Ritter von Harmental. Александр Дюма
welche er sich, dem Beispiele Ludwigs XIV. folgend, nur an Sonntagen gestattete. Er drehte einen Hahn und majestätisch erhob sich der Wasserstrahl drei bis vier Fuß in die Höhe. Der gute Mann hatte daran eine so herzliche Freude, daß er mit lauter Stimme fröhlich ein altes Lied zu singen begann, was unserm Chevalier schon als Wiegenlied vorgesungen war; dann rannte er plötzlich an das Fenster und rief mehrmals hinein: »Bathilde! Bathilde!«
Harmental bemerkte jetzt, daß zwischen dem fünften und vierten Stockwerke des Hauses gegenüber, irgend eine architektonische Communication stattfinden müsse, so wie eine Verbindung, von welcher Art sie auch sein mochte, zwischen dem Gartenanbauer und der Sängerin. Da er sich in Folge dessen die Möglichkeit dachte, daß die Musikerin vielleicht auf der Terrasse erscheinen würde und ihr früheres Verstummen ihm einen hinlänglichen Beweis für ihre Schüchternheit gegeben hatte, so schloß er sogleich sein Fenster und zog die Vorhänge desselben zu; wobei er indeß Sorge trug, eine Oeffnung zu lassen, groß genug, um hindurchblicken zu können, ohne selbst gesehen zu werden.
Was er vorausgesehen hatte, traf ein. Nach wenigen Augenblicken zeigte sich im Fenster des Dachstübchens ein ganz allerliebster Mädchenkopf; weiter aber wollte sich die Besitzerin desselben nicht wagen, vermuthlich weil das Terrain, auf welches sich derjenige, der sie gerufen, gewagt hatte, für sie zu feucht war. Das kleine Windspiel, eben so furchtsam als seine Gebieterin, blieb dieser zur Seite, eine kleinen milchweißen Pfoten ruhten auf dem Gesims des Fensters und es schüttelte das niedliche Köpfchen, so als weigere es sich, gleich seiner Herrin, den vielfachen Aufforderungen, sich weiter zu wagen, Folge, zu leisten.
Es entspann sich jetzt ein kleines Gespräch zwischen dem Gartenanbauer und dem jungen Mädchen, so daß Harmental Muße hatte, die Letztere mit um so weniger Zerstreuung zu betrachten, da sein geschlossenes Fenster ihn verhinderte, von der Unterredung etwas zu vernehmen.
Sie schien grade jenes entzückende Alter erreicht zu haben, in welchem das Mädchen vom Kinde zur Jungfrau übergeht, in dem sich bei ihm Gefühl, Anmuth und Schönheit entfalten. Bei dem ersten Blick überzeugte man sich, daß sie nicht weniger als sechzehn und nicht mehr als achtzehn Jahre zähle. Es zeigte sich in ihrem Antlitz eine wundervolle, aber zugleich auch wunderbare Mischung. Das Haar war blond, der Teint blendend weiß, zart und durchsichtig wie der der Engländerinnen, ihr Auge aber war schwarz, ihre Lippen purpurroth, und ihre Zähne perlengleich wie die einer Spanierin.
Der Chevalier stand da wie bezaubert; wirklich hatte er in seinem ganzen Leben nur zwei Arten Weiber geschaut: die runden und rüstigen Frauen zu Nivernais, mit ihren colossalen Füßen, den großen breiten Händen, den kurzen Röcken und gewaltigen Strohhüten; und die Frauen der Pariser Aristokratie, schön allerdings, aber von jener welken Schönheit, welche unter den Nachtwachen und den Vergnügungen gelitten, die den Blumen glichen, welche die Sonne nur durch Fensterscheiben bestrahlt, die frische Morgenluft aber niemals erfrischend umfächelt. Er kannte also noch nicht diesen bürgerlichen Typus, den vermittelnden Typus, um uns dieses Ausdrucks zu bedienen, zwischen der vornehmen, Welt und der Bevölkerung des Landes, welcher die ganze Eleganz der einen, und die ganze frische Gesundheit der andern in sich vereint. Harmental stand, wie wir bereits berichtet haben, wie festgezaubert an seinem Fenster da, und noch lange, nachdem sich der reizende Mädchenkopf wieder zurückgezogen hatte, starrte er zu der Terrasse hinauf, wo die entzückende Erscheinung seinen Augen entschwunden war.
Das Geräusch seiner Thür, welche sich öffnete, entriß ihn seinen süßen Träumereien. Es war die kalte Pastete und der köstliche Wein des Abbé Brigaud, welche jetzt in das Dachstübchen des Ritters von Harmental ihren feierlichen Einzug hielten, Der Anblick dieser Stärkungsmittel erinnerte ihn daran, daß es für den Augenblick andere Dinge für ihn zu thun gäbe, als sich dem beobachtenden Leben zu über lassen, und daß er, einer weit wichtigeren Angelegenheit wegen, dem Capitain Roquefinette ein Rendezvous gegeben habe. Er zog daher seine Uhr hervor, und gewahrt, daß es bereits zehn Uhr say. Dies war, wie der geneigte Leser sich erinnern wird, die verabredete Stunde. Er verabschiedete daher schnell den Ueberbringer der Speisen und Getränke, ordnete, um später nicht der Bedienung des Portiers zu bedürfen, alles auf den Tische, und öffnete alsdann das Fenster wieder, um die Ankunft des Capitains Roquefinette zu erwarten.
