Der Schut. Karl May
»Er liegt tot draußen. Wir wollen das ausgelöschte Feuer wieder anzünden.«
Sie folgten uns hinaus, aber sie getrauten sich nicht, zu dem Raubtiere zu treten. Sie wollten, bevor sie es wagten, erst das Feuer wieder anzünden, um zu sehen, ob der Bär auch wirklich tot sei. Halef ging, um Osko und Omar zu holen.
Auch diese beiden konnten kaum Worte finden, ihr Erstaunen über die Größe des Tieres auszudrücken. Petz war von der Schnauze bis zur Schwanzwurzel gewiß zwei Meter lang. Vier Zentner wog er sicher. Drei Männer mußten sich anstrengen, um ihn bis in die Nähe des Feuers zu schleifen.
Unterdessen nahm ich einen brennenden Ast und ging zu dem Mübarek. Halef folgte mir. Der Alte war nicht an seiner Wunde gestorben, obgleich auch diese ihm nur eine kurze Frist gelassen hätte. Sein Kopf lag tief im Genick, und seine Brust war, sozusagen, ein Brei von Fleisch, Blut und zerschlagenen Rippen. Der Bär hatte ihm das Genick zerbrochen und dann die Brust aufgerissen, war aber durch den Schuß Halefs vertrieben worden.
Wir sagten kein Wort und kehrten zum Feuer zurück. Dort meldete Halef, was wir gesehen hatten, und erzählte dann, auf welche Weise der Bär erlegt worden war.
In Anbetracht der Größe des Tieres wollten selbst Osko und Omar es nur schwer glauben, daß ich gewagt hatte, es nur mit dem Messer anzugreifen. Bei den Andern behielt der Eigennutz noch vor dem Staunen die Oberhand. Der Kohlenhändler befühlte den Bären und sagte:
»Er ist außerordentlich fett und wird eine ganze Menge Fleisch liefern. Auch für den Pelz kann man eine gute Summe erhalten. Effendi, wem gehört das Tier?«
»Demjenigen, welcher es erlegt hat.«
»So! Das denke ich nicht.«
»Was denkst du denn?«
»Daß er mir gehört, auf dessen Grund und Boden er erlegt worden ist.«
»Ich vermute aber, daß diese ganze Gegend dem Padischah gehört. Wenn du mir beweisen kannst, daß du ihm dieses Land abgekauft hast, so will ich glauben, daß du der Besitzer bist. Dann aber hast du mir zweitens zu beweisen, daß du ein Recht auf alles Wild und Raubzeug besitzest, welches auf deinem Boden erlegt wird. Als der Bär kam, hast du dich verkrochen; das ist ein sicherer Beweis, daß du ihn nicht haben wolltest. Wir aber haben ihn genommen, folglich gehört er uns.«
»Herr, du denkst falsch. Der Bär gehört nicht dir, er gehört — — «
»Meinem Hadschi Halef,« unterbrach ich ihn. »Wenn du das sagen willst, so hast du recht. Du aber kannst nicht den mindesten Anspruch erheben. Ich habe dir ja sogar die Lockspeise bezahlen müssen. Wenn wir aus ganz besonderer Güte dir einen Teil des Fleisches lassen, so hast du dich dafür zu bedanken.«
»Wie?« fragte Halef. »Mir soll der Bär gehören? Nein, Sihdi, er ist nicht mein, sondern dein. Du bist es ja, der ihn erlegt hat.«
»Ich habe ihm nur den Todesstoß gegeben. Er wäre auch ohne mein Messer verendet, allerdings nicht so schnell. Sieh her! Ganz in der Nähe der beiden Stichwunden siehst du das Loch, welches deine Kugel gebohrt hat. Sie ist ihm ganz nahe am Herzen vorüber gegangen und war absolut tödlich. Darum ist das Tier dein Eigentum.«
»O Effendi, der Eigentümer lebte ja gar nicht mehr, wenn du nicht gekommen wärst, um ihn zu retten! Du willst mir ein Geschenk machen, welches ich nicht annehmen kann.«
»Nun, wir wollen nach altem Jägerrecht verfahren. Du hast das Tier angeschossen, also gehört dir der Pelz. Ich habe es dann erstochen, so gehört mir das Fleisch. Die Tatzen und einen Schinken nehmen wir für uns; das übrige mag Junak erhalten, damit er nicht sagen kann, wir hätten sein Eigentumsrecht gar nicht geachtet.«
»Herr, ist's wahr? Das Fell soll ich erhalten? Das ist ja das allerbeste von dem Bären. Wie wird Hanneh, die geliebteste der Frauen, staunen, wenn ich zu ihr komme und ihr diese Trophäe zeige! Und mein Söhnchen, welches nach dir und mir genannt worden ist, nämlich Kara Ben Nemsi Halef wird schlafen auf diesem Fell des Bären und ein großer berühmter Krieger werden, weil die Stärke des Tieres auf den Knaben übergeht. Ja, ja, das Fell nehme ich an. Wer wird es abziehen?«
»Ich. Wir müssen Gehirn, Fett und Holzasche nehmen, um das Fell einzureiben, damit es geschmeidig bleibe und nicht faule. Dein Pferd wird doppelte Last zu tragen haben.«
Meine Entscheidung fand allgemeine Zustimmung. Der Kohlenhändler brachte einen alten Holztrog herbei, in welchem das Bärenfleisch gepökelt werden sollte, um dann in den Rauch gehängt zu werden. Dieses Pökelgefäß paßte gut zu seinem Besitzer. Wer weiß, was alles sich schon darin befunden hatte! Nie aber war es gereinigt worden. Während ich mich an die Arbeit machte, fragte ich Junak, was mit dem Mübarek geschehen solle.
