Onnen Visser. Sophie Worishoffer

Onnen Visser - Sophie  Worishoffer


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dafür das Volk, dem sie angehörten.

      Die beiden anderen Kanonenboote, »Marion« und »l‘Empereur« legten sich rechts und links neben die »Hortense«, unaufhaltsam rasselte in den Straßen die Trommel, um dem Befehl des Ausrufers Gehör zu verschaffen, aber nicht ein einziger Fremder war zu entdecken, nicht ein Boot verließ die Reede.

      Überall entschlossene Herzen und gezückte Messer, überall die brennende Kampfbegier gegen den Todfeind. Je eher, desto besser; je heißer, um desto lieber; das Maß war voll bis zum Überlaufen.

      Etliche hundert Männer, meist von Borkum und Wangeroog, hatten in den Häusern des Dorfes keine Unterkunft mehr gefunden und waren daher in den Dünen versteckt. Swen Auckens, der Spion, den Soldaten vorausgeschickt, sah sie, aber er war auch selbst gesehen – in der nächsten Sekunde lag er am Boden und drei oder vier Schiffer knieten auf seiner Brust oder hielten die zuckenden Glieder gefesselt.

      Georg Wessel stand neben ihm; das sonnenbraune Antlitz des hübschen jungen Mannes war blaß vor innerer Erregung.

      »Ein Laut, Swen Auckens, ein einziger Schrei – und du bist des Todes!«

      Der Spion schwieg vor Entsetzen; er sah ratlos von einem zum anderen.

      »Sprich, du Schuft, hat dir mein armer Vater, wenn du hungrig und frierend umherliefst, in seinem Hause zu essen gegeben, hat er dir Kleider und bares Geld geschenkt oder nicht? hat er deiner alten Mutter Fische gebracht, deinen kleinen Geschwistern Schuhe, hat er immer und zu allen Zeiten geholfen?«

      »Ja!« ächzte der Spion, »ja!«

      »Und zum Lohn dafür verrietst du ihn, verrätst du dein Vaterland!«

      Einer der Borkumer Kapitäne drängte sich vor. »Soviel Federlesens um einen Spitzbuben!« sagte er. »Als ob Swen Auckens nicht auch bei mir schon gebettelt hätte! – Soll er sterben, Leute, was meint ihr?«

      »Ja!« hieß es rings umher, »ja! ja!«

      Der Borkumer zog das Messer hervor. Die ehrlichen, von Haus aus so gutmütigen Friesen waren durch diese langen und unerträglichen Bedrückungen dermaßen gereizt, ihr Blut am Vorabend einer schweren Entscheidung so erhitzt, daß sie nicht mehr klar zu denken vermochten. Das »Ja« der Ihrigen galt ihnen als ein rechtskräftiges Todesurteil.

      Swen Auckens krümmte sich vor Furcht. »Wenn ihr mich töten wollt, so ist das euer eigenes Verderben«, ächzte er. »Die Franzosen stehen ganz in der Nähe – sie haben scharf geladen – ein Schrei von mir und —«

      Er konnte nicht vollenden. Eine kräftige Hand legte sich schwer auf seinen Mund, ein Messer blitzte und fuhr ihm bis ans Heft in die Brust. So lange die Glieder im Todeskampfe bäumten und zuckten, hielt der Borkumer den Gerichteten fest, dann zog er die Waffe aus der Wunde und stieß sie in den weißen Sand, um das Blut zu entfernen. Swen Auckens blieb, mit dem Gesicht gegen den Himmel gekehrt, tot am Eingang der Dünen liegen.

      »Zurück!« gebot der junge Wessel. »Wir dürfen den Soldaten heute nicht begegnen!«

      Mann nach Mann verschwand zwischen den Sandhügeln. Die Franzosen mit ihrer schweren Bepackung konnten ihnen auf dem ungewohnten Boden nicht schnell genug folgen, um sie einzuholen.

      Es war wieder alles todesstill wie zuvor, nur der Gerichtete lag mit krampfhaft in das Dünengras gekrallten Händen auf dem Sand und aus seiner Brust sickerten langsam die roten Tropfen.

      Heller warmer Sonnenschein; die Lerchen sangen hoch im Blau, zur Seite flutete das Meer und hie und da schaute mit seinen roten Augen ein Kaninchen aus dem Spalt hervor. Nur das rieselnde Blut zeigte, daß der Krieg die Wirklichkeit des Lebens ist, nicht jener holde Friede, von dem das Herz im Anblick einer schönen stillen Sommerlandschaft so gern träumt.

      Die Franzosen standen in einiger Entfernung und hielten die Gewehre schußgerecht in den Händen. Oberst Jouffrin kaute an den Spitzen seines Schnurrbartes; die blutunterlaufenen Augen sandten unruhige Blicke nach allen Seiten. Wo blieb der Spion?