Kaum befand er sich einige Augenblicke auf seinem Observatorium, als er auch sofort den würdigen Kriegsmann erschaute, der gerade in diesem Moment die Ecke der Straße Gros-Chenet umschritt; die Nase hoch in der Luft trug, die Hand in die Seite gesetzt hatte, und das martialische bestimmte Wesen zeigt, wie jemand, der gleich dem alten griechischen Philosophen, meint, daß er sein Alles mit sich führe. Sein Hut, dieser Thermometer, an welchem jedermann sofort den finanziellen Zustand seines Herrn erkennen konnte, und der an Tagen, an welchen seine Börse gefüllt war, breit und grade auf seinem Kopfe saß, hatte wieder jene verdächtige schiefe Stellung angenommen, die er, wie sich unsere freundlichen Leser erinnern werden, an jenem Morgen zeigte, als der würdige Capitain Roquefinette mit dem Baron Valef auf dem Pont-Neuf zuerst zusammentraf. Die eine Spitze des Hutes berührte fast die Schulter, während die andere, wenn der Capitain nämlich zu Franklins Zeiten gelebt hätte, diesem die erste Idee zu einem Blitzableiter hätte geben können.
Als ungefähr so das Drittheil der Straße durchschritten war, hob er den Kopf noch mehr und blickte nach allen Seiten um sich, so daß er grade über sich den seiner harrenden Chevalier gewahrte; der Erwartete und der Erwartende wechselten ein Zeichen mit einander, worauf der Capitain der die Entfernung mit einem strategischen Blicke maaß, und sogleich die rechte Thür fand, die Schwelle überschritt, und durch das stille Haus der Madame Denis ging, martialisch und lärmend, so als ob er sich in einer öffentlichen Herberge befinde. Der Chevalier seinerseits schloß jetzt vorsichtig das Fenster wieder und zog bedächtig die Vorhänge desselben zu. Geschah das, damit die schöne Nachbarin ihn nicht in Gesellschaft dieses Capitains schaue, oder damit der Capitain diese nicht erschaue? Wir können darüber dem geneigten Leser keine zuverlässige Auskunft geben.
Nach wenigen Augenblicken vernahm Harmental den Schall der Schritte des Capitains und das Geklirr seines langen Degens, der gegen das Geländer der Treppe schlug. Als er das dritte Stockwerk erreicht hatte, wo das von unten heraufdämmernde Licht fast zu erlöschen begann, befand sich der Capitain in großer Verlegenheit, denn er wußte nicht, ob er dort seine Schritte hemmen, oder noch höher steigen solle.
»Alle Teufel! Chevalier, rief er daher, da Sie mich vermuthlich nicht hierher beschieden haben, damit ich mir hier auf der Treppe den Hals brechen solle, so öffnen Sie doch Ihre Thür, oder singen Sie, damit mir entweder das Tageslicht oder Ihre Stimme den rechten Weg zeige; sonst bin ich durchaus verloren, wie es Theseus im Labyrinth gewesen wäre, hätte er nicht Ariadnens Faden gehabt.«
Darauf begann der Capitain mit lauter Stimme zu singen:
Ariadne, schön" Ariadne mein!
O, wollt Deinen Faden mir verleihn!
Der Chevalier lief sofort zur Thür seines Zimmers und öffnete sie.
»Das lassen ich mir gefallen!« rief der Capitain, dessen Gestalt jetzt in dem Dämmerlichte sichtbar wurde. Die Leiter zu Ihrem Taubenschlage ist pechschwarz wie die Nacht. Doch da bin ich, zur festgesetzten Zeit, pünktlich auf meinem Posten, der Verabredung gemäß, Die Glocke der Kirche la Samaritaine schlug grade zehn, als ich über den Pont-Neuf schritt.«
X.
Der Vertrag
Der Chevalier reichte dem Capitain Roquefinette die Hand hin, und sprach: »Sie sind ein Mann von Wort; aber treten Sie schnell ein, es ist nothwendig, daß unsere Nachbarn nicht aufmerksam auf uns werden.«
»In diesem Falle bin ich stumm wie ein Fisch erwiderte der Capitain; »übrigens haben Sie,« – hier deutete er auf die kalte Pastete und die Weinflaschen, die den Tisch füllten, – »das rechte Mittel gefunden, mir den Mund zu stopfen.«
Der Chevalier schloß die Thür und schob den Riegel vor.
»Ah, wie ich sehe, ein Geheimniß!« rief der Mann mit dem rothen Achselbande, desto besser, ich liebe das Geheimnißvolle, es ist fast immer etwas zu verdienen bei Leuten, die da ihre Rede beginnen mit: »Still, um Gotteswillen, ich bitte, schweigen Sie;« – »in jedem Falle konnten Sie sich an Niemand Besseres wenden, als an Ihren gehorsamen Diener,