Onnen Visser. Sophie Worishoffer

Onnen Visser - Sophie  Worishoffer


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das bärtige Gesicht. »Wenn du droben einen Mann brauchst, der dir treu ist wie ein Hund, der dich lieb hat, John Wilkie, dann bin ich es, das darfst du glauben!« Auch Lars Meinders streckte die Hand aus. Er konnte kein Wort hervorbringen, große Tränen rollten über sein blasses Gesicht.

      Ebenso stumm blieb der Prediger, aber seine Augen glänzten in hoher Freude. Er sah den narbigen alten Soldaten an und durch seine Seele wehte wie freundliches Grüßen das Wort des Erlösers: »Wahrlich, ich sage dir, du wirst noch heute mit mir im Paradiese sein!«

      »Hört auf«, lächelte der Unteroffizier, »was ist es denn weiter? Ich mache mein Testament wie jeder andere auch. Sorgt nur, daß es erfüllt werde, ehrwürdiger Herr; eine Einsprache kann kein Mensch erheben!«

      Der Geistliche steckte das Blatt zu sich, er versprach gerührten Herzens, sogleich die englischen Behörden in Kenntnis zu setzen und dann das Vermächtnis des großmütigen Gebers für beide Kinder nach bestem Ermessen zu verwalten. Als diese Angelegenheit geordnet war, wandte er sich zu den älteren Gefangenen, den dreien, die bisher geschwiegen hatten, weil sie ihre äußeren Angelegenheiten geordnet zurückließen. Er kannte den Kapitän und Heye Wessel seit langen Jahren genau, den Baltrumer Wattführer wenigstens von Ansehen, hier wurde ihm also, den alten Leuten gegenüber, die Trennung schwerer. »Wir hatten heute eine außerordentliche Sitzung der Gemeindeältesten«, sagte er traurig, »ich soll euch beiden von allen die herzlichsten Grüße bringen. Es wird niemand außer mir zu euch gelassen, sonst wären schon viele Freunde hier gewesen.«

      Heye Wessel nickte. »Das glaube ich, Herr Pastor, das glaube ich, aber meine Kinder dürfen doch von mir Abschied nehmen?«

      »Und mein Junge«, setzte der Kapitän hinzu, »meine arme Frau ? – Waren übrigens unsertwegen die Gemeindeältesten versammelt, Herr Pastor?«

      »Nein, meine Freunde, ich darf euch keine falschen Hoffnungen erregen. Der Präfekt selbst hat das Urteil als ein unwiderrufliches bezeichnet – es war der alten Aheltje wegen, daß wir Rat hielten; die Franzosen haben ihre Hütte zerschlagen, ihr bißchen Hab und Gut in alle vier Winde zerstreut und die bedauernswerte Frau arg mißhandelt. Aheltje bittet, ihr ein neues Obdach zu schaffen; sie irrt ohne Heimat, ohne eine Stelle, wohin sie ihr Haupt legen möge, in den Dünen herum.«

      Der Kapitän sah auf. »Noch bin ich Gemeindeältester«, sagte er nachdrücklich, »und als solcher gebe ich der armen Alten meine Stimme. Sie soll eine neue Hütte haben.«

      »Das ist auch meine Ansicht«, rief Heye Wessel. Der Prediger nicke freundlich. »Davon war ich überzeugt«, antwortete er. »Aber nun zu euch selbst, Leute, habt ihr nichts mehr auszurichten? Auch Ihr nicht, Andreas Fokke?«

      Der Wattführer seufzte. »Meine Kinder sind klein und mein Weib ist kränklich«, sagte er. »Von Baltrum hierher ist es für alle zu weit und beschwerlich. Grüßt sie, Herr Pastor, wenn Ihr so freundlich sein wollt – tröstet die Armen! In leibliche Not geraten sie nicht, dafür ist durch die letzten guten Jahre gesorgt, wenn ich auch nun den Schmuggelhandel mit meinem Leben bezahlen muß.«

      Heye Wessel bat, seine Kinder sehen zu dürfen, und der Kapitän wenigstens seine Frau. Der Knabe lag noch krank im Bette, er würde die große Aufregung nicht ertragen können, sondern sollte lieber von dem gefällten Todesurteil noch nichts erfahren.

      Nachdem so die Dinge dieser Erde geordnet waren, versammelte der Geistliche die kleine zum Sterben geweihte Gemeinde um sich und spendete den Unglücklichen das heilige Abendmahl.

      »Für euch gegeben und vergossen zur Vergebung der Sünden« – viel mehr als nur diese Worte sprach er nicht, aber er bat die Gefangenen, sich den ganzen Segen der tröstlichen, darin enthaltenen Verheißung voll zu eigen zu machen, sich der ewigen Heimat zu freuen, nun ihnen die zeitliche entrissen werde.

      Dann kam der Abschied – fast stumm, aber innig empfunden. Was die Herzen in letzter Hoffnung bewegte, was noch an Erdensorgen zu erledigen war, das ruhte nun in treuen Händen. Mochte der Tod kommen, er würde seine Opfer bereit finden.

