Unsichtbare Bande: Erzählungen. Lagerlöf Selma

Unsichtbare Bande: Erzählungen - Lagerlöf Selma


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ihn beschützt. Er hatte nicht weiter als bis in die große Handelsstadt fliehen müssen, denn er wurde gar nicht verfolgt. Und dort im Arbeiterviertel hatte Frau Fastenzeit ihre sichre Wohnstatt. Peter Nord wurde Arbeiter in einer Fabrik. Er wurde stark und energisch. Er wurde ernst und sparsam. Er hatte schmucke Sonntagskleider, er erwarb sich einige Kenntnisse, er lieh sich Bücher aus und ging zu Vorträgen. Eigentlich war von dem kleinen Peter Nord nichts mehr übrig als das flachsblonde Haar und die braunen Augen.

      Diese Nacht hatte etwas in ihm geknickt, und die schwere Arbeit in der Fabrik machte den Riß immer größer, so daß der närrische Wermländer dadurch ganz herausschlüpfen konnte. Er schwätzte kein dummes Zeug mehr, denn in der Fabrik war das Sprechen verboten, und dadurch gewöhnte er sich das Schweigen an. Er machte keine Erfindungen mehr, denn seit er im Ernst Federn und Räder zu bedienen hatte, machten sie ihm keinen Spaß mehr. Er verliebte sich nicht, denn die Frauen des Arbeiterviertels konnten ihn nicht mehr fesseln, seit er die Schönheiten des Städtchens kennen gelernt hatte. Er hatte keine Mäuse, keine Eichhörnchen mehr und nichts, womit er spielen konnte. Er hatte keine Zeit, er sah ein, daß derlei nur unnütz war, und er dachte mit Entsetzen an die Zeit, wo er sich noch mit Gassenjungen gebalgt hatte.

      Peter Nord glaubte nicht, daß das Leben anders sein könnte als grau, grau, grau. Peter Nord langweilte sich immer, aber er war selbst so sehr daran gewöhnt, daß er es gar nicht merkte. Peter Nord war stolz auf sich selbst, weil er so tugendhaft geworden war. Er datierte seine Einkehr von der Nacht, da der Frohsinn ihn verließ und Frau Fastenzeit seine Begleiterin und Freundin ward.

      Doch wie konnte der tugendhafte Peter Nord mitten an einem Arbeitstag in das Städtchen kommen, begleitet von drei Strolchen, die schmutzig und versoffen aussahen?

      Er war doch immer ein guter Junge gewesen, der arme Peter Nord. Und diesen drei Strolchen hatte er immer zu helfen versucht, so gut er es konnte, obwohl er sie verachtete. Er hatte ihnen Holz in ihre elende Baracke gebracht, wenn der Winter sehr hart war, und er hatte ihre Kleider gestopft und geflickt. Diese Kerle hielten wie Brüder zusammen, hauptsächlich weil sie alle drei Peter hießen. Dieser Name vereinte sie fester, als wenn sie wirklich Geschwister gewesen wären. Und nun litten sie es um dieses Namens willen, daß der Knabe ihnen Freundschaftsdienste erwies, und wenn sie am Abend ihren Grog in Ordnung hatten und bequeme Stellungen auf den Holzstühlen einnahmen, warteten sie ihm, der dasaß und die grinsenden Löcher ihrer Strümpfe stopfte, mit Galgenhumor und abenteuerlichen Lügen auf. Das schien Peter Nord Vergnügen zu machen, obgleich er es nicht zugestehen wollte. Diese Kerle waren jetzt für ihn beinahe dasselbe, was einstmals in der Welt die Mäuse gewesen waren.

      Nun geschah es, daß diesen Strolchen allerlei Klatsch aus der kleinen Stadt zu Ohren kam. Und nun nach sechs Jahren brachten sie Peter Nord die Nachricht, daß Halfvorson ihm die fünfzig Kronen absichtlich hingelegt hatte, um ihn als Zeugen unmöglich zu machen. Und ihre Meinung war, daß Peter in das Städtchen ziehen und Halfvorson eine Tracht Prügel geben sollte.

      Aber Peter Nord war klug und besonnen und mit der Weisheit dieser Welt ausgerüstet. Er wollte sich durchaus nicht auf so etwas einlassen.

      Die drei Peter verbreiteten die Geschichte im ganzen Arbeiterviertel. Alle Leute sagten zu Peter Nord: „Geh hin und prügle Halfvorson durch, dann wirst du ins Loch gesteckt, und es gibt einen Prozeß und die Sache kommt in die Zeitungen, und der Kerl ist vor dem ganzen Lande blamiert.“

      Aber Peter Nord wollte nicht. Es konnte ja recht vergnüglich sein, aber Rache ist ein teurer Spaß, und Peter Nord wußte, wie arm das Leben ist. Das Leben gestattet solche Belustigungen nicht.

      Da waren die drei Strolche eines Morgens in aller Frühe zu ihm gekommen und hatten gesagt, jetzt wollten sie an seiner Statt gehen und Halfvorson durchbläuen, denn „Recht müsse Recht bleiben“, sagten sie.

      Und Peter Nord hatte versprochen, sie alle drei totzuschlagen, wenn sie auch nur einen Schritt nach dem Städtchen gingen.