»Begraben müssen wir ihn,« antwortete er. »Ihr werdet mir wohl dabei helfen. Es muß noch in dieser Nacht geschehen.«
»Die Grube zu fertigen, das ist nicht unsere Sache. Wir haben seine Freundschaft nicht in dem Maße besessen, daß diese Arbeit uns zugemutet werden könnte. Hast du Werkzeuge?«
»Einen Balta und eine Kürek (* Hacke und Schaufel.) habe ich.«
»So können also nur zwei Personen arbeiten. Das magst du mit dem Konakdschi tun, und deine Frau soll euch helfen. Suche dir eine passende Stelle aus. Beim Begräbnis werden wir zugegen sein. Die Feindschaft soll nicht über den Tod hinaus währen.«
»So werden wir ihn dort begraben, wo der Bär das Pferd überfallen hat. Ich mag kein Grab in der Nähe des Hauses haben.«
Er holte die genannten Werkzeuge. Seine Frau und der Konakdschi beluden sich mit Holz und einem Feuerbrand, um bei Beleuchtung zu arbeiten, und dann entfernten sie sich, um dem Toten die Grube zu graben, welche er uns gewünscht hatte.
Nachdem der Bär aus seinem Pelz geschält worden war, steckten wir eine seiner Vordertatzen an den Ast, welcher als Bratspieß diente. Sie war so groß und fett, daß wir vier unsern Hunger ausgiebig daran zu stillen vermochten.
Die Gefährten halfen mir, die Fleischreste von der innern Seite des Pelzes abzuschaben, und dann wurde dieselbe mit dem Gehirn und Fett des Bären und mit Holzasche tüchtig eingerieben, um hierauf so zusammengelegt zu werden, daß der Pelz leicht hinter dem Sattel auf das Pferd gebunden werden konnte.
Als wir damit fertig waren, kamen die Grabmacher und meldeten, die Grube sei fertig. Nun nahmen sie die Leiche auf, und wir folgten ihnen.
Es ist immer eine ernste Sache, an dem Grabe eines Menschen zu stehen. Ob man demselben Gutes oder Böses zu verdanken hat, das ist von keiner Bedeutung gegenüber dem Gedanken, daß er nun vor seinem Richter stehe, dessen Urteil einst auch über uns ergehen wird. Da schwindet der Haß, und es schweigt die Rache. Man denkt an nichts als an das ernsteste Wort aller Erdensprachen: Ewigkeit. Ich wenigstens fühlte jetzt nichts als nur noch Mitleid mit dem Feinde, welcher eines so bösen Todes gestorben und ohne Reue über seine Sünden von hinnen gegangen war. Auch Halef sagte:
»Vergeben wir ihm alles, was er an uns getan hat und noch zu tun beabsichtigte. Ich bin ein gläubiger Sohn des Propheten, und du bist ein gehorsamer Anhänger deines Glaubens. Wir können keinen Toten hassen, sondern wir wollen ihm den letzten Dienst erweisen und an seinem Grabe beten.«
Beim Schein des Feuers sahen wir üppige Farne. Diese schnitten wir, um mit ihnen die Grube auszukleiden. Den Toten senkten wir hinab und deckten ihn auch mit Farnwedeln zu. Dann fragte Halef:
»Wer soll das Gebet sprechen? Du, Sihdi?«
»Nein, ich bin kein Mohammedaner. Seine Freunde mögen sprechen!«
»Wir sind nicht seine Freunde,« erklärte der Konakdschi. »Mir ist es gleich, ob die Sure des Todes an seinem Grab gebetet wird oder nicht. Auch ist es mir sehr gleichgültig, ob derjenige, der sie betet, ein Mohammedaner ist oder ein Christ. Ich aber kann nicht beten. Ich habe kein Geschick dazu und kenne den Kuran nicht auswendig. Dem Junak aber dürft ihr das noch viel weniger zumuten.«
»Nun gut, so werde ich sie beten,« sagte Halef. »Du aber, Sihdi, magst vorher die Fatha beten, die Eröffnung des Kuran, welche jeder Handlung