      Kein Laut erklang, nur die Lerche stand himmelhoch gerade über dem Kopfe des Franzosen und jubelte ihr helles süßes Lied in die Welt hinaus.

      Oberst Jouffrin pfiff leise, das war so verabredet, und Swen Auckens hätte antworten müssen. Sonderbar – ob er in einen Hinterhalt geraten war?

      Der »Schinder« schlich vorwärts. Vielleicht, wenn er angegriffen wurde, ergab sich die Notwendigkeit der Verteidigung – er konnte Ströme Blutes vergießen, konnte alle Roheit seines Innern in Taten übersetzen.

      Ein paar leichtere Dünenketten waren erklettert, dann kam die erste größere Talmulde mit scharfem Grat – ihm ins Gesicht sehend, mit starren, weit offenen Augen lag der Tote vor dem spähenden Franzosen. Er trat in die Blutlache, er wäre fast über den Körper gestolpert.

      »Sapristi – was ist das?«

      Niemand zu sehen oder zu hören. Der Wind bewegte die Erlenblätter in den Tälern, das Haar des Toten, die langen Grashalme – es flüsterte, raunte überall.

      Oberst Jouffrin trat zurück. Die Mörder mußten sich ganz in der Nähe befinden – welch eine blutige Rache hätte er nehmen können!

      Aber Exzellenz Jeannesson hatte es verboten und der Oberst kannte sehr wohl den Grund, welcher ihn zwang, diesem bestimmten Befehl zu gehorchen. Eines Tages, kurz nach seinem Einmarsch in Norden, hatte er die Väter der Stadt zu sich beschieden und mit recht verständlichen Worten erklärt, daß er ein Geschenk von einer halben Million Frank für seine Privatrechnung erwarte oder aber der Stadt gegenüber Bedrückung auf Bedrückung häufen werde.

      Als ihn dann die entsetzten Leute baten, doch von einer so verhängnisvollen Maßregel abzusehen, da antwortete er achselzuckend, er begreife nicht weshalb. Der Kaiser habe den Wunsch, daß sich seine höheren Offiziere aus dem Vermögen deutscher Bürger bereichern möchten.

      Die halbe Million schmolz zusammen bis auf zweimalhunderttausend Frank, diese aber erpreßte er und hatte, als der Präfekt die Sache erfuhr, das Geld am grünen Tische längst wieder verloren. Monsieur de Jeannesson verachtete ihn deswegen, er wußte es, und auch seine Vorgesetzten würden die plumpe Art und Weise strenge tadeln, sobald sie von derselben erfuhren. Dergleichen mußte feiner ins Werk gesetzt werden.

      »Es ist nichts«, sagte er achselzuckend, »Prahlerei, leere Worte; die Kerle fürchten sich.«

      Das Militär zog zum Dorfe zurück. Es begann eine Durchsuchung der Häuser, die aber ohne Ergebnis verlief; hier lag ein Kranker und dort war ein Schlüssel verloren, an dritter Stelle war selbst die Haustür versperrt oder der Bewohner verbat sich mit dem Messer in der Hand den Besuch der Soldaten.

      Nur mit gefälltem Bajonett hätte an den meisten Orten der Eintritt erzwungen werden können.

      Auch in den Holzschuppen Peter Witts kamen die Soldaten. Der Verräter saß in der Ecke und ließ den Kopf hängen, er ging jetzt nicht mehr aus, sprach mit keinem Menschen und schien zu erschrecken, als er hörte, daß sich Hunderte von fremden Schiffern auf der Insel befinden sollten.

      »Olters«, sagte er, »hängt ein Tuch vor das Fenster. Wenn Leute kommen, so sagt, daß ich nicht zu Hause sei. Ach, es ist so kalt hier!«

      Und in dem milden Sommersonnenschein hüllte er sich schaudernd in eine große wollene Decke. Wenn die Trommel rasselte, fuhr er zusammen, als bringe ihm der Klang die Verkündigung eines schrecklichen Schicksalsspruches.

      Oberst Jouffrin mußte melden, daß niemand gefunden worden sei. Er tat es spöttisch, mit offenem Hohne gegen den Präfekten. Siebenhundert wohlgeschulte und bewaffnete Soldaten durften es ja nach der Meinung Seiner Exzellenz mit den Messern und Knitteln einer Handvoll Matrosen nicht aufnehmen. Wahrhaftig, das ist für die Truppen des Kaisers eine große Ehre!

      Monsieur de Jeannesson würdigte ihn keiner Antwort; sein klarer Verstand erkannte sehr wohl, daß die Norderneyer und ihre Freunde der Übermacht hätten unterliegen müssen, ebensogut aber auch, daß der unerhörte Kampf des Militärs gegen friedliche Bürger doch nicht als eine Waffentat, sondern nur als eine Massenschlächterei gelten konnte. Er wollte dieselbe um keinen Preis gestatten, es war genug des Blutes, das morgen vergossen werden mußte.

      6

      Während


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