      Da hielt der eine von ihnen, der klein und untersetzt war und der lange Peter hieß, Peter Nord eine Rede.

      „Diese Erde,“ sagte er, „ist ein Apfel, der an einem Faden über einem Feuer hängt, um gebraten zu werden. Mit dem Feuer meine ich die Hölle, Peter Nord. Und der Apfel muß nahe am Feuer hängen, um süß und weich zu werden, aber wenn der Faden reißt und der Apfel in das Feuer fällt, so ist er verdorben. Darum ist der Faden eine sehr wichtige Sache, Peter Nord. Weißt du, was mit dem Faden gemeint ist?“

      „Ich denke, es muß ein Drahtseil sein,“ sagte Peter Nord.

      „Mit dem Faden meine ich die Gerechtigkeit,“ sagte der lange Peter mit düsterm Ernst. „Wenn auf der Erde nicht Gerechtigkeit geschieht, so purzelt alles in das Feuer. Darum darf sich der Rächer der Pflicht zu strafen nicht entziehen, oder, wenn er nicht will, müssen andre gehen.“

      „Es ist das letzte Mal, daß ich euch einen Grog spendiert habe,“ sagte Peter Nord, gänzlich unberührt von der Rede.

      „Ja, da hilft nichts,“ sagte der lange Peter, „Gerechtigkeit muß sein.“

      „Wir tun es nicht, um Dank von dir zu ernten, sondern damit der ehrliche Name Peter nicht in Verruf kommt,“ sagte der eine, der Rollpeter hieß und lang und mürrisch war.

      „So, so, ist der Name so hochgeachtet?“ sagte Peter Nord wegwerfend.

      „Ja, und es ist eine kitzlige Sache, daß sie nun überall in den Gasthäusern sagen, du hättest die fünfzig Kronen doch wohl stehlen wollen, da du nun nicht haben willst, daß der Kaufmann bestraft wird.“

      Dieses Wort traf tief. Peter Nord sprang auf und sagte, nun wolle er gehen und den Kaufmann durchpeitschen.

      „Ja, und wir kommen mit und helfen dir,“ sagten die Strolche.

      Und so zogen sie vier Mann hoch in das Städtchen. Anfangs war Peter Nord mürrisch und grämlich und zorniger über seine Freunde, als über seinen Feind. Doch als er zu der Flußbrücke kam und die Stadt sah, war er ganz verwandelt. Es war, als wäre er dort einem kleinen weinenden Flüchtling begegnet und in diesen hineingeschlüpft. Und je heimischer er in dem alten Peter Nord wurde, desto mehr ward es ihm bewußt, welches blutige Unrecht der Kaufmann ihm angetan hatte. Nicht genug damit, daß er ihn hatte verlocken und ins Unglück stürzen wollen, nein, noch schlimmer, er hatte ihn aus dieser Stadt vertrieben, wo Peter Nord all sein Lebtag hätte Peter Nord bleiben können. Ach, wie fröhlich hatte er es doch damals gehabt. Wie lustig und vergnügt war er gewesen, wie hatte doch sein Herz offengestanden und wie schön war die Welt gewesen! Herrgott, wenn er doch nur hier hätte weiterleben können! Und er dachte an sich selbst, so wie er jetzt war – schweigsam und langweilig, ernst und arbeitsam –, ganz wie an einen verlornen Menschen.

      Nun packte ihn ein wahnsinniger Groll gegen Halfvorson, und statt wie früher hinter den Kameraden einherzugehen, schoß er an ihnen vorbei.

      Aber die Strolche, die nicht nur gekommen waren, um Halfvorson zu strafen, sondern um überhaupt ihrer Wut Luft zu machen, wußten kaum, was sie beginnen sollten. Hier war für einen gereizten Mann nichts zu tun. Es gab keinen Hund, den man hetzen, keinen Straßenkehrer, mit dem man Krakeel anfangen, keinen feinen Herrn, dem man ein Schimpfwort nachschleudern konnte.

      Das Jahr war noch nicht weit vorgeschritten, gerade so weit, daß der Frühling eben in den Sommer überging. Es war die weiße Zeit der Kirschblüten, wo Fliedertrauben hohe, rundbeschnittene Büsche schmücken und die Apfelblüten duften. Diese Männer, die unmittelbar von der Straße und vom Hafen in das Reich der Blumen gekommen waren, fühlten sich wunderlich davon berührt. Drei Paar Fäuste, die bisher entschlossen geballt waren, lösten sich, und drei Paar Absätze donnerten weniger hart gegen das Pflaster.

      Vom Markte aus sahen sie einen Fußpfad, der sich die Hügel hinanschlängelte. Ihm entlang wuchsen junge Kirschbäume, die mit ihren weißen Kronen Bogen und Wölbungen bildeten. Die Wölbungen waren schwebend leicht, und die Zweige unsagbar schwach, alles zart, fein und kindlich.

      Dieser Kirschenweg zog die Blicke der Männer auf sich. Was war dies doch für ein unpraktisches Nest, wo man Kirschbäume dahin pflanzte, wo jedweder die Kirschen nehmen konnte. Die drei Peter hatten die Stadt bisher als einen Herd der Ungerechtigkeit betrachtet, voll Grausamkeit und Tyrannei.


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