Unsichtbare Bande: Erzählungen. Lagerlöf Selma

Unsichtbare Bande: Erzählungen - Lagerlöf Selma


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Sperber auf das Nest herabgesaust, um die Jungen zu töten. Da ergriff Hatto den Kühnen mit seiner linken Hand, schwang ihn im Kreise über seinem Kopf und schleuderte ihn mit der Kraft des Zornes in den Fluß.

      Und der Tag kam, an dem die Kleinen flügge waren. Eines der Bachstelzchen mühte sich drinnen im Nest, die Jungen auf den Rand hinauszuschieben, während das andre herumflog und ihnen zeigte, wie leicht es war, wenn sie es nur zu versuchen wagten. Und als die Jungen sich hartnäckig fürchteten, da flogen die beiden Alten fort und zeigten ihnen ihre allerschönste Fliegekunst. Mit den Flügeln schlagend, beschrieben sie verschiedene Windungen, oder sie stiegen auch gerade in die Höhe wie Lerchen oder hielten sich mit heftig zitternden Schwingen still in der Luft.

      Aber als die Jungen noch immer eigensinnig bleiben, kann Hatto es nicht lassen, sich in die Sache einzumischen. Er gibt ihnen einen behutsamen Puff mit dem Finger, und damit ist alles entschieden. Heraus fliegen sie, zitternd und unsicher, die Luft peitschend wie Fledermäuse, sie sinken, aber erheben sich wieder, begreifen, worin die Kunst besteht, und verwenden sie dazu, so rasch als möglich das Nest wieder zu erreichen. Die Alten kommen stolz und jubelnd zu ihnen zurück, und der alte Hatto schmunzelt.

      Er hatte doch in der Sache den Ausschlag gegeben.

      Er grübelte nun in vollem Ernst nach, ob es für unsern Herrgott nicht auch einen Ausweg geben konnte.

      Vielleicht, wenn man es so recht bedachte, hielt Gottvater diese Erde wie ein großes Vogelnest in seiner Rechten, und vielleicht hatte er Liebe zu denen gefaßt, die dort wohnen und hausen, zu allen schutzlosen Kindern der Erde. Vielleicht erbarmte er sich ihrer, die er zu vernichten gelobt hatte, so wie sich der Eremit der kleinen Vögel erbarmte.

      Freilich waren die Vögel des Eremiten um vieles besser als unsers Herrgotts Menschen, aber er konnte doch begreifen, daß Gottvater dennoch ein Herz für sie hatte.

      Am nächsten Tage stand das Vogelnest leer, und die Bitterkeit der Einsamkeit bemächtigte sich des Eremiten. Langsam sank sein Arm an seiner Seite herab, und es deuchte ihn, daß die ganze Natur den Atem anhielt, um dem Dröhnen der Posaune des Jüngsten Gerichts zu lauschen. Doch in demselben Augenblick kamen alle Bachstelzen zurück und setzten sich ihm auf Haupt und Schultern, denn sie hatten gar keine Angst vor ihm. Da zuckte ein Lichtstrahl durch das verwirrte Hirn des alten Hatto. Er hatte ja den Arm gesenkt, ihn jeden Tag gesenkt, um die Vögel anzusehen.

      Und wie er da stand, von allen sechs Jungen umflattert und umgaukelt, nickte er jemandem, den er nicht sah, vergnügt zu. „Du bist frei,“ sagte er, „du bist frei. Ich hielt mein Wort nicht, und so brauchst du auch deines nicht zu halten.“

      Und es war ihm, als hörten die Berge zu zittern auf und als legte sich der Fluß gemächlich in seinem Bett zur Ruhe.

      Das Hünengrab

      Es war um die Jahreszeit, wo das Heidekraut rot blüht. Auf der Sandhalde wuchs es in dichten Büscheln. Von niedrigen, baumähnlichen Stämmchen erhoben sich dicht sitzende grüne Zweige mit nadelharten, festen Blättern und kleinen, spät welkenden Blüten. Diese schienen nicht aus dem gewöhnlichen saftreichen Blumengewebe zu bestehen, sondern aus trocknen, harten Schuppen. Sie waren sehr unansehnlich von Größe und Gestalt; auch war ihr Geruch nicht sonderlich. Als Kinder der offnen Heide hatten sie sich nicht in der windgeschützten Luft entwickelt, in der die Lilien ihre Kelchblätter entfalten, auch nicht in dem üppigen Erdreich, aus dem die Rosen die Nahrung für ihre schwellenden Kronen schöpfen. Was sie zu Blumen machte, war eigentlich die Farbe; denn leuchtend rot waren sie. Den Farbe schenkenden Sonnenschein hatten sie reichlich gehabt. Sie waren keine bleichen Kellergewächse, keine schattenfrohen Stubenhocker. Die gesegnete Fröhlichkeit und Stärke der Gesundheit lag über der ganzen blühenden Heide.

