Die Ströme des Namenlos. Emma Waiblinger

Die Ströme des Namenlos - Emma Waiblinger


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jerem,« lachte sie, »bis zu meiner fünfzehnten Stelle hab ich's noch gezählt; seither lass' ich's bleiben. Als ich eine Woche in der Fremde war, bin ich einmal rittlings das Treppengeländer hinuntergerutscht, und die vier Kinder, die ich hüten sollte, hinten nach. Ach, es war elend schön! Nur wurden wir unten von der Frau abgefaßt und ich bekam eine an die Ohren – da bin ich ihr im Zorn aus dem Dienst gelaufen. Ich bin auch einmal ein Vierteljahr lang bei einer Seiltänzertruppe gewesen!«

      »Aber sind Sie denn in Ihrer jetzigen Stellung befriedigt?« fragte ich lachend.

      »Vollkommen. Sehen Sie, der Mensch muß halt auf seine Kosten kommen. Meine alte Regierungsrätin ist ein liebes Schaf; ich habe es gut bei ihr und sie kann noch hundert Jahre alt werden. Und sie ist stocktaub, wissen Sie, das ist himmlisch! Ich kann den ganzen Tag singen und juchzen und Mundharmonika spielen und sie hört kein Schnäuferlein; wenn ich ihr Antwort geben soll, muß ich's auf eine Tafel schreiben. Und dann – es gibt einfach im ganzen Land kein so schönes, altes, köstliches Haus mehr an einen Fluß hingebaut wie dieses. Das werden Sie auch noch herauskriegen, wenn Sie sich wahrscheinlich jetzt erst nur drüber freuen, daß keine Kutterkiste im Hause ist, weil man alles ins Wasser schmeißt. Aushalten werden Sie's schon. Die Gunhild ist anständig.«

      »Anständig –?« fragte ich. »Ich meine, sie sei wunder, wunderschön.«

      »Nein, was die Ansichten verschieden sind! Ich kann sie nicht schmecken! Haben Sie sie auch schon einmal lachen oder schimpfen oder jammern hören?«

      »Es braucht doch nicht jeder sein Herz auf der Zunge zu tragen,« sagte ich.

      »O, Sie können ruhig sein, die Gunhild hat überhaupt keins. Es ist bei ihr ein Kieselbatzen statt einer Seele im Leib.«

      »Sie ist so schön und fein und stolz,« sagte ich nachdenklich. »Ich glaube, sie hat mehr Seele als eins von uns. Es wird eben tiefer bei ihr liegen als bei andern Leuten und sie wird nicht wollen, daß jeder hineinsehen kann.«

      »Ach, wissen Sie, wenn's so tief ist, dann lassen wir's lieber liegen!«

      Da mußte ich lachen, wie sie mich so drollig treuherzig dabei ansah. Sie erzählte, sie heiße Urschel Pfannenschmid und sei da oben bei Heidenheim irgendwo zu Hause.

      »Seltsam,« sagte ich, »ich hätte eher gedacht, Sie seien Italienerin oder etwas ähnliches!«

      Sie nickte. »Es wird auch so sein. Wissen Sie, die Zigeuner fuhren einmal im Galopp durch unsern Ort und ein Kindle fiel hinten aus einem Wagen heraus und blieb liegen. Da fand's die Schulmeisterin und zog es auf; das bin ich. Jetzt sagt sie natürlich, ich sei ihr Eigenes!«

      Ich wußte nicht recht, war das zu glauben oder nicht.

      Urschel aber stand auf und ging zum Fenster, wo sie in den Fluß hinuntersah, stieß die kräftigen, braunen Arme gegen die Decke und sagte halb lachend, halb seufzend: »Ach, ich spür's doch in allen Gliedern, daß ich eine Zigeunerin bin. Es liegt mir eine Unrast und eine Musik und ein Tanz im Blut, das treibt mich unablässig zu Streichen und Dummheiten und Lumpereien. Die Leute legen mir's als Leichtsinn und Bosheit aus, es ist aber nichts als Musik und Zigeunertum, man kann nichts dagegen tun.

      Das Schönste und das Gräßlichste aber ist die Sehnsucht, zu wandern und in die Fremde zu ziehen. O, wenn ich nachts den Fluß höre und den Wind wehen, bringt es mich fast um vor brennender Lust, in die Ferne zu gehen. Zur Tröstung habe ich mir einen großen, feinen Atlas gekauft; da sitze ich abends oft darüber und mache schöne Reisen, nach Indien oder nach Südamerika; – Sie müssen einmal zu mir herüberkommen, ich möchte Ihnen meine Sachen zeigen.«

      Wir blieben den Abend beieinander und saßen unter dem Fenster in die geruhige Dämmerung hinein. Urschel war doch ein prächtiges Mädchen, schwätzte, lachte, und war voller Witz und seltsamer Einfälle. Als wir uns dann getrennt hatten, spät in der Nacht, und ich eben zu Bett gehen wollte, klopfte es noch einmal an meine Kammertür; Urschel stand draußen im Unterrock, ein langer schwarzer Zopf hing ihr über den weißen Hemdärmel herein, und sie sagte fröhlich: »Ich habe etwas vergessen! Wissen Sie, Agnes, ich möchte gern Du zu Dir sagen!«

      Und sie streckte mir ihre warme Hand hin.

