Alfried Krupp. Frobenius Herman
und sobald ihm nach der Londoner Ausstellung die Verfügung über größere Einkünfte erlaubte, die Pflicht eines stetigen Zuschusses für solchen Zweck zu übernehmen, gründete er – im Jahre 1853 – eine „Hilfskasse in Fällen von Krankheit und Tod”, in die jeder Meister und Arbeiter je nach seinen Einkünften eine gewisse Summe zu zahlen hatte, während Krupp selbst sich zur Zahlung der Hälfte des Gesammtjahresbeitrages seiner Arbeiter verpflichtete. Diese am 5. September 1855 mit einem definitiven Statut versehene Kasse sicherte ihren Mitgliedern im Krankheitsfalle ärztliche Hilfe und Unterstützung mit Heilmitteln, sowie vom dritten Tage der Erkrankung ab eine Geldunterstützung und im Todesfalle den Hinterbliebenen einen Beitrag zu den Beerdigungskosten. Aber auch die Bildung eines Pensions-Fonds für arbeitsunfähige Mitglieder wurde sofort ins Auge gefaßt und die Ueberschüsse der Kasse hierfür bestimmt.
Dies war der Anfang der Wohlfahrtseinrichtungen, welche Krupp mit der weiteren Entwickelung seiner Fabrik zu einem System ausbaute, wie es in seiner Vielseitigkeit und Vollkommenheit einzig in der Welt dasteht. Es sei dies schon hier im Zusammenhange vorgeführt, um ein übersichtliches Gesammtbild dieses überaus wichtigen Zweiges seiner Thätigkeit zu gewinnen.
Das schnelle Anwachsen der Fabrik, deren Arbeiterzahl 1858 das erste Tausend, 1861 das zweite, 1863 das vierte, 1864 das sechste und 1872 das zehnte Tausend überschritt – hatte eine Reihe von Uebelständen im Gefolge, denen im Interesse der Arbeiter abgeholfen werden mußte. Mit den Arbeitern kamen nicht nur ihre Familien, deren Köpfe mehr als das Doppelte betrugen, sondern auch zahlreiche Krämer, Handwerker und dgl. nach der Stadt Essen, so daß deren Einwohnerzahl in den oben genannten Jahren die Ziffern von 17, 20, 25, 31 und 51 Tausend überschritt. In gleicher Geschwindigkeit wuchsen natürlich nicht die Häuser aus der Erde, und die Folge war ein immer drückenderer Wohnungsmangel, Steigerung der Miethspreise und Vertheuerung der Lebensmittel. Unzählige Handeltreibende überschwemmten die Arbeiterviertel, zumeist kleine Winkelgeschäfte, die sich an den Wegen ansiedelten, welche der Arbeiter zwischen seiner Wohnung und der Fabrik zu gehen hatte. Schlechte Waaren wurden ihm zu hohen Preisen, aber gegen Kredit, angeboten und er verfiel dem Schuldbuch und dem Wucher. Anderseits schossen die kleinen Wirthshäuser wie Pilze aus der Erde und verlockten den Arbeiter, seine unbehagliche, überfüllte Wohnung mit der Kneipe zu vertauschen und seinen mancherlei Aerger und Verdruß dort mit Bier und Schnaps hinabzuspülen. Es waren dieselben Verhältnisse, wie sie in jeder Industriestadt mit deren schnellem Emporblühen beobachtet werden konnten, wie sie die Arbeiter zur Vergeudung ihres Erwerbes, zur Verschuldung und zum Verschleudern ihres ärmlichen Besitzes, zu häuslichem Unfrieden und Unbehagen, zu allgemeiner Unzufriedenheit, zu rohen Raufereien und zu redeseligen Kneipensitzungen veranlaßten, wie sie den Boden vorbereiteten für die Wühlereien staatsfeindlicher sozialdemokratischer Agitatoren.
Hier mußte Abhilfe geschaffen werden, hier mußte die soziale Frage, zu welcher die Form der Produktionsweise, der Indienststellung großer Arbeitermassen bei einem immer anwachsenden Fabrikbetrieb hindrängte, soweit es möglich war, gelöst werden, ohne letzteren zu gefährden und zum Zweck, ihn auf die Dauer überhaupt zu ermöglichen. Es war so schlimm, daß im Stadtbezirk „zum heiligen Geist” auf 124 Häuser 2962 Einwohner, auf jedes kleine Arbeiterhaus also 24 Personen kamen. Zwei Mittel nur konnten Abhilfe gewähren: Schaffung von Wohnungen zu billigem Miethszins und Zuführung aller Bedürfnisse zu entsprechenden Preisen und in guter Qualität, um die Arbeiter aus den Händen der Spekulanten und Wucherer zu reißen.
Letzteres Mittel brachte Krupp, als das für die wirthschaftliche Existenz nothwendigste und am schnellsten durchzuführende, zuerst zur Anwendung. Er schuf Konsumanstalten und zwar allmählich in einem solchen Umfange, daß der Arbeiter alle seine Bedürfnisse innerhalb der Fabrik befriedigen konnte und daß diese auch daselbst soweit als irgend möglich hergestellt wurden. Das entsprach dem Kruppschen Grundsatz der Selbstfabrikation. So entstand 1856 eine „Menage”, zunächst für 200 Mann, es war ein erster Versuch. 1858 folgte eine „Bäckerei”, deren Brot zum Selbstkostenpreis gegen beim Lohn zu verrechnende Marken abgegeben wurde. Im Jahre 1868 ward eine Konsumanstalt für Kolonial- und Spezereiwaaren. 1869 eine Dampfmühle, 1871 Kaffeebrennerei und Lagerhaus sowie eine Verkaufsstelle für Schuhwaaren nebst Schusterwerkstatt für Reparaturen errichtet. Im Jahre 1872 kam hierzu eine Selterswasser-Fabrik, Schneiderei, Manufakturwaarenlager, Bierhallen und ein Gasthaus, 1874 eine Zentral-Verkaufsstelle, wo auch Möbel, Betten, Nähmaschinen etc. auf Lager gehalten wurden, 1875 endlich auch Schlachterei und Fleischverkauf. In allen diesen Anstalten werden die Bedürfnisse dem Arbeiter zum Selbstkostenpreise, aber nur gegen Baarzahlung verabfolgt. Sie wurden binnen Kurzem von den Arbeitern gewürdigt, da ihnen die gebotenen Vortheile nicht entgingen; die Benutzung stieg von Jahr zu Jahr und die Winkelgeschäfte in der Nähe der Fabrik wurden verdrängt.
