Tausend Und Eine Nacht. Gustav Weil
Weile kam sie nach ihrer Gewohnheit ans Fenster. Er erblickte sie, fiel ihn Ohnmacht, und als er wieder zu sich kam, ging er im traurigsten Zustande nach Hause. Als er am dritten Tage wieder auf demselben Platze saß, die Frau bemerkte und immer zu ihr hinübersah, lachte sie ihm zu und er erwiderte ihr Lachen; sie verschwand dann und schickte ihm ihre Sklavin mit einem Tuche, worin Stoff zu einem Kleide war. Diese sagte: »Meine Herrin grüßt dich und beschwört dich bei ihrem Leben, ihr aus diesem Tuche ein Kleid zu schneidern und zu nähen.« Mein Bruder sagte: »Ich stehe zu Diensten!« Schnitt sogleich das Kleid und nähte es noch an demselben Tage. Am anderen Morgen früh kam die Sklavin wieder und sagte: »Meine Herrin grüßt dich und läßt dich fragen, wie du die Nacht zugebracht; ihr Herz ist so sehr mit dir beschäftigt, daß sie keinen Schlaf kosten konnte. Sie läßt dir nun auch sagen, du mögest ihr Beinkleider schneiden und nähen, daß sie sie zu ihrem Kleid anziehen könne.« Er sagte: »Ich werde ihrem Befehle gehorchen.« Er schnitt sie sogleich und befleißigte sich sehr, sie bald zu nähen. Nach einer Weile zeigte sich die Dame wieder am Fenster und grüßte ihn, und ließ ihm keine Ruhe, bis er die Beinkleider genäht und sie ihr geschickt hatte. Er ging dann sehr verlegen nach Hause, denn er hatte nichts zu essen. Er ließ sich etwas von einem seiner Nachbarn leihen und kaufte sich zu essen dafür. Als er des Morgens wieder in den Laden kam, so war die Sklavin sogleich wieder da und sagte ihm: »Mein Herr bittet dich, zu ihm zu kommen.« Als er ihren Herrn erwähnen hörte, fürchtete er sich sehr und dachte, er habe schon alles von ihm erfahren; aber die Sklavin sagte ihm: »Fürchte dich nicht, du wirst bei ihm nur Gutes finden, denn meine Gebieterin hat ihn schon mit dir bekannt gemacht.« Er machte sich dann freudig auf, grüßte den Mann und dieser erwiderte den Gruß; dann holte er eine Menge ägyptischer Leinwand und sagte: »Schneide mir Hemden daraus.«
Mein Bruder schnitt zwanzig Hemden und eben so viele Beinkleider aus der Leinwand, und arbeitete in einem fort bis abends, ohne etwas zu genießen; der Mann fragte dann meinen Bruder: »Was begehrst du als deinen Lohn?« Er antwortete: »Zwanzig Dirham Silber.« Der Mann rief sogleich der Sklavin, die Waage zu bringen; da kam aber die Dame, gleichsam zornig gegen meinen Bruder, daß er das Geld nehme. Als mein Bruder dies merkte, sagte er: »Bei Gott, ich nehme jetzt nichts!« Er nahm dann seine Arbeit und ging fort, ohne einen roten Heller zu haben. Er lebte drei Tage mit zwei Laibchen Brot und starb fast vor Hunger; dann kam die Sklavin wieder und frage ihn, was er gemacht habe? Er antwortete: »Es ist alles fertig!« und ging mit ihr zum Gemahl der jungen Dame. Dieser wollte meinem Bruder seinen Lohn geben; aber aus Furcht vor der Dame wollte er nichts annehmen; er ging wieder nach Hause, und konnte vor Hunger die ganze Nacht nicht schlafen. Als er des Morgens wieder in den Laden ging, kam das Mädchen abermals und sagte ihm: »Mein Herr will dich sprechen.« Er ging zu ihm und ward beauftragt, fünf Oberkleider zu machen; mein Bruder nahm den Stoff und ging, im traurigsten Zustand, von Hunger und Schulden geplagt, in den Laden und arbeitete an den Oberkleidern. Dann ging er damit zu dem Mann, der sie gut genäht fand. Als er aber in den Geldbeutel langte und seine Hand nach dem Bruder ausstreckte, gab diesem die Dame hinter ihrem Manne durch Winke zu verstehen, er solle nichts nehmen. Er sagte daher ihrem Manne: »Es hat keine Eile, die Zeit wird mich schon bezahlen«, und ging wieder fort, nach Geld und nach der Dame sich sehnend. Es vereinigten sich fünf Dinge gegen ihn: Liebe, Geldnot, Hunger, Mangel an Kleidern und Müdigkeit; doch verlor mein Bruder den Mut nicht, denn er wußte nicht, daß die Frau ihrem Manne gesagt, er liebe sie, und daß sie sich verabredet hatten, ihn umsonst arbeiten zu lassen. Auch nachdem er alle ihre Arbeit vollendet hatte, paßte sie noch auf, und wenn jemand ihm Lohn geben wollte, hielt sie ihn ab, solchen anzunehmen. Dann verschworen sie sich gegen ihn und verheirateten ihn an eine Sklavin. In der Nacht, da das Beilager stattfinden sollte, sagten sie ihm: »Schlafe diese Nacht in der Mühle, morgen soll die Hochzeit sein.« Er blieb allein in der Mühle, und der Gemahl seiner Geliebten schickte dann den Müller hinter ihn. Dieser kam um Mitternacht zu meinem Bruder und sagte: »Was gibt‘s mit diesem faulen Maultiere, daß es schon wieder stehen bleibt und die Mühle sich nicht dreht, da wir doch so viele Frucht zu mahlen haben?« Er füllte dann den Kasten mit Weizen, ging auf meinen Bruder, mit der Peitsche in der Hand, los, und spannte ihn am Nacken an.
