Memoiren einer Favorite. Александр Дюма
seinige. Er warf mir einen letzten Blick zu, ergriff Sir Harrys Arm und war mit ihm der letzte, der das Zimmer verließ.
Als die Tür sich hinter ihm schloß, fühlte ich mich so einsam und so bedrückt, als ob ich mich in der Gruft der Capulets befunden hätte.
Ich bewunderte, während ich zugleich erschrak, die seltsamen Verkettungen, womit das Schicksal die verschiedenen Episoden meines Lebens miteinander in Verbindung brachte, ohne daß mein Wille irgendwelchen Anteil daran hatte.
In der Tat hatte ich jenen unbekannten Künstler, jenen bescheidenen Sir Harry, der nur wie ein Phantom mitten in der Finsternis an mir vorübergegangen war und auch nur die Spur eines solchen hinterlassen hatte, beinahe vergessen. Plötzlich kommt Sir John auf den Einfall, seinen Freunden einen Begriff von meinem mimischen Talent zu geben. Ich spiele die Wahnsinnsszene der Ophelia. Man bittet mich, dieselbe zu wiederholen. Ich erbiete mich, wenn jemand mitspielen will, die eine oder die andere der beiden Liebesszenen aus »Romeo und Julia« aufzuführen. Niemand weiß die eine oder die andere auswendig. Einer von Sir Johns Freunden nennt Sir Harry Feathersons Namen. Dieser Name Harry macht mich stutzig. Sir Harry Featherson, der seit sechs Monaten verreist gewesen, ist seit kaum zwei oder drei Tagen zurückgekehrt. Der Admiral Sir John Payne beauftragt Sir George, ihn einzuladen. Er kommt und der Zufall, das Verhängnis will, daß Sir Harry Featherson und der Student Harry ein und dieselbe Person sind.
Was hatte ich mir bei diesem allem vorzuwerfen? Nichts, außer höchstens die Gefühle, die ich bei seinem Anblick, bei seinen Worten, bei seiner Berührung empfunden. Stand es aber wohl in meiner Macht, diese Gefühle zu empfinden oder nicht? Und war es nicht schon viel, daß ich die Kraft hatte, sie zu bemeistern?
Welche Einwirkung sollte diese neue Begegnung auf mein Leben äußern? Was dies betraf, so war ich fest entschlossen, die Verantwortlichkeit dafür nicht auf mich zu nehmen.
Ich hatte Sir John alles gesagt. Ich wollte ihm nun auch bei seiner Nachhausekunft sagen, von welcher Art die Empfindungen seien, welche Sir Harrys Nähe mir eingeflößt.
An ihm war es dann, über mein Leben zu entscheiden, indem er mich entweder von London entfernte oder mir erlaubte zu bleiben und folglich Sir Harry wiederzusehen.
Bei diesem Entschluß blieb ich stehen. Ich empfand für Sir John nicht das, was man eigentlich Liebe nennt, wohl aber war ich durchdrungen von Hochachtung wegen seines edelmütigen Charakters und von Dankbarkeit für seine mir bewiesene Güte und Freigebigkeit. Ihn täuschen, dies würde für mich, wie ich recht wohl fühlte, ewige Reue zur Folge gehabt haben.
Nachdem ich einmal diesen Entschluß gefaßt, fühlte ich mich ruhiger. Sir Johns Hand, dies wußte ich bestimmt, leitete mich sicherlich wie die eines Freundes, und ohne sein eigenes Interesse zu Rate zu ziehen, wählte er für mich die am wenigsten schmerzliche Bahn.
Ich verließ das Gewächshaus, kehrte in mein Zimmer zurück, kleidete mich aus und legte mich nieder. Da er mir gesagt, er würde, wenn es ihm möglich wäre, wieder nach Hause kommen, so erwartete ich ihn, denn ich war überzeugt, daß er sein Wort halten würde.
Ich fühlte jedoch, daß die Nacht für das Geständnis, welches ich ihm abzulegen hatte, niemals dunkel genug sein würde, und deshalb löschte ich alle Lichter aus, selbst das Nachtlicht.
Es verging ziemlich lange Zeit, während welcher meine Zofe und die andern Dienstleute sich zu Bett begaben. Ich hörte die Uhr eins, dann zwei schlagen, ohne daß es mir in der Ungeduld des Wartens und bei den vielen Gedanken, die mich beschäftigten, gelungen wäre, einzuschlafen.
Es hatte eben halb drei geschlagen, als es mir war, als hörte ich das Geräusch eines sich behutsam bewegenden Trittes auf dem Fußboden, dann hörte ich wie die Tür des an mein Schlafzimmer stoßenden Toilettekabinetts sich leise öffnete, dann trat ein Augenblick Schweigen ein.
Ich zweifelte nicht, daß es Sir John wäre, welcher wieder nach Hause käme. Er hatte den Schlüssel zu dem äußern Tor des Hotels, um zu jeder Stunde ins Haus gelangen zu können, und er überraschte mich auf diese Weise sehr oft.
