Die Ströme des Namenlos. Emma Waiblinger

Die Ströme des Namenlos - Emma Waiblinger


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aufspannte und sich zum Gehen wandte, fiel das Licht vom Hause her noch einmal hell über ihr Gesicht: ich sah, daß sie lächelte, ein wenig belustigt, aber strahlend gütig und lieb; dann gingen wir durch die Allee, über die Brücke und in einer stillen, dunklen Straße nach Hause. Und keines sprach ein Wort; aber ich meine, es sei mir nie reiner und wohler zu Mut gewesen als bei jenem stummen nächtlichen Gang, da meine Liebe so reich und erfüllt war durch Gunhild's Lächeln und ihre köstliche Nähe.

      Als ich die Haustüre aufschloß, trat sie plötzlich neben mich, faßte mich unter dem Kinn und bog mein Gesicht zu ihrem herauf, indem sie warm und leise fragte: »Sind Sie nun glücklich?«

      »Ja,« sagte ich, und suchte im Dunkeln das Licht ihrer Augen zu sehen, »ich bin sehr, sehr glücklich!«

      Dann gingen wir ins Haus.

      – Am nächsten Tag war Frau Gunhild kühl, vornehm und ruhig wie immer. Das tat mir weh und wenn ich in ihre Nähe kam, war ich verwirrt und befangen. Ich wurde nicht klug aus ihr. Was war nun ihr wahres Wesen – ihre zurückhaltende Herbe oder die zarte, hingebende Güte jener Nacht?

      Diese Zwiespältigkeit warf mir einen bösen Schatten über ihr Bild und quälte und bedrückte mich besonders abends stark, so daß ich der lustigen Urschel oft unmutig weglief, ihre Witze blöd und geschmacklos fand und dann noch stundenlang jämmerlich einsam in meiner Kammer saß und schließlich traurig zu Bette ging.

      Und da geschah es oft noch spät vor dem Einschlafen, daß ich in einer plötzlichen Klarheit das Bild der lieben Frau vor mir schweben sah, ungetrübt, tröstlich süß und heiter lächelnd; ich hörte ihre Stimme wie damals in der Nacht: »Sind Sie glücklich?« – Ich spürte ihre Nähe, ich atmete ihre Luft, und ich lag still und beseligt in ihrem Lichte. Und ich nahm gern den ganzen verquälten Tag auf mich, um dieser flüchtigen, wonnig schönen Augenblicke willen.

      Einmal lag ich mitten in der Nacht wach und meinte plötzlich, unten im Hause ihre Schritte gehört zu haben, eilte hinab und sah sie aus der Küche kommen, in einem langen, weißen Nachtkleid, ein Tuch und ein brennendes Licht in der Hand. – Sie erschrak, als sie mich sah. »Agnes! Warum schlafen Sie nicht?«

      Ich fragte, ob ich ihr nicht irgend etwas tun könne, ob sie nicht wohl sei, und ich sah sie voller Angst an und konnte nicht hindern, daß mir ein Zittern über die Glieder lief. –

      »Ich habe ein wenig Kopfweh gehabt und konnte nicht einschlafen. Nun habe ich mir ein nasses Tuch geholt, das ist alles!«

      Sie stellte den Leuchter weg und sah mich klar und lieb, aber ohne Lächeln an. – »Ich muß einmal mit Ihnen reden, Kind. Sehen Sie, Sie meinen wohl, ich merke nicht, wie Sie mich liebhaben und an mich denken und einen Engel oder Halbgott oder sonst irgend ein vollkommenes Wesen in mir erblicken. Nicht wahr? – Ich sehe und merke und spüre das alles, und es ist mir leid. Es freut mich immer, wenn ein Mensch mich gern hat; aber so wie Sie mich lieben, ist es nicht recht. Sie vergeuden ihre besten Kräfte und Gefühle ohne Nutzen und Ziel mit dieser törichten Schwärmerei, und im Grunde haben Sie gar nichts davon. Das müssen Sie sich selber sagen!

      Ich meine, wenn man jemand liebhaben will, muß man erst in sich selber fest geworden sein und gelernt haben, auf eine gute Art seine Kämpfe und Leiden zu verschweigen und zu verwinden. Sehen Sie, Agnes, Sie sind noch so jung und so gewöhnt, Ihren Stimmungen und Neigungen nachzugeben und sie wichtig zu nehmen, es geht ja allen jungen Leuten so. Aber wenn man älter wird, sieht man ein, wie töricht und egoistisch das ist. Man muß immer mehr lernen, an allem Schicksal nur das zu sehen, was einen gut und tüchtig macht, und sich mit dem andern, Haß und Verdruß und überlaufende Freude oder Schwärmereien, still und ruhig abzufinden, bis man es bezwungen hat und darüber steht. Im Grunde ist das Leben auch einfach und gar nicht so viel dran wie wir oft in der Jugend meinen!« – Sie fuhr sich müde über die Stirn.

      Wir waren eine Weile still.

      »Ach, gnädige Frau,« sagte ich, »so wie Sie das meinen, werde ich's niemals können. Wenn etwas schön ist, muß ich mich halt dran freuen und wenn ich traurig bin, kann ich's nicht verbergen. Und – ich habe Sie eben so sehr lieb und weiß mir nimmer zu helfen!«

      Das letzte sagte ich ganz leise und fast ungewollt und die Augen standen mir voll Tränen.

