Tausend Und Eine Nacht. Gustav Weil
Wohltaten verdoppeln, die du mir erzeigt, und dich reich und unversehrt in dein Land zurückbringen lassen. Nun aber bitte ich dich noch, mir Wasser zu wärmen, damit ich mich wasche und meine Kleider wechsle.« Ich antwortete ihm: »Recht gern!« machte Wasser warm, ging dann mit dem Jüngling in sein Gemach, wusch ihn sauber, zog ihm andere Kleider an, machte ihm ein hohes Lager zurecht und breitete einen Himmel darüber. Der Jüngling kam und legte sich aufs Bett, denn das Bad hatte ihn schläfrig gemacht. Er sprach: »Mein Bruder, zerschneide doch eine Wassermelone und streue ein wenig Zucker darauf.« Ich holte eine schöne, große Melone herbei, legte sie auf eine Schüssel und sagte: »Mein Herr, wo ist das Messer?« Er antwortete mir: »Es ist vielleicht auf dem Gesimse über meinem Kopfe.« Ich machte schnell einen Schritt über ihn und nahm das Messer aus der Scheide, aber als ich wieder zurückschreiten wollte, glitt mein Fuß aus und ich fiel auf den Jüngling mit dem Messer in der Hand, das gerade ihm ins Herz fuhr, so daß er augenblicklich den Geist aufgab. Als ich sah, daß er tot war und ich selbst ihn getötet hatte, fing ich an, heftig zu schreien, schlug mir ins Gesicht, zerriß meine Kleider und sagte: »O, ihr Geschöpfe Gottes! es blieb von den 40 Tagen nur noch dieser einzige übrig, und ich mußte ihn noch mit eigener Hand töten! Gott verzeihe mir! O wäre ich doch vor ihm gestorben! Nichts, als Unglück und Jammer! Mag Gott, was geschehen soll, vollziehen!
Als ich mich von seinem Tod überzeugt hatte, fuhr der Kalender fort, und wohl sah, daß es längst so aufgeschrieben und bestimmt war, ging ich die Treppe hinauf, legte die Platte an ihren Ort und bedeckte sie wieder mit Erde. Ich wandte dann meine Augen gegen das Meer und sah das Schiff zurück zur Insel kommen; ich dachte, nun werden sie hier wieder ans Land steigen, und wenn sie den Jüngling ermordet finden und mich bemerken, werden sie mich, als seinen Mörder, gewiß auch umbringen; daher suchte ich wieder einen Baum aus und verbarg mich in seinem Laube. Kaum war ich oben, so landete schon das Schiff, die Sklaven mit dem Alten, dem Vater des Jünglings, stiegen heraus, gingen zur Höhle, gruben die Erde weg und waren erstaunt, als sie sie so locker fanden. Sie stiegen dann hinunter und fanden den Jüngling schlafend, sein Angesicht glänzte noch vom Bad, er hatte hübsche Kleider an, im Herzen aber steckte das Messer und er war tot. Sie schrien alle, schlugen sich ins Gesicht, weinten, jammerten, wehklagten und stießen die gräßlichsten Reden aus; der Vater lag lange in Ohnmacht, so daß die Sklaven glaubten, er sei auch gestorben. Endlich kam er wieder zu sich, ging mit den Sklaven hinauf, die den Jüngling in seinen Kleidern eingewickelt, nebst allem, was sonst noch in der Höhle war, mitnahmen und aufs Schiff brachten. Als der Alte hier seinen Sohn auf dem Boden ausgestreckt sah, streute er Erde auf sein Haupt und fiel nochmals in Ohnmacht. Da nahm ein Sklave ein seidenes Kissen, legte den Alten darauf hin und setzte sich ihm zu Häupten. Dies geschah unter dem Baum, auf welchem ich verborgen war, ich sah daher alles, was sie taten. Mein Herz ward vor meinen Haaren grau, wegen meines großen Kummers und Unglücks. Der Alte aber, o Gebieterin! konnte bis Sonnenuntergang nicht aus seiner Ohnmacht erwachen.
