Der Graf von Monte Christo. Александр Дюма

Der Graf von Monte Christo - Александр Дюма


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ungefähr einem Jahre?«

      »Und man hat ihn gleich bei seinem Eintritt in diesen Kerker gesetzt?«

      »Nein, mein Herr, sondern erst nachdem er den Schließer hatte töten wollen, der ihm sein Essen brachte.«

      »Er wollte den Schließer töten?«

      »Ja, mein Herr, den Menschen, der uns leuchtet. Nicht wahr, Antoine?« fragte der Gouverneur.«

      »Allerdings, er wollte mich umbringen.« antwortete der Schließer.

      »Der Bursche ist also ein Narr?«

      »Es ist noch viel schlimmer,« sprach der Schließer, »er ist ein Teufel.«

      »Wollen Sie, daß ich Klage über ihn führe?« fragte der Inspector den Gouverneur.

      »Es bedarf dessen nicht, mein Herr, er ist so hinreichend bestraft. Überdies grenzt sein Zustand gegenwärtig an Narrheit, und nach der Erfahrung, die unsere Beobachtungen uns an die Hand geben, wird er, ehe ein weiteres Jahr vergeht, verrückt sein.«

      »Meiner Treue, desto besser für ihn,« sprach der Inspector. »Ist er einmal ein völliger Narr, so wird er weniger leiden.«

      Dieser Inspector war, wie man sieht, ein Mann voll Menschenfreundlichkeit und ganz würdig der ihm übertragenen philanthropischen Function.

      »Sie haben recht, mein Herr,« sagte der Gouverneur, »und Ihre Bemerkung beweist, daß Sie diese Materie gründlich studierten. So haben wir in einem Kerker, der von diesem nur durch etwa zwanzig Faß getrennt ist, und in welchen man auf einer andern Treppe hinabsteigt, einen alten Abbé, einen ehemaligen Parteiführer in Italien. Er ist seit 1811 hier, wurde gegen das Ende des Jahres 1813 verrückt, und seit dieser Zeit ist er körperlich nicht mehr zu erkennen: früher weinte er, jetzt lacht er; früher magerte er ab, jetzt wird er fett. Wollen Sie ihn lieber sehen, als diesen? Seine Narrheit ist belustigend und wird uns daher nicht mißstimmen,«

      »Ich werde den Einen und den Andern sehen,« antwortete der Inspector, »man muß sein Geschäft gewissenhaft treiben.«

      Der Inspector war auf seiner ersten Rundreife begriffen und wollte der Behörde einen guten Begriff von sich geben.

      »Gehen wir also zuerst zu diesem hinein,« fügte er bei.

      »Nach Ihrem Belieben,« antwortete der Gouverneur; er machte dem Schließer ein Zeichen, und dieser öffnete die Thüre.

      Bei dem klirren der schweren Schlösser, bei dem Ächzen der verrosteten Angeln, welche sich auf ihren Zapfen drehten, erhob, in eine Ecke seines Kerkers gekauert, wo er mit unendlichem Entzücken den dünnen Strahl des Tages empfing, der durch ein schmales, vergittertes Luftloch drang, Dantes sein Haupt.

      Bei dem Anblicke eines unbekannten, von zwei Schließern, welche Fackeln trugen, beleuchteten und von zwei Soldaten begleiteten Mannes, mit dem der Gouverneur den Hut in der Hand sprach, erriet Dantes, um was es sich handelte, und sprang, da er sah, daß sich ihm endlich eine Gelegenheit bot, eine höhere Behörde anzuflehen, mit gefalteten Händen vorwärts.

      Die Soldaten kreuzten sogleich das Bajonnet, denn sie glaubten, der Gefangene stürze in böser Absicht auf den Inspector los.

      Der Inspector selbst machte einen Schritt rückwärts.

      Dantes sah. daß man ihn als einen zu fürchtenden Menschen dargestellt hatte.

      Da sammelte er in seinem Blicke Alles, was das Herz des Menschen an Sanftheit und Demuth zu enthalten vermag, und suchte, sich mit einer gewissen frommen Beredsamkeit ausdrückend, welche die Anwesenden in Erstaunen setzte, die Seele des hohen Beamten zu rühren.

      Der Inspector hörte die Rede von Dantes bis zum Ende an.

      »Er wird zur Frömmigkeit übergehen,« sprach er hierauf, sich zum Gouverneur umwendend, mit halber Stimme; »bereits ist er geneigt zu sanfteren Gefühlen. Sehen Sie. die Furcht bringt ihre Wirkung auf ihn hervor; er ist vor den Bajonetten zurückgewichen; ein Narr aber weicht vor nichts zurück: ich habe über diesen Gegenstand in Charenton seltsame Beobachtungen angestellt.«

      Dann sich an den Gefangenen wendend, fragte er diesen:

      »Was verlangen Sie im Ganzen?«

      »Ich verlange zu wissen. welches Verbrechen ich begangen habe; ich verlange, daß man mir Richter gibt; ich verlange, daß mein Prozeß eingeleitet wird; ich verlange, daß man mich erschießt, wenn ich schuldig bin, aber auch, daß man mich in Freiheit setzt, wenn ich. unschuldig bin.«

      »Bekommen Sie gute Speise?« fragte der Inspector.

