Der Schut. Karl May

Der Schut - Karl May


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      »Das sagst du nur, um mich zu trösten. Ich weiß aber, daß du ihn schon mit dem ersten Schuß erlegen wirst. Wann hätte ich dich einmal einen Fehlschuß tun sehen!«

      »Ja, fehlen werde ich nicht, aber ich zweifle sehr, daß ich die richtige Stelle treffe. Wir haben von hier aus ein schlechtes Zielen.«

      »Das denke ich nicht. Das Pferd liegt ja kaum fünfzehn Schritte von uns!«

      »Dennoch können wir die Umrisse des Bären nicht deutlich erkennen, weil wir von oben herab gegen den dunkeln Boden blicken. Lägen wir unten am Boden, so würde sich sein Körper besser von der Erde abzeichnen. Wäre ich allein, so länge ich ganz gewiß unten im Gras.«

      »So hast du meinetwegen dich hier herauf gemacht?«

      »Ja, zu deiner Sicherheit.«

      »Oho! Wenn es sein muß, nehme ich diesen Bären beim Schwanz und zwinge ihn, rückwärts mit mir spazieren zu gehen.«

      »Eben diese Dreistigkeit ist es, welche mich beunruhigt. Es könnte leicht kommen, daß der Bär allerdings einen Spaziergang unternimmt, aber mit dem Hadschi Halef Omar im Rachen. Also, schieße ja nicht vor mir! Und nun wollen wir schweigen! Wenn wir sprechen, können wir seine Annäherung nicht bemerken.«

      »Von weitem wirst du ihn überhaupt nicht bemerken können,« meinte Halef. »Raubtiere pflegen leise zu gehen. Ich weiß nicht, ob der Bär die Gewohnheit des Löwen hat, welcher in seiner stolzen Furchtlosigkeit sein Nahen bereits aus weiter Ferne durch lautes Brüllen verkündet.«

      »Was das betrifft, so hat der Bär nicht ein solch aufrichtiges Gemüt. Er verhält sich überaus schweigsam. Nur wenn er sich einmal bei ungeheurer Laune befindet, oder wenn ihn irgend etwas verdrießt, läßt er ein vergnügtes oder mürrisches Brummen hören.«

      »So kann er gar nicht brüllen?«

      »O doch, obgleich seine Stimmwerkzeuge nicht zur Hervorbringung der Töne eines Löwen eingerichtet sind. Wenn er sich in höchster Wut befindet, stößt er auch eine Art von Brüllen aus, welches um so schrecklicher klingt, als es ihm sonst nicht eigen ist. Uebrigens ist grad der stille Grimm, mit welchem ein gereizter Bär sich zu rächen sucht, fürchterlicher, als die Wut anderer Raubtiere. Wollen hoffen, dies heute nicht zu erfahren.«

      Von jetzt an wurde nicht mehr gesprochen. Wir horchten lautlos in die Nacht hinaus. Die Luft rauschte über den Wald dahin. Das klang wie das Rauschen eines entfernten Wasserfalles. Da dieses Geräusch in ganz gleicher Stärke und ununterbrochen währte, so war es sehr leicht, jeden anderen fremdartigen Laut von demselben zu unterscheiden.

      Unsere Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Die Uhr, deren Zeiger ich mit der Fingerspitze befühlte, sagte mir, daß es bereits Mitternacht sei.

      »Er kommt gar nicht,« flüsterte Halef. »Wir haben uns vergebens gefreut. Ich werde wohl niemals — — «

      Er hielt inne, denn er hatte, wie ich, das Geräusch eines rollenden Steines gehört. Wir lauschten angestrengt.

      »Sihdi, da fiel ein Stein herab,« flüsterte der Hadschi. »Aber der Bär ist es nicht, sonst müßten wir doch mehrere Steine fallen hören.«

      »O nein. Das Fallen dieses einen Steins hat ihn vorsichtiger gemacht. Zwar kann es auch irgend ein anderes Tier sein, aber ich glaube doch, daß er es ist. Jedenfalls werde ich ihn riechen, bevor ich ihn sehe.«

      »Ist das möglich?«

      »Für den Geübten allerdings. Wilde Tiere haben einen eigenen, scharfen Geruch an sich. Beim Bären ist derselbe freilich lange nicht so stark, wie beim Löwen, Tiger und Panther, aber bemerken werde ich ihn doch. Horch!«

      Es klang wie das Knacken eines Astes von rechts herüber. Das Tier kam den steilen Abhang der Waldzunge herab. Und jetzt roch ich ihn wirklich. Wer Raubtiere nur im Käfig gesehen hat, dem fiel wohl stets die häßliche Ausdünstung auf, welche sie verbreiten, besonders die großen katzenartigen. Wenn sich das Tier aber in der Freiheit befindet, so ist der Geruch viel, viel stärker. Scharf, stechend, wie der Geruch von Melissengeist oder Opodeldok, fährt er in die empfindliche Nase und ist schon von fern zu bemerken, wohlgemerkt, immer von einem geübten Geruchsorgan. Dieser »wilde« Duft wehte mir jetzt entgegen.

