Der Schut. Karl May
und richtig, die Wurst war darin mit Ausnahme der Düte. Er teilte die Wurst, aber sehr ungleich; seine Frau bekam den kleinen und er nahm den großen Teil. Von dem Konakdschi befragt, woher er die Wurst habe, erklärte er, sie von einer seiner Handelsfuhren mitgebracht zu haben. Er durfte sie essen, weil er kein Mohammedaner war. Und die beiden aßen denn auch mit größtem Behagen. Halef sah ihnen aufmerksam zu. Er hätte gern eine Bemerkung gemacht, aber er durfte ja nichts sagen.
Aus dem Hause erschallte das immerwährende Aechzen und Wimmern des Mübarek, untermischt mit einzelnen schrillen Angstschreien. Es klang, als ob ein Mensch auf der Folter läge. Seine Verbündeten machten sich nichts daraus. Ich forderte das Weib auf, wieder einmal nach ihm zu sehen und ihm Wasser zu geben; aber eben war der Braten fertig geworden, und so weigerte sie sich, meinem Wunsch nachzukommen. Darum stand ich selbst auf, um es zu tun.
Grad als ich mich erhob, ließ der Kranke ein so entsetzliches Gebrüll hören, daß es mich eiskalt überlief. Ich wollte zu ihm hineineilen, aber da erschien er auch bereits unter der Türe und schrie:
»Hilfe! Hilfe! Es brennt! Ich stehe in Flammen!«
Er stürzte auf uns zu. Die Aufregung des Fiebers spottete der Schwachheit seiner Kräfte. Schon nach einigen Schritten blieb er stehen, stierte das Feuer an und brüllte entsetzt:
»Auch hier Flammen! Ueberall Flammen, hier, da, dort! Und in mir brennt's auch, brennt's, brennt's! Hilfe! Hilfe!«
Er warf den unverletzten Arm in die Luft und fiel dann schwer zu Boden, wo er leise, aber herzbrechend fortwimmerte.
Wir hoben ihn auf, um ihn wieder in die Stube zu tragen, hatten aber Mühe, ihn fassen zu können, denn er hielt uns für böse Geister und wehrte sich verzweifelt gegen uns. Als wir ihn drinnen auf das Lager legten, war er matt geworden und schloß die Augen.
Aber bald begann er von neuem, und zwar so, daß es kaum auszuhalten war. Erst nach langer Zeit wurde es still, und ich ging hinein, um nach ihm zu sehen. Er lag im Finstern; darum brannte ich einen Span an und leuchtete ihm in das Gesicht.
Seine Augen waren groß auf mich gerichtet. Er hatte die Besinnung wieder erhalten und erkannte mich.
»Hund!« zischte er mich an. »Bist du also doch gekommen? Allah verfluche dich!«
»Mübarek,« sagte ich ernst, »denke an deinen Zustand. Bevor die Sonne sich erhebt, stehst du vor dem ewigen Richter. Kannst du deine Sünden zählen? Gehe in dich, und bitte Allah um Gnade und Barmherzigkeit!«
»Teufel! Du bist mein Mörder. Aber ich will nicht sterben; ich will nicht! Dich, dich, dich will ich sterben sehen!«
Ich kniete ganz nahe bei ihm, mit dem Wassertopf in der Hand, aus welchem ich ihn hatte erquicken wollen. Er tat einen schnellen Griff und riß mir das Messer aus dem Gürtel. Ebenso schnell stieß er zu. Er hätte mich in die Brust getroffen, wenn ich den Stoß nicht mit dem tönernen Topf pariert hätte. Im nächsten Augenblick hatte ich ihm das Messer wieder entrissen.
»Mübarek, du bist wirklich ein entsetzlicher Mensch. Noch im letzten Augenblick willst du deine Seele mit einer Bluttat mehr belasten. Wie kannst du — — «
»Schweig!« unterbrach er mich brüllend. »Warum habe ich das Fieber! Warum bin ich so schwach, daß ich mir die Waffe wieder entringen lassen muß! Höre, was ich dir jetzt sagen werde!«
Er richtete sich langsam empor. Seine Augen funkelten wie die eines Panthers. Ich trat unwillkürlich zurück.
»Fürchtest du dich vor mir?« hohnlachte er. »O, es ist auch fürchterlich, mich zum Feind zu haben! . — Allah, Allah, da brennt es schon wieder! Ich sehe das Feuer kommen. Es naht, es naht; es brennt — brennt!«
Er sank nieder und heulte weiter. Sein Bewußtsein schwand, und das Fieber überwältigte ihn abermals. Der Geruch in der Stube war unerträglich. Ich atmete tief auf, als ich mich wieder draußen in der frischen Luft befand, aber nicht allein dieses Geruches wegen.
