Onnen Visser. Sophie Worishoffer

Onnen Visser - Sophie  Worishoffer


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Du mußt nicht sprechen, nicht grübeln – schlafe nur, das ist das beste für dich!«

      Onnen verstand kein Wort, er war im Geiste immer auf dem Watt und durchlebte die Schreckensszenen der letzten Nacht. »Uve Mensinga«, flüsterte er, »warum reitest du so schnell? Hu, wie das Pferd fliegt! Läuft uns das Wasser nach? Da ist es, ich sehe den weißen Schaum. Barmherziger Himmel, wo ist mein Vater? – Ich hörte seine Stimme, ich weiß es gewiß. Wo ist er?«

      Dann warf sich der arme Junge angstvoll von einer Seite zur andern. »Vater! Vater!«

      Frau Douwe wurde ohnmächtig; die alte Folke Eils hatte genug zu tun, um ihre beiden Schutzbefohlenen zugleich zu behüten, sie war froh, wenn hie und da eine befreundete Seele erschien, um an der Stätte des Jammers, selbst elend und unglücklich, doch ein Wort des Trostes, des Mitgefühls zu sprechen.

      Am frühen Vormittag war Uve Mensinga erschienen und von ihm hatte Frau Douwe erst erfahren, was auf dem Watt geschah. Sie brach nicht zusammen, die Unglückliche, sie mußte ja leben für ihren Sohn, aber man sah doch, wie sehr sie litt – gleich einem Lauffeuer verbreitete sich die schreckliche Nachricht durch das Dorf.

      Alle Nachbarn kamen und boten stumm oder mit den Worten eines herzlichen ehrlichen Beileids der armen Frau die Hand; auch Heye Wessels Kinder, ein Sohn, eine Tochter, mischten ihre Tränen mit denjenigen ihrer Freunde, die Mutter des von den Franzosen im Boote erschossenen Knaben kam sogar, um still und klagelos die alte Folke Eils in der Pflege der beiden Kranken zu unterstützen.

      Sie trug ein schwarzes Kleid und um den Kopf ein ebensolches Tuch; ihr volles dunkles Haar war seit jener Stunde, als man das tote Kind gefunden, eisgrau, ihr sanftes Gesicht blaß und schmal. Wie eine Klosterfrau, so ruhig und hilfreich, mit vergrämten Augen blickend; saß sie an Onnens Bett und legte wieder und wieder die nassen Tücher um seine fiebernde Stirn.

      Folke Eils wiegte den Kopf, sie seufzte tief. »Das gibt noch ein Unglück, Wieb‘, sollst es sehen – die Männer im Dorfe lassen sich‘s nicht so gutwillig gefallen. Überall drohen geballte Fäuste und finstere Mienen.«

      Die andere nickte. »Es sollen noch mehr Soldaten von Norden herüberkommen«, flüsterte sie. »In allen Häusern muß ihnen Quartier gegeben werden – natürlich, damit keine Unruhen ausbrechen.«

      »Nützt nichts, nützt nichts. Es geht ein Murmeln und Flüstern durchs Dorf – gib acht, Wieb‘, außer dem Blute der Gefangenen fließt noch anderes, noch viel mehr.«

      Wiebke Raß seufzte. »Des Lars Meinders junges Weib hat sich heute morgen mit ihrem Säugling in den Armen dem Präfekten zu Füßen geworfen«, erzählte sie, »aber vergeblich, obwohl der Herr von Jeannesson fast ebenso erschüttert gewesen ist wie sie selbst. Dem Gesetze muß Genüge geleistet werden.«

      »Schrecklich! Schrecklich! – Der gute Kapitän Visser, ein Mann mit einem Herzen, das warm für alle Armen und Elenden schlug, ein braver ehrenwerter Mann!«

      Und sie weinte bitterlich.

      Wiebke Raß dachte an das einsame Grab ihres Knaben, an die Blumen, welche darauf blühten, und an all die Teilnahme, mit der ganz Norderney seinem Sarge gefolgt war. Wieviel bitteren Jammer, wieviele heiße brennende Tränen hatten doch die Franzosen über das kleine Eiland und seine Bewohner gebracht! – Am späten Abend kam der Arzt aus Norden und erklärte den Zustand des Knaben für ungefährlich. Er hatte eine Medizin mitgebracht, meinte aber, sie brauche nicht erst zur Anwendung zu gelangen; dann sah er auch nach der, immer im halben Wachen daliegenden, schweratmenden Frau – hier schien die Sache bedenklicher.

      »Bringt sie ganz aus Norderney fort, wenn ihr könnt«, sagte er. »Es wird hier während der nächsten Tage schlimm genug hergehen, und besser wäre es, sie sähe davon nichts.«

      Dann verließ er sie und es wurde wieder still im kleinen Zimmer, bis gegen Mitternacht Frau Douwe aus ihrer Lethargie erwachte und sich vom Bette erhob. »Es ist nun überstanden«, sagte sie leise und mit Mühe die heraufquellenden Tränen bekämpfend, »ich hab‘ mich dem lieben Gott ergeben und will tragen, was er schickt. Ihr mußtet es ja auch, Wiebke Raß, als der Tod Euer Letztes forderte; ich bin nicht besser als andere.«

      Heißes Schluchzen klang durch das enge Gemach; zwischen den drei unglücklichen Frauen lag fiebernd und flüsternd der Knabe, während draußen auf der Reede und auf dem Wege zur Schanze ein buntes Treiben die Nacht zum Tage verwandelte.

