Aus der Praxis. Wilhelm Walloth

Aus der Praxis - Wilhelm Walloth


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schwieg und überlegte, ob er nicht besser tun werde, seine Hände gänzlich aus diesem gefährlichen Spiel zu lassen, aber ein Blick in das bleiche Gesicht seines Freundes stieß diesen Vorsatz sogleich wieder um. Hier musste Rettung geschaffen werden, rief eine Stimme seines Innern, er fühlte, dass ihn die Zerstörung dieses unverfälschten, einst so lebensfrohen Gemüts tiefer erschüttern werde, als alles, was ihm seither Schmerzliches begegnet, obgleich er sich nicht zu erklären wusste, weshalb er eigentlich diesen lebhaften Anteil an Paul nahm. So entschloss er sich denn mit der Tollkühnheit der Ratlosigkeit.

      »Hören Sie,« stieß er hervor, ohne recht zu wissen, was er sagte, »da kam eine Dame zu mir in mein Sprechzimmer; sie wusste, dass ich den Maler Paul Steinacher in Behandlung habe, sie will diesen hübschen Menschen irgendwo gesehen haben und —« er zögerte einen Augenblick, neigte dann den Kopf und fügte schelmisch lächelnd hinzu: »nun warum soll ich es nicht offen heraussagen, aus der Art, wie mich die Dame über Sie ausfrug, ging hervor, dass sie eine lebhafte Neigung zu Ihnen gefasst hat.«

      Paul schüttelte ungläubig lächelnd den Kopf.

      »Was Sie nicht sagen,« warf er hin.

      »Die Dame ist sehr wohlhabend,« fuhr der Arzt, ob seiner Fälschung der Wahrheit ein wenig errötend, fort, »die Dame ist eine große Verehrerin der Kunst – kurzum – warum soll ich damit zögern —? Sie haben es ja längst erraten – die Dame, die erfuhr, Sie seien krank, seien in schlechten Verhältnissen, die Dame frug mich, auf welche Weise sie Ihnen nützlich sein könnte, ob sie etwas für Sie tun könne, ja sie ging noch weiter!«

      »Bin ich dieser Dame in der Tat so interessant?« frug der Jüngling mit naivem Erstaunen.

      Doktor Kahler nickte.

      »Sie glaubt in Ihnen eine lebhafte Neigung voraussehen zu dürfen,« fuhr er fort, immer unruhiger auf seinem Stuhle hin und her rückend, »Fräulein Emma Pöhn lässt nun durch mich anfragen, ob sie sich betreffs dieser Neigung keiner Täuschung hingibt –«

      Paul unterbrach den Sprecher.

      »Das wird immer besser,« lachte er auf und der Arzt, durch dieses Lachen aus dem Zusammenhang gebracht, sah verwirrt zu Boden, während Pauls Stirne sich auf einmal zu verfinstern begann.

      »Nun, nun, mein Freund,« meinte der Arzt mit unsicherer Stimme nach einiger Zeit, »die Sache ist keineswegs lächerlich. Sie kennen die Macht, die der Künstler auf das weibliche Gemüt ausübt, Sie haben auch schon von den extravaganten Leidenschaften vornehmer Damen gehört. Warum soll eine solche Dame sich nicht in Sie verlieben dürfen? Was ist da erstaunlich? Warum soll sie eine solche Liebe nicht gestehen dürfen? Ich sehe überdies nicht ein, warum man dem Glück, wenn es endlich einmal eintreten will, verdrossen die Türe schließen soll. Ob sich nun Fräulein Pöhn betreffs Ihrer Neigung täuscht oder nicht, jedenfalls sucht sie eine Annäherung und es wäre Torheit von Ihnen, mein Freund, wollten Sie eine Neigung, durch die Sie mit einem Schlage aller Nahrungssorgen enthoben wären, zurückweisen. Wie gesagt, die Dame ist sehr reich, und —«

      Paul richtete sich hastig von seinem Lager empor.

      »Nicht weiter, mein Freund,« unterbrach er den Sprecher, indem die Blässe seiner Wangen in erschreckender Weise zunahm und er rascher Atem holte, »ich kenne dieses Fräulein nicht, aber auch wenn ich sie kennte, und wäre auch ihre Neigung so tief, wie Sie sagten, und gäbe sie mir auch die Mittel an die Hand, glücklich zu werden, – nie —«

      Er brach ab, fuhr sich mit der Hand seufzend durch die schwarzen, feuchten Locken und sank ermattet auf die Kissen zurück. Doktor Kahler schaute äußerst beklommen drein.

      »Sie wissen noch nicht alles, mein Freund,« stammelte nach einiger Zeit der Maler kaum hörbar.

      Doktor Kahler hatte die Photographie Emma Pöhns, welche ihm diese, ehe sie beide von Hause wegfuhren, eingehändigt, aus seinem Portefeuille genommen, hielt das Bild jetzt in der Hand und sah mit verlegen fragendem Blick zu dem in die Kissen Gesunkenen hinüber.

      »Wie? Was weiß ich nicht?« frug er erstaunt, indes eine Ahnung in ihm aufstieg, als er des Kranken geisterbleiche Miene genauer beobachtete.

