Unsichtbare Bande: Erzählungen. Lagerlöf Selma
herbeschieden hatte, um ihm Tugend und gute Sitte zu predigen, um, wenn nichts andres half, ihm zu sagen: „Sieh mich an, Peter Nord! Dein Unverstand, deine Rachgier ist die Ursache meines Todes. Denke daran und beginne ein andres Leben.“
Er war voll Lebenslust und Träumerei gekommen, um das Fest der Liebe zu feiern, und sie lag da und dachte daran, ihn in die schwarzen Tiefen der Reue zu versenken.
Aber es mußte ihr wohl etwas von dem Glanz des Königsreifens entgegenstrahlen und sie nachdenklich stimmen, so daß sie beschloß, ihn zuerst ins Verhör zu nehmen.
„Aber Peter Nord, waren Sie wirklich mit diesen drei furchtbaren Kerlen da?“
Er errötete und sah zu Boden. Dann mußte er ihr die ganze Geschichte von dem Rachezug mit all seiner Schmach erzählen. Fürs erste, wie unmännlich lange er gezögert hatte, sich Gerechtigkeit zu verschaffen, und wie er nur gezwungen gegangen war, und wie er dann anstatt selbst zu schlagen, geprügelt und gepeitscht worden war. Er wagte nicht aufzusehen, während er sprach; er wagte nicht zu hoffen, selbst von diesen milden Augen mit Nachsicht beurteilt zu werden. Wie er dasaß, fühlte er, daß er sich all des Glanzes entkleidete, mit dem sie ihn in ihren Träumen umgeben haben mußte.
„Aber Peter Nord, wie wäre es denn gegangen, wenn Sie Halfvorson angetroffen hätten?“ fragte Edith, als er zu Ende gesprochen hatte.
Er ließ den Kopf immer tiefer hängen. „Ich sah ihn ja ohnehin,“ sagte er. „Er war gar nicht verreist. Er arbeitete in seinem Garten vor dem Stadttor. Der Junge im Laden hatte mir alles erzählt.“
„Nun, warum haben Sie sich dann nicht gerächt?“ fragte Edith.
Nichts sollte ihm erspart bleiben. Aber er fühlte, daß ihre Blicke sich forschend auf ihn hefteten, und er begann gehorsam: „Als die Männer sich auf einem Abhang schlafen gelegt hatten, ging ich und suchte Halfvorson auf, denn ich wollte ihn allein für mich haben. Er ging da herum und richtete Stäbchen in einem Erbsenbeet auf. Es mußte am Tage vorher einen Platzregen gegeben haben, denn die Erbsen waren zu Boden gefallen, einige Blätter waren ganz zerfetzt, andre voll Erde. Es sah aus wie ein Krankenhaus. Und Halfvorson war der Doktor. Er richtete sie so zart in die Höhe, streifte die Erde ab und half den armen, kleinen Dingern die Stäbchen umfassen. Ich stand da und sah zu. Er hörte mich ja nicht und er hatte keine Zeit aufzublicken. Ich versuchte zornig zu bleiben, aber was sollte ich tun? Ich konnte doch nicht auf ihn losstürzen, solange er mit den Erbsen beschäftigt war. Meine Zeit kommt wohl noch, dachte ich.
Aber plötzlich sprang er auf, schlug sich vor die Stirn und stürzte zum Treibbeete. Da hob er die Glasfenster ab und guckte hinein, und ich guckte auch, denn er sah aus, als wenn er in der bittersten Verzweiflung wäre. Ja freilich, da sah es schlimm aus. Er hatte vergessen, die Pflanzen vor der Sonne zu schützen und es war wohl unter den Glasfenstern furchtbar heiß gewesen. Die Gurken lagen wie halbtot da und rangen nach Atem; einige Blätter waren versengt und andre hingen schlaff herab. Ich war auch ganz erschrocken, so daß ich alle Vorsicht vergaß, und da erblickte Halfvorson meinen Schatten. ‚Du hör' einmal, nimm die Gießkanne, die beim Spargelbeet steht, laufe zum Fluß herunter und hole Wasser,‘ sagte er, ohne aufzusehen; er glaubte wohl, es sei der Gärtnerjunge. Und so lief ich.“
„Taten Sie das, Peter Nord?“
„Ja, sehen Sie, die Gurken brauchten doch nicht unter unsrer Feindschaft zu leiden. Es kam mir wohl auch vor, daß das charakterlos sei, aber ich konnte nicht anders. Ich wollte doch sehen, ob sie sich erholen könnten. Als ich zurückkam, hatte er die Fenster ausgehoben und starrte noch ebenso verzweifelt vor sich hin. Ich gab ihm die Kanne in die Hand, und er begann zu gießen. Ja, man konnte sehen, wie gut das den Gurken im Beete tat. Es war mir fast, als richteten sie sich in die Höhe, und ihm schien es wohl auch so, denn er fing zu lachen an. Da lief ich fort.“
„Sie liefen fort, Peter Nord, Sie liefen fort?“ Edith hatte sich in ihrem Ruhesessel aufgerichtet.
„Ich konnte ihn nicht schlagen,“ sagte Peter Nord.