Ich lebte nun einen Monat lang, fuhr der Kalender fort, auf dieser Insel, streifte bei Tag umher und ging abends in das Gemach. Als ich mich einst so auf der Insel umsah, bemerkte ich, wie gegen Sonnenuntergang das Wasser immer austrocknete und abnahm, und es dauerte kaum einen Monat, da war das Wasser ganz ausgetrocknet; ich freute mich sehr, als ich mich gerettet sah, ich schaffte dann dem Wasser, das noch übrig blieb, einen Ablauf und ging aufs feste Land. Hier sah ich nichts als Sand, so weit mein Auge reichte; ich faßte aber Mut, durchwanderte den Sand und bemerkte endlich in der Ferne ein großes, brennendes Feuer. Ich ging darauf zu, denn ich dachte, gewiß hat doch jemand dieses Feuer angezündet, vielleicht finde ich hier einigen Trost. Dabei sprach ich folgende Verse:
»Vielleicht wird das Schicksal nun seine Zügel anders lenken und mir Gutes bringen, denn die Zeit ist veränderlich; vielleicht wird es meine Hoffnungen begünstigen und meine Wünsche erfüllen. Es werden gewiß nach diesen Umständen andere eintreten.«
Als ich aber dem vermeinten Feuer nahe kam, sah ich, daß es ein mit rotem Kupfer beschlagenes Schloß war, das durch den Glanz der Sonne in der Ferne wie Feuer aussah. Ich war sehr froh darüber und setzte mich. Kaum hatte ich aber Platz genommen, so traten mir zehn reinlich gekleidete Jünglinge entgegen mit einem sehr alten Manne. Allen Jünglingen war ihr rechtes Auge ausgestochen, und ich wunderte mich, so viele Einäugige beisammen zu sehen. Als sie mich erblickten, grüßten sie mich freudig und fragten mich nach meiner Geschichte; ich erzählte ihnen alle Unglücksfälle, die mir widerfahren, und sie waren sehr erstaunt darüber. Sie führten mich dann ins Schloß; dort fand ich zehn Sofas und auf jedem derselben ein blaues Polster mit einer blauen Decke; zwischen diesen größeren Sofas war noch ein ganz kleines, an dem ebenfalls alles blau war. Als wir in diesen Saal traten, setzte sich jeder Jüngling auf ein solches Sofa und der Alte ließ sich auf das kleinere, das in der Mitte stand, nieder. Sie sprachen zu mir: »Junger Mann, setze dich auf den Boden und frage nicht nach unserm halbgeblendeten Gesicht.« Der Alte stand dann auf, reichte jedem besonders sein Essen, sowohl ihnen als mir, und wir aßen davon, dann reichte er auch mir und ihnen Wein, ebenfalls jedem besonders, und wir tranken. Sie fingen dann an, sich zu unterhalten und mich über mein Schicksal auszufragen, und über alle wunderbaren Dinge, die mir begegnet waren. Ich erzählte ihnen vieles davon, bis der größte Teil der Nacht verstrichen war; dann sagten die Jünglinge zu dem Alten: »O Alter! es ist nun Zeit, daß du uns bringst, was unsre Pflicht erfordert, denn es ist schon die Stunde zum Schlafen.« Der Alte ging in ein Nebenzimmer und brachte zehn Schüsseln heraus, jede mit einer blauen Decke zugedeckt; er reichte jedem Jüngling eine; dann zündete er zehn Wachskerzen an und steckte eine auf jede Schüssel; hierauf nahm er den Deckel weg, und siehe da! es war in der Schüssel: Asche, Kohlenstaub und Pfannenruß; sie beschmierten sich die Gesichter damit, zerrissen ihre Kleider, schlugen sich ins Gesicht und auf die Brust und sagten weinend: »Es war uns so wohl, da ließ uns der Übermut keine Ruhe.« So fuhren sie bis gegen Morgen fort. Dann machte ihnen der Alte warmes Wasser; die Jünglinge wuschen sich und zogen andere Kleider an. Als ich sah, o Gebieterin! wie sie ihr Gesicht besudelten, verlor ich beinahe meine Fassung, mein Innerstes ward aufgeregt, ich vergaß alles, was mir begegnet war, und konnte nicht länger schweigen: ich fragte sie daher, was dies bedeute, nachdem wir uns angenehm miteinander unterhalten hatten. Ich sagte zu ihnen: »Ihr seid doch, Dank sei Gott, ganz verständige Leute, aber nur Wahnsinnige tun, was ihr eben getan; ich bitte daher bei allem, was euch teuer ist, sagt mir, was mit euch geschehen, und warum eure Augen ausgestochen wurden und ihr euer Gesicht so mit Asche und Ruß schwärzt.« Sie antworteten: »Junger Mann! laß dich von deiner Jugend nicht verleiten und höre auf, uns auszufragen.« Sie erhoben sich dann und brachten etwas zu essen; wir aßen zwar, aber in meinem Herzen brannte ein unlöschbares Feuer, so sehr war mein Innerstes mit ihrem Benehmen beschäftigt. Nun unterhielten wir uns wieder bis abends, worauf der Alte Wein brachte, den wir bis Mitternacht tranken; dann sagten die Jünglinge zu dem Alten: »Bring uns das, was wir zur Erfüllung unserer Pflicht brauchen!« Er ging nun, und kam nach einer Weile wieder mit den gewöhnlichen Schüsseln, und sie taten dasselbe wie in der vorigen Nacht; nicht anders, weder mehr noch weniger. Kurz, meine Gebieterin! ich blieb einen Monat bei ihnen; sie taten jede Nacht dasselbe und des Morgens wuschen sie sich wieder. Ich erstaunte stets von neuem, und war zuletzt so mißmutig und ungeduldig, daß ich nicht mehr essen und trinken mochte. Ich sagte ihnen dann: »O ihr Jünglinge! wollt ihr meinen Kummer nicht verscheuchen und mir nicht sagen, warum ihr euer Gesicht so beschmiert und dabei sagt: wir waren so glücklich, da ließ uns der Übermut keine Ruhe! so laßt mich von euch wegziehen und zu meiner Familie zurückkehren, damit ich einmal vor diesem so außerordentlichen Anblick Ruhe bekomme; das Sprichwort sagt: Was das Auge nicht sieht, betrübt das Herz nicht; drum ist‘s besser, ich entferne mich von euch.«
Als sie dies hörten, sprachen sie: »O Jüngling! nur aus Mitleid mit dir haben wir dir bisher dies verborgen, denn es möchte dir auch gehen, wie uns.« Als ich aber darauf bestand, alles zu wissen, sagten sie noch einmal: »Folge unserm Rate, frage nicht mehr nach unserm Zustande, sonst wirst du einäugig werden wie wir.« Da ich aber nicht nachgab, sagten sie: »Wenn es dir so geht, wie wir voraussehen, so werden wir dich nicht mehr beherbergen, du darfst dann nicht mehr bei uns wohnen.« Sie gingen hierauf, schlachteten ein Lamm, zogen ihm die Haut ab und sagten mir: »Nimm dieses Messer und lege dich in diese Haut; wir werden dich darein nähen, dann weggehen und dich liegen lassen. Es wird ein Vogel kommen, der Roch heißt, dich zwischen seine Füße nehmen und mit dir gen Himmel fliegen. Nach einer Weile