      »Ach! Doktor,« fuhr jener nach einiger Zeit leise, fast verschämt fort, »ehe ich das Gift nahm – o Gott! Ich will es Ihnen gestehen – nicht allein meine Armut war schuld an der verzweifelten Tat —«

      »Was?« rief der Arzt, als der Kranke abbrach, »sollte auch hier wieder einmal – die alte Geschichte – welche Torheit —!«

      Er schwieg, als wolle er sich ärgerlich zeigen, und betrachtete dann den tief Atem holenden Freund, mit melancholischem Lächeln. Der Patient schwieg lange Zeit, das Gesicht mit beiden Händen bedeckend, als schäme er sich, seine Gemütsbewegung zu zeigen.

      Nach einer längeren Pause sprach der Doktor mit weicher Stimme und in fragendem Tone das Wort: »Liebe« aus, worauf Paul wie erschrocken emporfuhr und den Freund mit seinen großen, schmerzlich leuchtenden Augen ansah.

      »Nicht wahr, das ist Torheit?« sagte er, wie über sich selbst entrüstet, »ich weiß, es ist Torheit! Aber sehen Sie, uns Künstlern haftet ein einmal gesehenes interessantes Gesicht so tief im Gedächtnis, dass wir uns von dem liebgewonnenen Phantasiebilde nicht mehr zu trennen vermögen, dass es von unserem ganzen Wesen Besitz ergreift, uns völlig ausfüllt. Es war an jenem Tage, da ich hungrig und sehr erschöpft nach dem Schlosse wandelte, um in der Gemälde-Ausstellung mich durch geistige Genüsse für die Entbehrung der körperlichen zu entschädigen; das ist so meine Art, ich suche und finde Trost bei den toten Bildern, die sich vor meinen Blicken beleben. Ich war so ermattet, dass ich kaum die Treppe hinaufklimmen konnte, wandelte dann wie betäubt durch die Säle und suchte, indem ich zuweilen von meiner letzten Semmel aß, meine traurige Gemütsstimmung mittelst der Phantasiewelt, die mich umgab, zu verscheuchen. Ich brauche Ihnen meinen jämmerlichen Zustand nicht weiter auszumalen, nur das will ich hinzufügen, dass ein abscheulicher Menschenhass mir diesmal zu schaffen machte und der Gedanke, was andere in der Kunst geleistet und mir unerreichbar bleiben sollte, mich diesmal ganz besonders bitter stimmte. Im letzten Saale traf ich eine Dame, deren geistvoll schöne Gesichtszüge mir trotz meiner Sinnenverwirrung auffielen. Sie stand vor einem modernen Bilde, einer Hero, und ihr ernstes, von tiefer Glut beseeltes Auge schien mehr in sich hinein als auf das Bild zu sehen. Die Dame redete mich an und ich gab ihr, meinen Schwächezustand so gut es gehen wollte bemäntelnd, Antwort. Ich weiß nicht mehr ausführlich, was sie frug und was ich antwortete, nur so viel weiß ich, dass sie mich einmal, da ihr wahrscheinlich mein schlechtes Aussehen auffiel, mit sanfter Stimme frug: ob ich krank sei. Ich schüttelte natürlich den Kopf, obgleich ich kaum auf den Füßen stehen konnte. Trotzdem ich die Welt wie durch einen Schleier sah und mir die Ohren summten, bewegte ihre weiche Stimme, der mitleidige, so geistvolle Blick, den sie auf mir ruhen ließ, mein Innerstes. Kam es mir nur so vor, oder verhielt es sich in Wirklichkeit so, es schien mir, als wollte sie mir ein Anerbieten betreffs pekuniärer Aushilfe machen, als wage sie dies jedoch nicht. Die mitleidige Art, in der sie mit mir sprach, flößte mir seltsamer Weise ein tiefes, geradezu peinliches Mitleid mit mir selbst ein, ich glaube, ich konnte meine Tränen nicht länger beherrschen; ich benahm mich in dem nervösen Zustande, der mich befallen, beinahe kindisch. Ich weiß nicht, wie es kam, wahrscheinlich stand ich nicht mehr fest auf den Füßen, ich glaube, sie hielt mich am Arme, oder tat sonst etwas, kurzum, ich saß auf einmal in einem der Sessel, die zu allgemeinem Gebrauch aufgestellt sind. Die ganze Szene ist mir übrigens in einen Nebel gehüllt, ich könnte sie ebenso gut geträumt haben. Ich sah noch ihr bestürztes, seltsam schönes Auge in mein Auge blicken, hörte noch ihr Gemurmel: ›der arme Mensch!‹ Dann mag ich wohl die Besinnung verloren haben, ich fand mich später, wohl von einem der Saaldiener dorthin gebracht, auf der Steintreppe des Schlosses. Als ich nach meinem Taschentuch griff, um mir den kalten Schweiß von der Stirne zu wischen, fand ich zwei Fünfmarkscheine in der Tasche. Wie ich nach Hause kam, weiß ich nicht, doch es ergriff mich zu Hause in meinen kahlen, liebeleeren Wänden eine solche Sehnsucht nach der edelherzigen Freundin und zugleich ein so überwältigendes Mitleid mit mir selbst, dass ich —« Paul hielt inne, die Tränen drangen ihm in die Augen, seine Stimme zitterte, »nun, Doktor, Sie wissen am besten,« fuhr er, sich gewaltsam fassend, fort, »was alsdann geschah.«

      Da


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