Immer deutlicher merkte Edith den Strahlenkranz um den Kopf des armen Peter Nord. So, sie brauchte ihn also nicht mit der schweren Last der Sünde um den Hals in die Tiefen der Reue zu versenken. Ein solcher Mann war er also! Ein so weichherziger und feinfühliger Mann! Sie sank zurück, schloß die Augen wieder und dachte nach. Sie brauchte es ihm nicht zu sagen. Es wunderte sie selbst, welch große Erleichterung es ihr gewährte, ihn nicht betrüben zu müssen.
„Ich bin so froh, daß Sie sich die Rachegedanken aus dem Kopfe geschlagen haben, Peter Nord,“ begann sie freundlich. „Gerade darum wollte ich Sie bitten. Jetzt kann ich ruhig sterben.“
Sie rang nach Atem. Sie war nicht unfreundlich. Sie sah nicht aus, als hätte sie sich in ihm getäuscht. Sie mußte ihn doch sehr lieb haben, wenn sie alle diese Feigheit entschuldigen konnte. – Denn wenn sie sagte, daß sie ihn hergerufen habe, um ihn zu bitten, von seinen Racheplänen abzustehen, geschah dies wohl nur aus Schüchternheit, um ihm nicht den wirklichen Grund des Rufes gestehen zu müssen. Darin hatte sie ganz recht. Ihm, dem Manne, kam es zu, das erste Wort zu sagen.
„Wie können sie Sie sterben lassen?“ rief er aus. „Halfvorson und alle die andern, wie können sie es? Wenn ich hier wäre, ich wollte es Ihnen verwehren, zu sterben. Ich würde Ihnen alle meine Kraft geben. Ich würde alle Ihre Leiden auf mich nehmen.“
„Ich habe keine großen Schmerzen,“ sagte sie, über diese kühnen Versprechungen lächelnd.
„Ich stelle mir vor, daß ich Sie forttragen möchte wie ein erfrorenes Vögelchen, Sie unter die Weste stecken wie ein Eichhörnchen. O Gott, wie schön wäre es doch zu arbeiten, wenn etwas so Warmes und Weiches daheim auf einen wartete. Aber wenn Sie gesund wären, so würden wohl viele …“
Sie sah ihn mit müdem Staunen an, bereit, ihn in seine Schranken zu weisen. Aber sie mußte wohl wieder etwas von dem Zauberkranze der Träume um das Haupt des Knaben gesehen haben, denn sie übte Nachsicht gegen ihn. Er meinte wohl nichts damit. Er mußte wohl so sprechen wie er sprach. Er war ja nicht wie andre.
„Ach,“ sagte sie gleichgültig. „Nicht so viele, Peter Nord. Wohl kaum einer, der es ernst meinte.“
Aber nun trat wieder eine Wendung zu seinen Gunsten ein. In ihr erwachte plötzlich der Heißhunger der Kranken nach Mitleid. Sie wollte das Mitgefühl, die Zärtlichkeit haben, die der arme Arbeiter ihr schenken konnte, es war ihr ein Bedürfnis, lange in der Nähe dieser tiefen, uneigennützigen Teilnahme zu weilen. Die Kranken können ja an derlei nie genug haben. Sie wollte sie in seinen Blicken und in seinem ganzen Wesen lesen. Worte waren ihr gleichgültig.
„Es macht mir Freude, Sie hier zu sehen,“ sagte sie. „Bleiben Sie noch ein Weilchen sitzen und erzählen Sie, wie es Ihnen in diesen sechs Jahren ergangen ist.“
Während er sprach, lag sie da und schlürfte dieses Unsagbare ein, was von ihm zu ihr strömte. Sie hörte und hörte nicht. Aber durch irgendeine wunderbare Sympathie fühlte sie sich gestärkt und belebt.
Übrigens machten ihr auch seine Erzählungen Eindruck. Sie führten sie in die Arbeiterviertel, in eine neue Welt voll gärender Hoffnungen und Kräfte. Wie man dort glaubte und sich sehnte! Wie man haßte und litt!
„Wie glücklich sind doch die Unterdrückten,“ sagte sie.
In einem Anfall von Lebenslust kam es ihr in den Sinn, daß dies etwas für sie sein könnte, die immer Druck und Zwang brauchte, um das Leben lebenswert zu finden.
„Wenn ich gesund wäre,“ sagte sie, „wäre ich vielleicht mit dahin gegangen. Es wäre schön gewesen, sich zusammen mit jemandem, dem man gut ist, in die Höhe zu arbeiten.“
Peter Nord zuckte zusammen. Hier war ja das Geständnis, auf das er die ganze Zeit gewartet hatte. „Ach, können Sie nicht leben!“ bat er, und er strahlte vor Glück.
Sie wurde aufmerksam. „Das ist ja Liebe,“ sagte sie zu sich selbst. „Und jetzt glaubt er, daß ich auch verliebt bin. Solch ein närrischer Kauz, dieser Wermlandjunge!“
Sie wollte ihn sogleich wieder zur Vernunft bringen, aber etwas lag über Peter Nord an diesem siegreichen Tage, das sie zurückhielt. Sie brachte es nicht übers