Der kleine Ritter. Генрик Сенкевич

Der kleine Ritter - Генрик Сенкевич


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du bist darüber nicht böse?«

      »Ketling ist eine Puppe – ein artiger Kavalier, aber eine Puppe. – Da habe ich mir das Knie an der Deichsel zerschunden, das ist alles!«

      Hier beugte Bärbchen sich nieder und begann das Knie zu reiben, indem sie gleichzeitig Sagloba anblickte; er aber sagte:

      »Um des Himmels willen, sei vorsichtig! Wo rennst du wieder hin?«

      »Zu Christine.«

      »Und was macht sie?«

      »Sie? Seit einiger Zeit küßt sie mich beständig und reibt sich an mir wie eine Katze.«

      »Sage ihr nichts davon, daß sie Ketling erobert hat.«

      »E – he, ob ich das aushalte?«

      Sagloba wußte ganz gut, daß Bärbchen das nicht aushalten würde, gerade darum verbot er es ihr.

      Er ging also weiter, sehr erfreut über seine Schlauheit, und Bärbchen platzte wie eine Bombe in Fräulein Drohojowskas Zimmer.

      »Ich habe mir das Knie zerschunden, und Ketling ist sterblich in dich verliebt!« rief sie gleich an der Schwelle. »Ich habe nicht bemerkt, daß aus dem Wagenschuppen eine Deichsel hervorstand – schwapp, hatt' ich's! Es wurde mir ganz finster vor den Augen, aber es tut nichts. Herr Sagloba hat mich gebeten, dir nichts davon zu sagen. Habe ich nicht gleich gewußt, daß es so kommen wird? Ich hab's gleich gewußt, und du hast ihn mir einreden wollen; sei unbesorgt, man kennt dich! – Es tut noch ein wenig weh. Herrn Nowowiejski habe ich dir nicht einreden mögen, aber Ketling, oho! Der geht nun im ganzen Hause umher, hält sich den Kopf und spricht mit sich selber. Hübsch, Christine, sehr hübsch!«

      »Wie bin ich unglücklich, o wie unglücklich!« rief plötzlich Christine und löste sich in Tränen auf.

      Bärbchen begann sie zu trösten, aber es half nichts, das Mädchen schluchzte und weinte wie nie zuvor in ihrem Leben.

      Wußte doch wirklich im ganzen Hause niemand, wie sehr sie unglücklich war. Seit einigen Tagen war sie in Fieberglut, ihr Gesicht war blaß, ihre Augen hohl, ihre Brust hob und senkte sich in kurzen Atemstößen; es war etwas Seltsames mit ihr vorgegangen. Wie eine plötzliche Krankheit war es über sie gekommen, nicht langsam zunehmend, sondern auf einmal, wie ein Sturmwind, wie ein Orkan hatte es sie mit sich gerissen, wie eine Flamme hatte es ihr Blut erhitzt, wie ein Blitz ihre Einbildung grell geblendet. Nicht einen Augenblick hatte sie vermocht, dieser Kraft Widerstand zu leisten, die so unbarmherzig plötzlich über sie hereingebrochen war. Die Ruhe hatte sie verlassen, ihr Wille war wie ein flügellahmer Vogel …

      Sie wußte selbst nicht, ob sie Ketling liebe, ob sie ihn hasse, und eine furchtbare Angst vor dieser Frage hatte sie ergriffen; aber sie fühlte, daß ihr Herz nur durch ihn in so schnellen Schlägen pochte, daß ihr Kopf so haltlos nur an ihn denke, daß alles in ihr über ihn, von ihm erfüllt war. Und es gab keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Es wäre ihr leichter gewesen, ihn nicht zu lieben, als an ihn nicht zu denken, denn ihre Augen waren von seinem Anblick trunken, ihre Ohren von seiner Stimme berauscht, ihre ganze Seele voll von ihm … Der Schlaf befreite sie nicht von diesem Aufdringlichen, denn kaum hatte sie die Augen geschlossen, so neigte sich sein Antlitz über sie und flüsterte: Du bist mir teurer als ein Königreich, als ein Szepter, als Ruhm und Reichtümer … und dieses Haupt war so nah, daß selbst in der dunklen Nacht eine blutige Röte die Stirn des Mädchens übergoß. Sie war aus Reußenland, und ihr Blut war heiß, in ihrer Brust tobten unbekannte Gluten – von deren Dasein sie bisher nichts gewußt hatte, und unter deren Feuer sie zugleich Angst und Scham und eine große Zaghaftigkeit und Schwäche ergriff, die schmerzlich und süß war. Auch die Nacht brachte ihr keine Ruhe. Es hatte sie eine immer wachsende Müdigkeit ergriffen, wie nach einer schweren Arbeit.

      »Christine, Christine, was ist mit dir geschehen!« rief sie sich selber zu. Aber sie war wie in einer Betäubung und in einer beständigen Sinnlosigkeit.

      Noch war nichts geschehen, hatte sich nichts ereignet. Sie hatte mit Ketling allein noch nicht zwei Worte gewechselt, und obgleich der Gedanke an ihn sie ganz und gar erfaßt hatte, so flüsterte ihr doch ein unbestimmter Instinkt beständig zu: Hüte dich, weiche ihm aus … und sie wich ihm aus.