      »Riechst du ihn?« flüsterte ich Halef zu.

      »Nein,« antwortete dieser, indem er sorgsam nach rechts und nach links schnüffelte.

      »Er kommt — ich rieche ihn bereits.«

      »So ist deine Nase seelenvoller als die meinige. Ah, nun soll er einen Gruß bekommen, über welchen er staunen wird.«

      Halef knackte die Hähne seines Gewehres auf.

      »Keine Voreiligkeit!« warnte ich. »Du sollst unbedingt erst nach mir schießen, verstanden! Wenn du nicht gehorchst, wirst du mich ernstlich zornig machen. Du bist imstande, mir das Tier zu vertreiben.«

      Er antwortete nicht, aber ich hörte seinen Atem vernehmbar gehen. Es war um die Ruhe des Hadschi geschehen — das Jagdfieber hatte ihn ergriffen.

      Jetzt vernahmen wir ein leises Brummen, fast so, wie wenn ein Kater schnurrt, und gleich darauf bemerkten wir, daß ein großer, dunkler Gegenstand sich dem Pferdeaas näherte.

      »Ist er das, ist er das?« raunte mir Halef ins Ohr.

      Sein Atem flog.

      »Ja, er ist es.«

      »So schieße! Schieße doch endlich!«

      »Nur Geduld. Du scheinst ja zu zittern?«

      »Ja, Herr, es hat mich ergriffen, so ganz eigenartig. Ich gestehe dir, daß ich zittere, aber nicht aus Angst.«

      »Ich weiß das; ich kenne es.«

      »So schieße doch endlich, schieße, auf daß auch ich dran komme!«

      »Beherrsche dich, Kleiner! Ich schieße nicht eher, als bis er mir ein gutes Ziel bietet. Wir haben Zeit. Der Bär frißt nicht wie der Löwe. Er ist ein Leckermaul und verzehrt sein Mahl in möglichster Behaglichkeit. Er nimmt die Stücke vorweg, welche ihm am delikatesten erscheinen, und schiebt das weniger Schmackhafte zur Seite, um sich erst später darüber her zu machen. Dieser Kerl wird wahrscheinlich stundenlang bei der Tafel bleiben, um sich nicht etwa durch hastig verschluckte Bissen den Magen zu verderben. Dann trollt er links hinüber zum Wasser, um einen tüchtigen Trunk zu tun, und sich erst nachher zu Bett zu begeben.«

      »Aber so stundenlang können wir doch nicht warten!«

      »Das ist auch gar nicht meine Absicht. Ich will nur warten, bis er sich einmal aufrichtet. Er tut das während des Essens gern. Er richtet sich zwischen den einzelnen Gängen auf den Hinterpranken empor und putzt sich mit den Vordertatzen das Maul. Da werden wir ihn deutlicher erkennen, als jetzt. Vorher ist es ganz unmöglich, auf ihn zu schießen. Wir könnten gar keine größere Dummheit begehen, denn du kannst seinen Körper durchaus nicht von demjenigen des Pferdes und von dem dunklen Erdboden unterscheiden.«

      »O doch, o doch! Ich sehe ihn so deutlich, daß ich schießen werde.«

      Er rutschte unruhig hin und her und legte nun gar sein Gewehr an die Wange.

      »Weg mit der Flinte!« raunte ich ihm zornig zu. Er nahm das Gewehr ab, aber er war so erregt, daß er keinen Augenblick ruhig zu liegen vermochte, und er hätte unsere Anwesenheit gewiß dadurch verraten, wenn der Stein nicht dick mit Moos bewachsen gewesen wäre.

      Dem Bären schien sein Mahl sehr gut zu munden. Er schlürfte und schmatzte, wie ein schlecht erzogenes Kind an seiner Suppenschüssel. Freilich sind es nicht immer Kinder, an denen man ein solches rücksichtsloses Betragen zu rügen hat. Man setze sich nur an die Table d'hote eines Gasthofes, so wird man genug solcher Bären schlürfen und schmatzen hören.

      Petz war wirklich ein Feinschmecker. Er zerkrachte zur Abwechslung dann und wann eine Röhre, und wir hörten ihn ganz deutlich das Mark aus derselben ziehen.

      Jetzt trat eine Pause ein. Er brummte behaglich — er schlug die Tatzen in das


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