      Da legte mir Gunhild ihre Hand auf den Kopf, ganz fest und schwer. Ein anderes wäre mir vielleicht übers Haar gefahren oder hätte mich gestreichelt, aber es war wohl ihre Art so, und in ihrem Gesicht war wieder das schöne, verzeihende Lächeln, daß es mich heiß und selig überlief.

      »O, Kind,« sagte sie, »ich glaube, Sie sind ein kleiner Dichter und Schwärmer, und Ihnen ist nicht zu helfen; solche Leute macht man nimmer anders!«

      Dann nahm sie ihren Leuchter und nickte mir zu. »Gute Nacht! Und schlafen Sie gleich, ich will es auch so machen!« – Ich lief wie im Traum die Treppe hinauf, legte mich ins Bett und schlief wundervoll fest. Und am Morgen war ich noch im gleichen Traum befangen; immer meinte ich, Gunhild's Hand auf meinem Kopf zu spüren und sah in einem seltsamen Geflimmer ihr schönes, lächelndes Gesicht deutlich und nahe.

      Drei oder vier köstliche Tage ging ich in dem seligen Rausch und Halbschlaf, bis ich jäh und traurig davon erwachte. Es war an einem Abend; ich saß mit Urschel unter dem Kammerfenster, träumte vor mich hin und hörte dabei vergnüglich mit halbem Ohr auf ihre munteren Schnurren hin, bis sie auf einmal, über den Fluß hinüberdeutend, sagte:

      »Guck einmal, da kommt deine Schneegans – Schneekönigin wollte ich sagen.« –

      Da drüben ging Frau Gunhild unter den Kastanien, es war nahe und noch hell genug, um ihr blasses, vornehmes Gesicht zu erkennen, das mir nie so kühl und fremd und abweisend schien wie in diesem Augenblick. Sie trug ein reiches, weißes Kleid, und wie sie so allein mit ihrem sonderbar langsamen Gang durch die abendliche Allee schritt, hatte sie etwas unheimlich Gestorbenes, fast Gespensterhaftes an sich.

      Ich weiß nun nicht, was es war: Urschel's blöder Witz oder der Fluß, der so dunkel und tief und trennend zwischen mir und der geliebten Frau war oder ihr verändertes Wesen – mit einemmal zerstob der schöne Traum von dem Lächeln, es wurde mir unnennbar beklommen und jammervoll elend zu Mut, ich stöhnte und lief aufheulend aus der Kammer.

      Plötzlich begriff ich, daß ich dieser Frau niemals nahekommen konnte; sie würde mir nie, nie von Herzen zugetan sein, so wie es mein brennender Wunsch war; und ich liebte sie doch so zäh und unablässig und leidenschaftlich, so – wie es nur ein Kind meines Vaters tun kann.

      Ich lag ein paar Stunden in einem Winkel unter dem Dach, ganz verstört und zerschlagen, mein Liebesjammer schüttelte mich wie ein körperlicher Schmerz, dazwischen stöhnte ich und schrie leise ihren Namen, bis ich endlich erschöpft und still und todestraurig zu Bette ging.

      – Ich mochte vielleicht eine Viertelstunde gelegen sein, als leise meine Tür aufging und Urschel hereinkam. Sie setzte sich stillschweigend zu mir aufs Bett und fing an, ganz sanft und tröstend einschläfernd auf ihrer Mundharmonika zu spielen.

      Ich mußte in all meiner Betrübnis lächeln. Der Tollpatsch konnte doch rührend lieb sein! Ich ließ sie eine Weile spielen; das Dunkel der Nacht, die warme Nähe eines Menschen, der mich zu trösten versuchte und die sanfte Musik gingen mir streichelnd über die erregte Seele, bis ich langsam ruhiger wurde.

      Als sie aufhörte, zog ich sie neben mich aufs Kissen und erzählte ihr leise meine ganze Liebe zu Gunhild, vom ersten Blick an bis dahin, wo sie zu mir sagte, ich sei ein Dichter und gehöre somit zu einem Menschenschlag, bei dem eben in Gottesnamen das Schwärmen und Spinnen und Sinnieren zum Handwerk gehöre und nichts dagegen zu tun sei. Da unterbrach sie mich.

      – »Die Gunhild ist ein Ladstock! Bilde dir nur ja nicht ein, du seist etwas Besonderes oder gar etwas Rechtes. Du bist so ein kreuzfades Gestell, daß du einem bloß leidtun kannst. Ich kann's jetzt nimmer länger mit ansehen, du wirst ja krank dabei. Von jetzt ab gehst du alle Sonntage mit mir in den Wald, – abends will ich dich tanzen lehren und morgen früh wecke ich dich um fünf Uhr zum Nachenfahren und Baden, daß deine Grillen versaufen, und im Winter laufen wir Schlittschuh und fahren die Steige hinunter, bis dir der Dusel vergeht. Kannst du schwimmen? Ja? – Ach, das ist dein erster gescheiter Gedanke!« – – –

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