Einen Augenblick lang schien der Entschluß, den ich gefaßt, nahe daran, wieder in den Hintergrund zu treten; ich raffte jedoch alle meine Willenskraft und, wenn ich so sagen darf, meine ganze Redlichkeit zusammen.
Endlich öffnete sich die Tür. Das Kabinett war ebenso finster wie mein Schlafzimmer. Er näherte sich daher tastend und durch meine Stimme geleitet, meinem Bett. Er schloß mich in seine Arme, ich drängte ihn aber sanft zurück, indem ich ihm sagte, ich hätte ihm ein Geständnis zu tun.
Hierauf erzählte ich ihm alle meine Empfindungen vom vorigen Abend ebenso wie von den früheren, von dem Augenblick an, wo ich Sir Harry nennen gehört, bis zu dem, wo ich die Gewißheit erlangt, daß Sir Harry Featherson und mein junger Student aus dem Garten eine und dieselbe Person seien. Ich verhehlte ihm nichts von dem, was ich empfunden, als der falsche Romeo mich mit seinem Arme umschlungen, als sein Mund den meinigen berührt, als er mir endlich jenen Abschiedsgruß zugeworfen, der mir alle Fassung geraubt, und ich ging sogar so weit, ihm zu sagen, daß selbst in diesem Augenblicke, wo ich in seiner Nähe wäre, wo ich in seinen Armen, an seinem Herzen ruhte, Sir Harry es wäre, an den ich dächte und nach dem ich mich sehnte.
Zu meinem großen Erstaunen ward dieses Geständnis durch einen Freudenschrei beantwortet.
Der Mann, welchem ich dieses Geständnis getan, war nämlich nicht Sir John Payne, sondern Sir Harry Featherson.
Ich erkannte ihn an diesem Rufe, an meinem in seinem Delirium tausendmal wiederholten Namen, an dieser Stimme, die mir bis in die Seele drang.
Nach dem Geständnisse, welches ich getan, konnte für mich von Widerstand keine Rede mehr sein, und ich gab mich dem Schicksale hin, welches einmal über mich verhängt war.
Mit zwei Worten erklärte Sir Harry mir die seltsame Verwechselung, welche dem Wunsche meines Herzens so wohl entsprach.
Der Admiral hatte in dem Augenblicke, wo er mit dem Geschwader, welches er kommandierte, nach Amerika abging, meine Liebe zu Sir Harry und Sir Harrys Liebe zu mir recht wohl bemerkt. Man hat seine Fragen und meine Antworten gesehen. Ohne Zweifel hat er sich überzeugen wollen, daß ich ihm die Wahrheit gesagt. Er hatte, als er das Gewächshaus verlassen, Sir Harry beim Arm genommen, ihn mit in seinen Wagen steigen lassen und die Frage sofort mit den Worten zur Sprache gebracht:
»Sie lieben Emma, und Emma liebt Sie?«
Sir Harry hatte ihm hierauf mit derselben Einfachheit wie ich alles gesagt. Sir John hatte einen Augenblick nachgedacht, dann Harrys Hand ergriffen, ihm einen Schlüssel hineingedrückt und dabei bloß die vier Worte gesagt:
»Machen Sie sie glücklich.«
Dann hatte er ihn umarmt und Abschied von ihm genommen. Dieser Schlüssel, den er ihm gegeben, war der zu dem kleinen Hause in Piccadilly. In dem Augenblicke, wo Sir Harry mir diese Geschichte erzählte, war der Admiral bereits in See gegangen und steuerte mit vollen Segeln nach Amerika.
Fünftes Capitel
So verfügte das Schicksal abermals über mich, ohne mir zwischen dem Guten oder dem Schlimmen freie Wahl zu lassen.
Das Haus, welches ich bewohnte, war von Sir John Payne in meinem Namen auf ein Jahr gemietet. Alles, was es enthielt, war deshalb mein, dennoch aber widerstrebte es mir, diese Gemächer, wo mich alles an Sir John Payne erinnerte, mit einem anderen Manne zu bewohnen.
Ich verlor keine Zeit, dies Sir Harry zu sagen, Er sah es ebenso ein als ich, und am nächsten Tage übergab ich, indem ich bloß den Türkis, welchen der Admiral am ersten Tage, wo ich ihn gesehen, mir an den Finger gesteckt und die wenigen Guineen, die sich noch in meiner Börse vorfanden, mitnahm, die Schlüssel des Hauses Sir Johns Intendanten und ging mit Sir Harry in die Wohnung, welche dieser in Brook Street an der Ecke von Grosvenor Square inne hatte.
Sir Harry war kaum dreiundzwanzig Jahre alt. Er war deshalb von dem ganzen Feuer der Jugend beseelt, und da er keine der Rücksichten zu nehmen hatte, welche dem Admirale Sir John Payne durch seine offizielle Stellung geboten wurden, so riß er mich mit sich in den heitern, glänzenden Strudel hinein, welchem er in seiner Eigenschaft als reicher, eleganter Gentleman angehörte.
Das