm den Mund. Als der Morgenstern sich zeigte, und die Tore der Stadt geöffnet wurden, ließ er ihn durch seine Sklaven in sein Haus tragen. Seine Tochter Bostane und seine Sklavin kamen ihm alsbald entgegen, und er erzählte ihnen, was er wegen dieses Gefangenen gelitten und verloren habe, und wie er ihn auf einem Grabmal wieder gefunden und nun hergebracht. Er befahl dann seiner Tochter, ihn wieder in das unterirdische Gemach bringen zu lassen, und ihn zu schlagen und zu peinigen, noch ein Jahr lang, bis zum nächsten, wo er bei dem Besuche des Feuerberges geopfert werden solle. Man trug Asad hinunter, und als er erwachte, fand er sich wieder an demselben Orte, wo er früher gewesen war. Bostane ging auf ihn zu, entkleidete ihn, und schlug ihn. Sein Jammern und seine Tränen machten aber solchen Eindruck auf Bostane, daß sie sich des Mitleids nicht länger erwehren konnte. Ihr Herz wurde erweicht und sie fragte ihn: »Wie heißest du?« Er sagte: »Fragst du mich nach meinem frühem oder nach meinem jetzigen Namen?« Sie versetze: »Hast du denn zwei Namen?« — »Ja«, antwortete er, »einst hieß ich Asad, und jetzt heiße ich Akasch (der Gefallene).« Tränen rollten über seine Wangen. Bostane weinte mit ihm und sagte: »Bei Gott! mein Herz hat Erbarmen mit dir. Halte mich nicht länger für eine Ungläubige, meine Erzieherin hat mich heimlich, ohne Wissen meines Vaters, zum Islamismus bekehrt. Zwar muß ich meinen Glauben noch verbergen, ich bete aber zu Gott, daß er mir alle die schweren Mißhandlungen, die ich dir zugefügt habe, vergebe. So Gott will, werde ich ein Mittel finden, dich aus deinem Gefängnisse zu retten.«
Diese Rede Bostanens gereichte dem Prinzen Asad zu nicht geringem Troste und er dankte dem allmächtigen Gott. Bostane verließ ihn dann und holte einen Becher Wein und gab ihm zu trinken und kochte ihm eine Hühnersuppe und stellte sie ihm vor. So kam sie jeden Tag zu dem Prinzen Asad und brachte ihm Wein, Suppen und Hühner und betete mit ihm.
Eines Tages stand Bostane an der Haustüre, als sie einen öffentlichen Ausrufer etwas verkündigen hörte, und siehe da! Sie erblickte hinter dem Ausrufer den Vezier Amdjad, von vielen Mamelucken umgeben. Der Ausrufer verkündete folgende Bekanntmachung: »Ihr Bewohner dieser Häuser! Der Großvezier, der in eigener Person hier gegenwärtig ist, befiehlt, wenn jemand seinen