      Das Heidekraut deckte das karge Feld mit seinem roten Mantel bis hinauf zum Waldessaum. Da erhoben sich auf einem sanft ansteigenden Bergfirst ein paar uralte, halb zusammengestürzte Grabhügel; und wie innig das Heidekraut sich auch an sie zu schmiegen suchte: es gab doch dort oben Risse, durch die große flache Felsenplatten durchschimmerten, Fetzen der rauhen Haut des Berges selbst. Unter dem größten Grabhügel ruhte ein alter König, Atle genannt. Unter den andern schlummerten die seiner Mannen, die gefallen waren, als die große Schlacht dort auf der Halde geschlagen ward. Nun hatten sie schon so lange dagelegen, daß die Angst und die Ehrfurcht vor dem Tode von ihren Gräbern gewichen war. Der Weg ging zwischen ihren Ruhestätten hindurch. Wer nachts hier wanderte, dem kam es nie in den Sinn, sich umzusehen, ob wohl zu mitternächtiger Stunde nebelumhüllte Gestalten auf der Spitze der Grabhügel säßen und in stummer Sehnsucht zu den Sternen emporblickten.

      Es war ein glitzernder Morgen, taufrisch und sonnenwarm. Der Schütze, der seit dem Morgengrauen auf der Jagd gewesen war, hatte sich in das Heidekraut hinter König Atles Hügel geworfen. Er lag auf dem Rücken und schlief. Den Hut hatte er über die Augen gezogen und die Jagdtasche aus Fell, aus der die langen Ohren des Hasen und die gekrümmten Schwanzfedern des Auerhahns lugten, lag unter seinem Kopf. Pfeile und Bogen hatte er neben sich.

      Aus dem Walde kam ein Mädchen, ein Bündelchen mit Essen in der Hand. Als sie auf die flachen Platten zwischen den Grabhügeln kam, dachte sie, was für ein guter Tanzplatz hier sei. Und sie bekam große Lust, ihn zu probieren. Sie warf das Bündelchen ins Heidekraut und begann ganz mutterseelenallein zu tanzen. Sie wußte nicht darum, daß hinter dem Königshügel ein Mann lag und schlief.

      Der Schütze schlief noch immer. Brennend rot stand das Heidekraut gegen den tiefblauen Himmel. Der Ameisenlöwe hatte seinen Graben dicht neben dem Schlummernden aufgeworfen. Darin lag ein Stück Katzengold und funkelte, als wollte es alle alten Stoppeln der Sandhalde in Brand setzen. Über dem Kopf des Schützen breiteten sich die Auerhahnfedern wie ein Federbusch aus und ihre Metallfarben schillerten vom tiefsten Purpur bis ins Stahlblau. Auf den unbeschatteten Teil seines Gesichtes brannte glühender Sonnenschein. Aber er schlug die Augen nicht auf, um den Morgenglanz zu schauen.

      Unterdessen fuhr das Mädchen fort, zu tanzen, und es drehte sich so eifrig, daß die geschwärzte Mooserde, die sich in den Unebenheiten der Blöcke angesammelt hatte, um sie schwirrte. Eine alte, trockne Fichtenwurzel, blank und grau vom Alter, lag ausgerissen im Heidekraut. Die nahm sie und drehte sich mit ihr herum. Späne lösten sich aus dem modernden Baume. Tausendfüßler und Ohrwürmer, die in den Ritzen genistet hatten, stürzten sich schwindlig in die lichte Luft und verbohrten sich in die Wurzeln des Heidekrautes.

      Wenn die fliegenden Röcke die Heide streiften, flatterten daraus Scharen von kleinen grauen Schmetterlingen auf. Die Unterseite ihrer Flügel war weiß und glänzte wie Silber; sie wirbelten wie trocknes Laub im Sturm auf und ab. Sie schienen nun ganz weiß, und es war, als ob das rote Heidemeer weißen Schaum emporspritzte. Die Schmetterlinge hielten sich ein kurzes Weilchen schwebend in der Luft. Ihre zarten Flügel zitterten so heftig, daß der Farbenstaub sich löste und als dünner, silberweißer Flaum auf das Heidekraut fiel. Da war es, als würde die Luft von einem sonnig glitzernden Tauregen durchrieselt.

      Ringsum im Heidekraut saßen Heuschrecken und rieben ihre Hinterbeine gegen die Flügel, so daß es wie Harfensaiten klang. Sie hielten guten Takt und waren so eingespielt, daß jeder, der über die Heide ging, dieselbe Heuschrecke auf seiner Wanderung zu hören meinte, obgleich er sie bald zur Rechten, bald zur Linken hatte, bald vor, bald hinter sich. Aber die Tanzende war nicht zufrieden mit ihrem Spiel, sondern begann nach einem kleinen Weilchen selbst den Takt zu einem Tanzspiel zu trällern. Ihre Stimme war schrill und spröde. Der Schütze erwachte von dem Gesang. Er wendete sich seitwärts, richtete sich auf dem Ellbogen auf und sah über das Hünengrab hinweg zu ihr, die tanzte.

      Er hatte geträumt, daß der Hase, den er soeben getötet hatte, aus der Jagdtasche gesprungen sei und seine eignen Pfeile genommen habe, um auf ihn zu schießen. Nun sah er zu dem Mädchen hinüber, schlaftrunken, wirr von Träumen; nach dem Schlummer brannte sein Kopf in der Sonne.

      Sie war groß und von grobem Gliederbau; nicht hold von Angesicht, nicht leicht im Tanz, nicht taktfest im Gesang. Sie hatte breite Wangen, dicke Lippen und eine platte Nase. Sie war sehr rot im Gesicht, sehr dunkel von Haar, üppig von Gestalt, kräftig in den Bewegungen. Ihre Kleider waren dürftig, aber grell. Rote Borten faßten den gestreiften Rock ein, und bunte Wollgarnlitzen folgten den Nähten des Leibchens. Andre Jungfrauen gleichen Rosen und Lilien.


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