Nachdem mein Bruder angespannt war, schlug der Müller ihn an die Beine, bis er herumlief und das Mehl mahlte; er tat, als wüßte er nichts von meinem Bruder, und so oft er ruhen wollte, schlug ihn der Müller wieder und sagte: »Mir ist, als hättest du zu viel gefressen, du faules Tier!« Als die Morgenröte heranbrach, ging der Müller nach Hause und ließ meinen Bruder gleich einem Toten zurück. Des Morgens kam die Sklavin und sagte zu ihm: »Es tut mir und meiner Herrin leid, daß dir so etwas widerfahren, wir tragen deinen Kummer mit dir.« Er hatte keine Sprache, ihr zu antworten, wegen der vielen Prügel und der Müdigkeit. Als mein Bruder dann nach Hause ging, da kam der Schreiber, der den Ehekontrakt geschrieben, grüßte ihn und sagte: »Gott grüße dich! dies ist ein Aussehen des Vergnügens, der Liebesfreuden und der Umarmung.« Mein Bruder antwortete: »Gott segne keinen Lügner! Bei Gott, ich habe diese Nacht nichts anderes getan, als statt des Maultiers die Mühle gedreht!« und erzählte ihm hierauf seine Geschichte. Der Schreiber antwortete: »Dein Stern trifft nicht mit dem ihrigen zusammen.« Mein Bruder ging sodann wieder in seinen Laden und wartete, bis jemand ihm Arbeit bringe, um etwas zu verdienen. Da kam die Sklavin und sagte: »Meine Gebieterin will dich sprechen.« Er antwortete: »Ich habe nichts mehr mit euch zu tun.« Die Sklavin berichtete dies ihrer Herrin. Auf einmal sah diese mein Bruder am Fenster weinend; sie sagte ihm: »O Freude meiner Augen! was ist dir widerfahren?« Er antwortete nicht. Da fing sie an zu schwören, daß sie an seinem Unglück nicht schuld sei. Als mein Bruder sie wieder so schön und liebenswürdig fand, vergaß er alles, nahm ihre Entschuldigung an und freute sich, sie wieder zu sehen. Nach einigen Tagen kam die Sklavin zu ihm und sagte: »Meine Gebieterin grüßt dich und läßt dir sagen: ihr Mann habe sich vorgenommen, diese Nacht bei einem seiner Freunde zuzubringen; du mögest also kommen, sobald er weggegangen, um bei meiner Herrin zu ruhen.« Ihr Mann hatte sie nämlich gefragt, ob der Schneider nun von ihr gelassen, worauf sie ihm geantwortet: »Ich will ihm noch einen Streich spielen, wodurch er in der ganzen Stadt bekannt werden soll.« Mein Bruder wußte davon nichts. Des Abends kam die Sklavin zu ihm und führte ihn in ihrer Herrin Haus. Als die Dame meinen Bruder sah, hieß sie ihn willkommen und sagte: »Mein Herr! Gott weiß, wie sehr ich dich liebe.«
Mein Bruder sagte ihr: »O meine Dame, gib mir schnell einen Kuß!« Aber ehe er dies gesagt, kam ihr Gemahl aus einem Zimmer heraus und sagte zu ihm: »So weit treibst du‘s? Bei Gott! ich lasse dich nicht gehen, ich führe dich zum Polizeiobersten der Stadt.« Mein Bruder bat ihn lange, aber er gab nicht nach, sondern führte ihn zum Polizeiobersten. Dieser ließ ihm hundert Prügel geben, auf einem Kamel in der Stadt herumführen und vor ihm ausrufen: »Das ist der Lohn und noch der geringste Lohn für den, der einen fremden Harem betritt!« und zuletzt aus der Stadt verweisen. Mein Bruder ging fort und wußte nicht wohin; ich lief ihm nach und brachte ihn wieder zurück.
Der Kalif mußte über meine Erzählung lachen. Er sagte: »O Schweigender! o Wenigredender! du hast schön gehandelt und nichts vernachlässigt.« Er ließ mir dann ein Geschenk geben und entließ mich. Ich sagte aber: »Bei Gott! o Fürst der Gläubigen! ich nehme nichts an, ehe ich dir die Abenteuer meiner übrigen Brüder erzählt habe.«
Geschichte des zweiten Bruders des Barbiers
Was meinen zweiten Bruder, der Bakbak hieß und zahnluckig war, betrifft: Der ging einst eines Geschäfts wegen aus, da kam ihm eine alte Frau entgegen und sagte: »Halt‘ ein wenig, mein Freund, ich habe dir einen Vorschlag zu machen; behagt es dir, so erflehe Gottes Segen dazu! Hast du etwas dagegen, wenn ich dich an einen schönen Ort bringe? Du darfst aber nicht viel reden!« Dann fuhr sie fort: »Was sagst du wohl zu einem schönen Hause, zu einem Garten mit Wasser und Früchten und klarem Wein und einem Gesichte, hübsch wie der Mond, das du küssen darfst?« Als mein Bruder dies hörte, fragte er: »Und dies alles ist auf der Welt?« Sie antwortete: »Ja, und zwar für dich, wenn du klug bist, nichts Überflüssiges redest und hübsch schweigst.« Mein Bruder sagte: »Ganz gut!« und folgte der Alten, sehr begierig nach dem, wovon sie ihm gesagt. Die Alte sagte dann meinem Bruder: »Die Dame, zu der ich gehe, liebt den Gehorsam und verabscheut jeden Widerspruch, handelst du nach ihrem Willen, so wirst du Herr ihres ganzen Besitzes.« Da sagte mein Bruder: »Ich werde ihr in nichts widersprechen.« Er folgte dann der Alten,