      Zwei Kanonenboote hatten die Geschütze für das neuerbaute Festungsviereck von Norden herübergebracht und jetzt wurden dieselben aufgestellt. An Bord der beiden englischen Kriegsschiffe sollte eine verstärkte Tätigkeit herrschen – vielleicht plante man eine Befreiung der Gefangenen; es galt also, gerüstet zu sein. Lange Züge von französischen Soldaten begleiteten die Geschütze auf dem Wege zur Schanze; überall standen die Eingeborenen mit finsteren Mienen in Gruppen beieinander, überall sahen Blicke voll Haß den fremden Unterdrückern nach. Als der Morgen dämmerte, war das Werk vollendet und eine neue Prüfung brach über die unglücklichen Inselbewohner herein – jedes Haus mußte zwei Franzosen aufnehmen.

      Es konnte also nichts verabredet, nichts beschlossen oder unternommen werden, was nicht die Machthaber sogleich gesehen und gehört hätten; die Norderneyer waren tatsächlich in ihren eigenen Häusern zu Gefangenen gemacht.

      Draußen, im untersten Schiffsraum der »Hortense«, lagen unterdessen die verhafteten Schmuggler ohne Licht oder Pflege, ihren quälenden Gedanken überlassen. Am Morgen nach dem Kampfe waren mehrere Offiziere erschienen und hatten das erste Verhör eingeleitet; die Gefangenen mußten ein Protokoll unterzeichnen, dann wurde ihnen das Todesurteil ohne weitere Formalitäten vorgelesen und die Vollstreckung desselben auf den zweitnächsten Tag verkündigt. Bis der Präfekt des Emsdepartements aus Emden gekommen war, mußte die Sache einstweilen ruhen. Eintönig schlugen die Wellen gegen das Schiff und schaukelten es von einer Seite zur andern. Der Platz, welchen die »Hortense« bisher innegehabt, war jetzt gewechselt worden und das Fahrzeug mitten im seichten Wattmeer verankert, die Wachen an Deck verdreifacht. Vom Lande aus ließ sich nichts unternehmen, während die Kanonen der Schanze ein Vordringen englischer Langboote zur Unmöglichkeit machte.

      Hin und her schlichen die Spione der Franzosen und beobachteten unter Gott weiß welchen Verkleidungen und Masken alles, was vorging. Eins der beiden englischen Kriegsschiffe war in der Richtung nach Helgoland unter Segel gegangen – ohne Zweifel, um Verstärkung herbeizuholen. Die Franzosen hätten keine bessere Nachricht erhalten können.

      Man getraute sich nicht, die Gefangenen herauszuhauen, wohl aber war man bemüht, Zeit zu gewinnen. Ein Boot mit weißer Flagge nahte der Insel, ein englischer Offizier und zwei Soldaten erschienen als Parlamentäre, um mit dem Präfekten zu unterhandeln.

      Monsieur de Jeannesson empfing sie mit ruhiger Würde; so gern der menschenfreundliche Mann auch den Schmugglern in irgendeiner Weise das Leben gerettet hätte, so unmöglich war es ihm doch, dem klar ausgesprochenen Willen des Kaisers entgegen zu handeln; er mußte gehorchen, namentlich da auch an allen übrigen deutschen Küstenplätzen diese Hinrichtungen mit unerbittlicher Strenge vollzogen wurden; aber er wollte den Gefangenen die Qual der letzten Stunden so sehr wie möglich verkürzen, daher beschleunigte er die Ausführung des Todesurteils. Der englische Offizier bat um eine Frist, er ließ durchblicken, daß man geneigt sei, unter der Hand das Leben der gefangenen Matrosen teuer zu bezahlen, aber Monsieur de Jeannesson schien das hingeworfene Wort nicht verstanden zu haben, obwohl die Röte des Zornes seine Stirn plötzlich überflammte. Während der Franzosenwirtschaft waren zahllose Beamte und höhere Offiziere käuflich, er wußte es und schämte sich seiner Landsleute. »Ich bedaure, nicht dienen zu können«, antwortete er in ruhig abweisendem Tone.

      »Aber Eure Exzellenz werden wenigstens einige Wochen Frist bewilligen«, sagte, sich auf die Lippen beißend, der Offizier. »Unmöglich, mein Herr. Das Urteil wird morgen vollstreckt werden.« »Weshalb so schnell? Man untersucht doch jeden Rechtsfall, ehe man den Schuldigen zur Verantwortung zieht.«

      »Das ist hier überflüssig. Die Leute sind mit den Waffen in der Hand gefangengenommen worden, sie haben außerdem sämtlich gestanden und die geschmuggelten Waren samt acht Gespannen im Stiche lassen müssen. Ist das Beweis genug?«

      Der Offizier erbleichte. »Aber man


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