      Von den Gefangenen begab sich der Prediger unmittelbar zu dem Präfekten, Monsieur de Jeannesson; er erhielt auch bereitwilligst die gewünschte Audienz, aber er nahm keine noch so geringe Hoffnung aus dieser Zusammenkunft mit sich hinweg.

      »Glauben Sie es mir«, sagte im Tone der unverkennbarsten Wahrheit der Franzose, »ich würde Gott weiß was darum geben, wenn die Hinrichtung unterbleiben könnte, aber meine Befehle sind gemessen und nebenbei glaube ich auch, daß die zum Gewerbe gewordene Schmuggelei, nachdem diese Züchtigung der Insel widerfuhr, nun endlich einmal aufhören werde.«

      »Die öffentliche Moral ist untergraben«, setzte er hinzu, »List und Gewalt behaupten die Stelle der Gesetze; das ist ein ungesunder Zustand.«

      Der Prediger widersprach nicht, er sagte nur, daß er gekommen sei, um zu bitten, nicht um zu fordern; Monsieur de Jeannesson drückte ihm die Hand, aber er betonte, daß keine Gnade obwalten könne. »Morgen um die sechste Stunde wird die Hinrichtung stattfinden«, sagte er, »wenn also die Angehörigen der Verurteilten von diesen noch Abschied zu nehmen wünschen, so muß es vor Abend geschehen.«

      Der Geistliche empfahl sich schweren Herzens, um den beiden Familien, die er so viele Jahre hindurch gekannt hatte, die Trauerbotschaft zu bringen. Heye Wessels Haus lag ihm auf seinem Wege am nächsten, er kam also dahin zuerst und traf beide Geschwister daheim. Während Amke, das junge Mädchen, beim Empfang der Hiobspost laut aufschrie und dann ohnmächtig zu Boden sank, hatte ihr Bruder für den Prediger nur ein siegesgewisses Lächeln.

      »Es wird niemand erschossen, Herr Pastor«, sagte er. »Haben Sie es denn meinem Vater nicht gesagt, daß Uve Mensinga und ich über siebenhundert streitbare und treuergebene Männer verfügen? Das englische Kriegsschiff erscheint mit Tagesanbruch an der Ostspitze der Insel, bereit, die Verurteilten aufzunehmen – wir massakrieren die ganze Franzosenbande bis zum letzten Mann, wir hauen die braven Norderneyer heraus, ob auch Hunderte von uns fallen mögen. Vielleicht kommen doppelt soviele Wüteriche wieder hierher, aber der Vater und seine Gefährten sind vorläufig gerettet. Sie haben es ihm doch gesagt, Herr Pastor?«

      Der Geistliche schüttelte den Kopf. »Gewiß nicht, mein guter Junge«, antwortete er ruhig. »Ich glaube bis jetzt keineswegs, daß euch der tollkühne Plan gelingen werde, und bitte dich dringend, die letzten Lebensstunden deines Vaters von der Bitterkeit einer getäuschten Hoffnung freizuhalten. Er hat sich in den Willen der Vorsehung ergeben, diese Stimmung mußt du achten.«

      »Und ihm nichts mitteilen?« rief Georg.

      »Ihm nichts mitteilen, mein Junge. Gelingt dann der beabsichtigte Handstreich – nun, so ist es ja um so besser.«

      Der junge Schiffer dachte nach. »Sie haben recht, Herr Pastor«, rief er endlich. »Muß nicht auch die Freude um so herrlicher wirken, wenn sie sich mit der Überraschung vereinigt? – Die Gefangenen werden hinausgeführt bis zur Schanze, sie sehen schon die Soldaten vortreten und haben alle Hoffnung aufgegeben, da brechen plötzlich die Befreier aus den Dünen hervor, die französischen Offiziere sind zuerst niedergeschlagen, dann die Soldaten, und im Triumph geht es an Bord des englischen Schiffes – wissen Sie was, Herr Pastor? wir wollen auch den geraubten Kaffee wiedergewinnen. Die Gauner haben ihn auf den Böden des Badehauses und unter Fischernetzen auf dem Hofe gestapelt – sie sollen das gestohlene Gut herausgeben und die allerwuchtigsten Norderneyer Hiebe in den Kauf erhalten.«

      Der Prediger fühlte, wie ihm das Blut heiß ins Gesicht trat. Die Begriffsverwirrung, von welcher Monsieur de Jeannesson gesprochen hatte, war wirklich im höchsten Maße vorhanden.

      »Eins vergißt du, Georg!« sagte er in ernstem Tone.

      »Und das wäre, Herr Pastor?«

      »Du solltest hinzufügen: Wenn Gott will!«

      Der junge Mensch lächelte. »Es wird gelingen«, sagte er zuversichtlich. »Wenn ich mich jetzt auf die Straße begeben und mit lauter Stimme rufen würde: ›Heraus Kameraden, die Stunde ist da!‹ – dann sollten Sie sehen, wie schnell die Franzosen geschlagen wären, ins Meer gejagt, vernichtet! Aber es geht nicht; wir müssen warten, bis die Gefangenen am Lande sind, da wir ja leider keine Möglichkeit besitzen, die drei Kanonenboote mit Erfolg anzugreifen. Das englische


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