Wer einen Menschen in dieser Weise hat sterben sehen, der kann das nie vergessen. Noch heute überläuft mich ein Grauen, wenn ich an jenen Abend denke. Was ist der Mensch, der es wagt, sich gegen Gottes Gesetze aufzubäumen? — —
Meine Uhr zeigte jetzt genau die zehnte Stunde. Da der Türke die Stunden von dem Augenblick des Sonnenunterganges zählt, welcher an diesem Tage auf halb acht fiel, so war es nach dortiger Zeitrechnung halb drei Uhr. Wir tränkten die Pferde im Bache und führten sie dann in den Schuppen.
»Herr, wo sollen denn wir bleiben, ich, mein Weib und der Konakdschi?« fragte der Wirt.
»Geht zu den Pferden hinein,« antwortete ich.
»Nein, nein! Du hast doch selbst gesagt, daß der Bär möglicherweise den Schuppen aufsuchen kann. Wir werden uns in die Stube begeben; aber wenn der Bär kommt, so flüchten wir uns unter das Dach und ziehen die Leiter empor. Den Mübarek mag er immer fressen.«
Was der Mann Leiter nannte, war ein Balken, in welchen man Kerben eingeschnitten hatte. Derselbe lehnte in der Stube, über welcher sich eine Lage von losen Stangen befand, von denen die Decke gebildet wurde.
Wir löschten das Feuer aus, und nun hatten die Drei nichts Eiligeres zu tun, als sich in die Stube zu flüchten. Osko und Omar begaben sich in den Schuppen zu den Pferden, nachdem ich ihnen erklärt hatte, wie sie sich verhalten sollten.
Dann brach ich mit Halef auf. Dieser hatte sich vorher sorgfältig überzeugt, daß ihm sein Gewehr nicht versagen werde. Ich nahm nur die Büchse mit; der Stutzen konnte mir einem solchen Bären gegenüber nichts nützen.
»Jetzt sollte der Kerl schon dort sein, wenn wir kommen,« meinte Halef. »Es ist so finster, daß wir ihn erst sehen würden, wenn wir vor ihm ständen.«
»Eben darum dürfen wir jetzt nicht in gerader Linie gehen. Die Luft streicht von hier hinüber, und er müßte uns unbedingt riechen. Wir machen einen Umweg, indem wir einen Bogen schlagen, so daß wir dann so ziemlich aus der entgegengesetzten Richtung kommen.«
Das taten wir. Als wir uns nachher der betreffenden Stelle näherten, geschah das mit der größten Vorsicht, weil der Bär sich nicht nur bereits dort befinden, sondern auch grad von derselben Seite kommen konnte, aus welcher wir uns heranschlichen.
Wir hielten die Gewehre schußbereit und blieben zuweilen stehen, um zu horchen. Wenn er sich bereits bei dem Pferdegeripp befand, so mußte sein Schmatzen und das Krachen der Knochen zu hören sein. Aber es war kein anderer Laut zu vernehmen, als das leise Rauschen der Winde in den Kronen der Bäume.
Endlich waren wir so nahe, daß wir, um eine Ecke blickend, den Kadaver sehen konnten. Es war kein Bär dabei. Nun kletterten wir auf ein großes Felsenstück in der Nähe. Es hatte doppelte Manneshöhe und gewährte uns Schutz gegen einen direkten Angriff des Raubtieres. Der Stein war dicht mit Moos bewachsen und bot eine ganz behagliche Unterlage. Wir legten uns nebeneinander hin und warteten nun — nicht der Dinge, sondern des Dinges, welches da kommen sollte.
»Sihdi,« flüsterte Halef mir zu, »wäre es denn nicht besser, wir hätten uns getrennt?«
»Freilich; wir könnten da den Bären von zwei Seiten nehmen.«
»So wollen wir es doch tun!«
»Nein, denn du unterschätzest die Gefahr, und das ist stets ein Fehler. Dein Selbstvertrauen kann dich leicht verleiten, eine Unvorsichtigkeit zu begehen. Vor allen Dingen verlange ich, daß du nur dann schießest, wenn ich es dir erlaube.«
»So willst du vor mir schießen?«
»Ja, weil meine Kugel das Fell sicher durchdringt, während dies bei der deinigen sehr zweifelhaft ist.«
»Das tut mir sehr leid, Sihdi, denn ich wollte es sein, der ihn erlegt. Welch ein Ruhm kann es für mich sein, wenn ich meiner Hanneh, der herrlichsten der Frauen, erzähle, daß du das Tier getötet hast? Ich will ihr sagen können, daß er durch meine Kugel fiel.«
»Das wirst du vielleicht können, denn es steht zu erwarten, daß eine einzige Kugel nicht genügt. Dringt sie dem Bären nicht sofort ins Leben, so kommt er sicher