      Von da aber war unsere Freundschaft geschlossen; ich fand in Urschel einen Menschen, wie ich ihn so prachtvoll und natürlich und heiter nimmer gesehen habe.

      Ueberhaupt war mein Leben damals so hell und leicht wie noch nie. Ich genoß die heimliche Schönheit des grünen Flusses, der sommerschweren Kastanien und die des alten, hohen Hauses mit dankbaren, empfänglichen Sinnen. Die Arbeit ging mir gern und flink von der Hand, ich spürte, daß sie mir guttat, und der schönen Frau dienen zu dürfen, war allein schon eine immerwährende Seligkeit, die alle Mühe leicht machte.

      Urschel's warmherzigem, spring-lebendigem Wesen stand die Frau freilich fast kalt und seelenlos gegenüber, aber ich glaube, dies war nur eine seltene Selbstbeherrschung, die durch eine feine, sorgfältige Erziehung zur vollendeten Vornehmheit geworden war. Was ich einst an Elsbeth bewundert und geliebt hatte, jene köstliche Würde, die sich niemals etwas vergibt und jener adelige Stolz, der klugen, schönen Geschöpfen manchmal eigen ist, das fand ich nun bei Gunhild wieder zu einem wahrhaften Königinnentum gereift.

      Um Gunhild herum war ein seltsamer Duft oder Schimmer, den ich später nirgends mehr gefunden habe, nur in Träumen meine ich manchmal noch, ihn zu spüren, und es wird mir wunderbar wohl dabei. Er hing in ihrem Haar, an ihren Kleidern, er wehte durch ihre Zimmer und lag über dem kleinen alten Garten neben dem Haus, wo sie im Sommer saß und las oder nähte. Es war eine reinliche, helle Kühle, eine klare, seltsam leichte Luft und jedesmal, wenn ich sie atmete, kam eine kindliche Fröhlichkeit und Dankbarkeit über mich; ich war wunschlos und von Herzen glücklich, daß ich in dem guten Lichte stehen durfte, das von Gunhild ausging.

      Nur ein oder zweimal kann ich mich von diesem ersten Jahr, das ich bei ihr diente, erinnern, daß mich eine leise, dunkle Gewalt von Liebe und schmerzlicher Leidenschaft erfaßte, in der ich Gunhild schweigend näher kam und da auch sie ihre Kühle und Vornehmheit abstreifte und mir in einer sonderbar köstlichen Art ihre Zuneigung zeigte.

      – Im Mai mußte ich einmal an einem warmen Regenabend Frau Gunhild von einer Gesellschaft abholen. Ich hatte mit Urschel Dummheiten getrieben, gelacht und am Schluß gestritten und ging nun müde und heiß durch das laue, feuchte Dunkel der Platanenallee; der Wind ging in den Bäumen, die Tropfen fielen schwer und lässig durch die Blätter und von den nächtlichen Gärten kam eine verlorene süße Luft herüber. Mit jedem Schritt fiel die Müdigkeit mehr von mir ab; die Schönheit der Nacht brachte mich in eine leise Erregung, und in einer seltsamen sehnsüchtigen Freude dachte ich daran, daß ich nachher an Frau Gunhild's Seite noch einmal und mit doppelter Lust unter diesen Bäumen gehen dürfe.

      Als ich aus der Allee heraustrat, sah ich, daß es aufgehört hatte zu regnen. Da war auch das Haus, ein breites Licht fiel aus der Glastüre in die Nacht hinaus, aus einem offenen Fenster hörte man Musik und lachende Stimmen. Ich trat abseits in den Schatten; und auf einmal kam mir der Wunsch, es möchte doch wieder anfangen zu regnen. Dann würde Gunhild den Schirm, den ich ihr gebracht hatte, nehmen und mich bitten, mit darunter zu kommen, da ich nicht auch einen bei mir hatte. Der Gedanke aber, so gedrängt nah bei der schönen Frau zu sein, brachte mich in eine plötzliche Seligkeit und beglückende Unruhe, wie ich sie kaum zuvor gespürt hatte.

      Ich mußte lange warten. Endlich ging die Haustür auf; Gunhild kam eine hell erleuchtete Treppe herab, sie trug ein paar Blumen in der Hand und sah festlich schön und vornehmer aus als je; unten verabschiedete sie sich von jemand, lächelte und trat dann spähend vor das Haus.

      »Ah, Agnes, hier sind Sie! Nicht wahr, Sie mußten warten? Das tut mir leid, ich kann nichts dafür!«

      »Oh,« sagte ich beglückt, daß sie so lieb zu mir war, »die Zeit ist mir nicht lang geworden. Ich habe an etwas sehr Schönes gedacht.«

      »An was denn, darf ich's wissen?«

      Da sagte ich ihr, daß ich wünsche, es möchte wieder regnen; und wie schön ich es mir dächte, mit ihr zusammen unter einem Schirm durch die dunkle Allee zu gehen.

      Und als ich es gesagt hatte, kam ich mir auf einmal maßlos frech vor und war erschrocken


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