      »Ja, ich glaube, ich weiß es nicht. Doch daran ist wenig gelegen. Aber was nicht allein mich, den armen Gefangenen, sondern auch alle Justizbeamten. und sogar den König, welcher regiert, berichten muß, ist, daß ein Unschuldiger nicht das Opfer einer schändlichen Denunciation sein und nicht seine Henker verfluchend eingekerkert bleiben soll.«

      »Sie sind heute sehr demütig,« sagte der Gouverneur, »Sie waren nicht immer so. Sie sprachen ganz anders mein lieber Freund, an dem Tage, wo Sie Ihren Wärter ermorden wollten.«

      »Das ist wahr, mein Herr,« antwortete Dantes, »und ich bitte diesen Mann um Verzeihung, denn er ist stets gut gegen mich gewesen; aber was wollen Sie? ich war verrückt, ich war wütend.«

      »Und Sie sind es nicht mehr?«

      »Nein, mein Herr; denn die Gefangenschaft hat mich gebeugt, gebrochen. vernichtet . . . Es ist schon so lange, daß ich hier bin!«

      »So lange? . . . und um welche Zeit sind Sie verhaftet worden? fragte der Inspector.

      »Am 28. Februar 1815 um zwei Uhr Nachmittags.«

      Der Inspector rechnete.

      »Wir haben den 30. Juli 1816; was sagen Sie? Sie sind erst seit siebzehn Monaten gefangen.«

      »Siebzehn Monate! Oh! mein Herr, Sie wissen nicht, was siebzehn Monate Gefängnis sind; siebzehn Jahre, siebzehn Jahrhunderte, besonders für einen Menschen, der, wie ich, seinem Glücke so nahe stand, für einen Menschen, der, wie ich, ein geliebtes Wesen heiraten sollte, für einen Menschen, der eine ehrenvolle Laufbahn vor sich offen sah. und dem jetzt Alles entrissen ist, der mitten aus dem schönsten Tage in die tiefste Nacht fällt, der seine Zukunft zerstört sieht, der nicht weiß, ob diejenige, welche er liebte, ihn noch liebt, der nicht weiß, ob sein alter Vater gestorben ist oder lebt! Siebzehn Monate Gefängnis für einen Menschen, der an die Luft des Meeres, an die Unabhängigkeit des Seemannes, an den Raum, an die Unermeßlichkeit, an die Unendlichkeit gewöhnt ist, mein Herr! Siebzehn Monate Gefängnis, das ist mehr, als alle Verbrechen verdienen, welche die menschliche Sprache mit den gefährlichsten Namen bezeichnet! Haben Sie daher Mitleid mit mir, mein Herr, und verlangen Sie für mich, nicht Nachsicht, sondern Strenge, nicht Gnade, sondern ein Gericht: Richter, mein Herr, ich verlange nur Richter, man kann einem Angeklagten die Richter nicht verweigern.«

      »Es ist gut,« sprach der Inspector, »man wird sehen.«

      Dann sich gegen den Gouverneur umwendend:

      »In der Tat, der arme Teufel dauert mich; wenn wir hinaufkommen, werden Sie mir das Gefangenen-Register in Beziehung auf ihn zeigen.«

      »Ganz gewiss!« antwortete der Gouverneur; »aber Sie werden furchtbare Noten gegen ihn finden.«

      »Mein Herr,« fuhr Dantes fort, »ich weiß, daß Sie mich nicht durch eigene Entscheidung freilassen können; doch Sie sind im stande, meine Bitte der Behörde zu übergeben, Sie können eine Untersuchung hervorrufen, mich vor ein Gericht versetzen, ein Gericht, das ist Alles, was ich fordere: ich will wissen, welches Verbrechen ich begangen habe, und zu welcher Strafe ich verurteilt bin. Denn sehen Sie, die Ungewissheit ist die schlimmste von allen Strafen.«

      »Leuchtet mir,« sprach der Inspector.

      »Mein Herr,« rief Dantes, »ich entnehme dem Tone Ihrer Stimme, daß Sie bewegt sind. Mein Herr sagen Sie mir, daß ich hoffen darf.«

      »Ich kann Ihnen das nicht sagen,« antwortete der Inspector, »ich verspreche Ihnen nur, daß ich die Sie betreffenden Akten untersuchen werde.«

      »Oh!


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