Teufel Marietta. Artur Landsberger
– Sein erster Gedanke war: Franz Siewers, sein Freund und Schriftstellerkollege. Der hatte ein goldenes Herz und einen klaren Verstand, während der seine seit einer halben Stunde in hellster Verwirrung war.
Im selben Augenblick war er auch schon am Apparat, stellte die Verbindung her und sprach mit seinem Freunde Dr. Siewers, während Elisabeth und Agate daneben standen und von einem Erstaunen ins andre fielen.
»Also hör’ bloß!« brüllte er, als er die Verbindung hatte, in den Apparat: »Hier ist etwas ganz Entsetzliches passiert; das heißt —« verbesserte er mit einem Blick auf Agate – »eigentlich ist es sehr erfreulich – natürlich! wie solche Dinge immer ihre zwei Seiten haben – frage gar nicht! nein doch! keine Weibersache diesmal, auf Wort nicht! – wenn ich dir doch sage – oder eigentlich doch! – so lach doch nicht so dumm! – nein doch! andersrum! – aber ich hab schon eine Idee! Du mußt mir helfen – du kennst doch Frau von Villiers – nein? na, das macht nichts! – ich hab’ dir jedenfalls von ihr erzählt – ja! eben diese Anni, die müssen wir aufsuchen, die muß helfen – sie ist die Einzige, die dafür in Frage kommt – wofür? – das kann ich dir jetzt nicht sagen – Ich hab’ nämlich augenblicklich Besuch – wen? ach so ne Bagatelle, eine Kinderei, nicht der Rede wert.« – Und auf einen Blick Agates hin verbesserte er: »Das heißt, eine allerliebste Bagatelle, ich meine: ein allerliebstes Kind! – Kunststück, du solltest den Vater kennen! – aber mach schnell und komm – adjes!«
Er hing den Hörer an und fühlte sich schon bedeutend leichter
»Sie haben gehört?« wandte er sich an Agate.
»Gewiß! aber ich habe nichts weiter verstanden, als daß von einer Frau von Villiers die Rede war.«
»Das genügt!« erwiderte Günther, und als Agate ein erstauntes Gesicht machte, fügte er hinzu:
»Wenn ich Ihnen sage, verlassen Sie sich drauf, das genügt! Frau von Villiers wird schon alles in Ordnung bringen.«
»Ich kenne die Dame nicht,« sagte Agate.
»Aber ich!« erwiderte Günther, der sich, – wenn er dann und wann auch noch mal ängstlich zur Tür sah – in Gedanken an Frau von Villiers so sicher fühlte, daß er beinahe schon wieder vergnügt war.
Und als Elisabeth eine Riesen-Meißner Figur, mit der sie bereits seit einer Viertelstunde spielte, in tausend Scherben schlug und Agate eben mit ihr schelten wollte, da zog er, der das längst hatte kommen sehen, das Kind zu sich heran, streichelte es und sagte:
»Laß nur, das macht nichts!«
Elisabeth, deren Furcht vor Strafe sich schnell in helle Freude wandelte, fiel ihm um den Hals und rief:
»Wie gut du bist, Papa!«
Und Günther, der in diesem Augenblick zum ersten Male so etwas wie väterliches Wohlwollen spürte, drückte sie an sich und wollte ihr vor der zu Tränen gerührten Agate eben einen Kuß auf die Lippen drücken, als die Tür sich auftat – und Helene, seine Frau, ins Zimmer trat.
Der Kuß blieb ungeküßt, und Helene, die sonst die Situation – die meist die gleiche war und nur in der Besetzung der weiblichen Hauptrolle eine Veränderung aufwies – mit einem Blick überschaute, tappte diesmal völlig im Dunkeln.
»Das wird ja immer besser!« sagte sie, nur um zu verbergen, wie verblüfft sie war. Denn sie wußte, forderte sie erst eine Erklärung – worin ja immer das Geständnis lag, daß man selbst keine Erklärung hatte – so war ihr findiger Gatte gleich mit einer Fülle von Ausflüchten bei der Hand, von denen sie sich dann nach Belieben eine auswählen konnte.