      Daß sie mit Wolodyjowski versprochen war, daran hatte sie bis jetzt nicht gedacht, und das war ihr Glück; sie hatte darum nicht daran gedacht, weil bisher nichts geschehen war, und weil sie an niemand dachte, weder an sich noch an andere, sondern nur an Ketling.

      Und sie verbarg das in tiefer Seele; nur der Gedanke, daß niemand ahnte, was in ihr vorging, daß niemand sie mit Ketling in Verbindung brachte, war für sie eine große Erleichterung gewesen. Plötzlich überzeugten sie Bärbchens Worte, daß es anders sei, daß die Menschen sie schon beobachteten, daß man sie in Gedanken schon mit ihm in Verbindung bringe, daß man ahne, und so hatten Kummer, Schmach und Schmerz zusammen ihren Willen gebrochen, und sie brach wie ein kleines Kind in Tränen aus.

      Bärbchens Worte aber waren nur der Anfang der unzähligen Anspielungen, der bedeutungsvollen Blicke, des Augenzwinkerns und Kopfschüttelns, und endlich all der zweischneidigen Worte, die sie über sich mußte ergehen lassen. Gleich bei Tische begann das.

      Die Frau Truchseß ließ ihren Blick von ihr zu Ketling und von Ketling zu ihr hinüberschweifen, was sie vorher nicht getan hatte. Herr Sagloba hüstelte bedeutungsvoll; bisweilen ward das Gespräch unterbrochen, ohne daß man wußte warum, und es trat Schweigen ein; und einmal rief Bärbchen während einer solchen Pause in ihrer Zerstreutheit über den ganzen Tisch:

      »Ich weiß etwas, aber ich sage es nicht.«

      Über Christinens Gesicht ergoß sich plötzlich glühende Röte: dann wurde sie blaß, als wäre eine drohende Gefahr an ihr vorübergegangen. Auch Ketling neigte den Kopf, beide empfanden sehr wohl, daß von ihnen die Rede war, und obgleich sie jede Unterhaltung miteinander vermieden, obwohl sie sich hütete, ihn anzublicken, war es doch für beide klar, daß zwischen ihnen etwas vorgehe, daß eine unbestimmte, gemeinsame Verlegenheit entstehe, welche sie verbindet, und gleichzeitig voneinander entfernt, weil sie dadurch ihre Freiheit verlieren und einander nicht mehr gewöhnliche Freunde sein können. Zum Glück für sie hatte kein Mensch Aufmerksamkeit für Bärbchens Worte, denn Sagloba rüstete sich zu einem Gange in die Stadt und sollte in zahlreicher adliger Gesellschaft zurückkehren, und das beschäftigte alle.

      Am Abend erglänzte Ketlings Häuschen in hellem Lichte. Es waren viele Offiziere gekommen und Musik, die der höfliche Wirt zur Unterhaltung der Damen bestellt hatte. Tanz konnte man zwar nicht veranstalten, denn die große Faste und Ketlings Trauer gestatteten es nicht; aber man lauschte der Kapelle und vergnügte sich durch Unterhaltung. Die Damen hatten sich prächtig gekleidet, Frau Truchseß war in orientalischer Seide erschienen, der kleine Heiduck hatte sich buntfarbig geschmückt und stach den Soldaten mit seinem rosigen Mündchen und dem hellen Stirnhaar, das alle Augenblicke über die Wimpern fiel, in die Augen, erregte Lachen durch die Entschiedenheit seiner Rede und setzte sie in Erstaunen durch ein Benehmen, in welchem kosakische Kühnheit sich mit ungezwungener Anmut paarten.

      Christine, deren Trauer um den Vater zu Ende ging, trug ein weißes, silberdurchwirktes Kleid. Die Ritter verglichen sie, die einen mit Juno, die anderen mit Diana, aber keiner näherte sich ihr zu sehr, keiner strich den Schnurrbart, keiner machte Kratzfüße, keiner warf die Frackschöße in die Höhe; keiner blickte sie mit blitzenden Augen an, keiner wechselte mit ihr süße Worte. Indessen hatten sie gleich bemerkt, daß diejenigen, welche sie mit Bewunderung und Hochachtung anschauten, dann gleich auf Ketling hinblickten, daß einige an ihn herantraten und ihm die Hände drückten, als wünschten sie ihm Glück, daß er die Arme hochzog und die Hände spreizte, als wiese er etwas von sich. Christine, die von Natur scharfsinnig und wachsam war, hatte die fast sichere Überzeugung, daß sie mit ihm über sie sprächen, daß sie sie beinahe als seine Verlobte betrachteten. Und da sie nicht ahnen konnte, daß Herr Sagloba schon jedem von den Gästen etwas ins Ohr geflüstert hatte, so konnte sie nicht begreifen, woher jene Vermutungen der Leute kämen.

      »Steht mir etwas auf der Stirn geschrieben?« dachte sie beunruhigt, beschämt und besorgt.

      Da trafen Worte ihr Ohr, die zwar nicht an sie gerichtet


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