Aber auch der Wohnungsfrage trat der Fabrikherr näher. Nachdem er 1860 mit dem Ankauf und Neubau eigener Wohnhäuser begonnen hatte, legte er im Jahre 1863 seine erste Arbeiterkolonie Westend mit 160 Wohnungen an. Diese erweiterte er 1871 durch 10 Doppelhäuser zu 60 und 8 Doppelhäuser zu 48 Wohnungen, baute eine neue Kolonie Nordhof mit 162 Wohnungen, legte in dieser eine Kochanstalt mit großem Speisesaal im Erdgeschoß und Schlafräumen in den oberen Geschossen für unverheirathete Arbeiter an und gab der Kolonie eine Feuerwehr mit Spritzenhaus und eine eigene Verkaufsstelle der Konsumanstalt. Gleichzeitig erbaute er eine dritte Kolonie inmitten von Ländereien südlich der Stadt, wobei er Gelegenheit hatte, die Häuser mehr in ländlichem Charakter mit Stallungen und kleinen Gärten herzustellen. Diese Kolonie, Dreilinden, umfaßt 18 massive Häuser mit 72 Wohnungen. Schon im folgenden Jahre ward der Bau von zwei neuen Kolonien, Schederhof und Kronenberg, in Angriff genommen, erstere mit 82 dreistöckigen massiven Häusern und 492 Wohnungen, letztere mit 1248 Wohnungen in 208 massiven Häusern. Nach deren Vollendung verfügte die Fabrik über 3277 gute und gesunde Familienwohnungen, in denen mehr als 15000 Menschen Platz finden konnten.
Die Wohnungen sind, den verschiedenen Verhältnissen der Arbeiter und Beamten entsprechend, mit 2 bis 6 Räumen versehen und werden an die Bediensteten zu einem verhältnißmäßig geringen Miethzins vergeben; eine 2räumige Wohnung mit Keller zu 90–108, eine 3räumige zu 120 bis 162, eine 4räumige zu 180–200 Mark. Die Miethe wird den Arbeitern am 14tägigen Lohne gekürzt. Dagegen ist der Ankauf eines Hauses in den Kolonien diesen nicht gestattet. In den Bergwerksdistrikten hat Krupp seinen Arbeitern die Erwerbung eines Hauses mit Garten- oder Ackerland vielfach erleichtert, dieses erschien aber unmöglich in der dichtbevölkerten nächsten Umgebung von Essen, wo die Wohnungen zur Verfügung der Fabrik erhalten werden müssen, während ein Verkauf wahrscheinlich die Arbeiter verdrängt und fremde Elemente in die Kolonien gebracht haben würde.
Das nächste Erforderniß war ein Krankenhaus. Zu einem solchen gab der Feldzug 1870/71 den Anstoß, da Krupps Patriotismus ihn veranlaßte, auf eigene Kosten ein Lazareth von 100 Betten zu errichten, in dem während des Krieges 356 verwundete und erkrankte Soldaten behandelt wurden. Diese aus 3 Pavillons, einem Verwaltungs- und Oekonomiegebäude und einigen kleineren Gebäuden bestehende Anstalt ward am 1. Mai 1872 der Leitung des Anstaltsarztes als Krankenhaus der Fabrik übergeben. Um einer Epidemie, wie sie nach dem Krieg von 1866 in Gestalt der Cholera die Stadt Essen heimgesucht hatte, begegnen zu können, ward im Sommer 1871 der Bau eines Epidemienhauses auf einem noch wenig angebauten Gelände nordwestlich der Stadt in Angriff genommen und 6 Baracken mit je 4 Krankensälen, Wärter-, Wasch- und Badestube errichtet. Es sollte diese Anstalt erst im Jahre 1882 zur Verwendung kommen, als gelegentlich einer Pocken-Epidemie der städtischen Verwaltung zwei Baracken eingeräumt wurden. Ein zweites Epidemie-Lazareth wurde 1884 südlich der Stadt bei Altendorf erbaut.
Hygienischen Zwecken dient ferner eine 1874 errichtete Badeanstalt, ein gleichzeitig aufgestellter Desinfektionsapparat, sowie die Einsetzung einer Sanitäts-Kommission, welcher unter anderem auch die Führung einer Krankheits- und Sterblichkeitsstatistik obliegt. Hiermit ist eine Organisation des ganzen Betriebes in hygienischer Beziehung verknüpft, welche für Ueberwachung und Pflege des allgemeinen Gesundheitszustandes die erforderliche Garantie bietet. Es tritt hierin ebenso wie in der Administration der großartigen Konsum-Anstalten das organisatorische Talent Alfried Krupps zu Tage, welches an keinem Punkte nur das Erforderliche zu schaffen, sondern auch gleichzeitig dem ganzen, allmählich ins Ungeheure anwachsenden Organismus so einzupassen wußte, daß unter seinem Alles überwachenden Auge doch jeder einzelne Betrieb sich selbständig und ohne einen anderen störend zu