Aber Günther war ein ebenbürtiger Gegner. Die krankhafte Eifersucht seiner Frau entschuldigte jedes Mittel, das geeignet war, ihn aus dieser verteufelten Situation zu retten. Diese Situation war freilich neu. Aus der Fülle der Erfahrung zu schöpfen und alle Register aufzuziehen, war unmöglich. Siewers und Frau von Villiers, das waren die beiden Namen, an die er sich, als müßte von ihnen die Rettung kommen, immer fester klammerte.
Helene, die seine Verduktheit sah und deutlich fühlte, wie er sich um eine Deutung mühte, sagte bestimmt:
»Gib dir erst gar keine Mühe, eine Erklärung zu finden; ich weiß alles.«
Und das gab den Gedanken Günthers, der überzeugt war, daß sie nichts wußte, die Richtung.
»So ein Unglück!« rief er, warf die Arme in die Höhe und rannte im Zimmer umher. Und da er die Wirkung auf Helene sah, so wiederholte er ein um das andre Mal. »So ein Unglück!«
Noch wußte er nicht, von was für einem Unglück er sprach; aber Helenes Neugier war über die Maßen erregt. Sie fiel aus der Rolle und fragte begierig:
»Was ist denn?«
Günther hatte seinen Zweck erreicht. Er wußte nun, daß sie wie üblich geblufft hatte und in Wirklichkeit nichts mußte. Er steigerte ihre Neugier und sagte:
»Frag gar nicht! Du beschmutzt dich nur!« Und seine Gedanken beschäftigten sich immer intensiver mit Franz Siewers und Frau von Villiers.
Helene hatte einen roten Kopf.
»So rede doch endlich!« drang sie in ihn, und die Neugier sprang ihr aus den Augen. Und da Günther irgend etwas erwidern mußte, so sagte er:
»Wenn du nur die Hälfte von dem wüßtest, was alles vorgeht.«
»Ich wünsche alles zu wissen!« forderte Helene und war jetzt so heftig und bestimmt, daß Günther zu einer Entscheidung gedrängt aufs Geratewohl hin: »Franz Siewers!« sagte.
»Was ist mit Siewers?« fragte Helene und heftete ihre Blicke fest auf ihren Mann.
Es lag ihm auf den Lippen zu sagen: Wieso? was soll mit Siewers sein? nichts ist mit ihm! – Aber Helene, die jeden Ausdruck auf Günthers Gesicht kannte und die meisten seiner Gedanken erriet, noch bevor sie ausgesprochen waren, kam ihm zuvor.
»Also bitte!« sagte sie mit einer Bestimmtheit, der gegenüber es kein Entweichen gab. »Was hat Fritz Siewers mit dem Kinde da zu schaffen?«
Und durch diese Zusammenstellung gab sie ihm, sehr gegen ihren Willen, die einzige Lösung, die ihn retten konnte.
Er war denn auch sofort Herr der Situation. Wie jemand, der vor einer der größten Enttäuschungen seines Lebens stand, bewegte er den Kopf hin und her, sah dabei ganz gegen seine Gewohnheit Helenen fest ins Auge und sagte – scheinbar vor sich hin:
»Wer hätte das auch von Franz Siewers gedacht? – auf dessen Unschuld hätte ich jeden Eid geleistet.«
»Um des Himmels willen!« schrie Helene mit einem Blick auf das Kind – »das ist doch nicht etwa . . .?« Aber Günther, der freudig sah, wie sie darauf einging, tat, als achtete er nicht auf sie und brabbelte vor sich hin:
»Aber da sieht man mal wieder, wie vorsichtig man in seinem Umgang sein muß. Daß man heutzutage niemandem trauen darf.«
Helene riß die Augen weit auf.
»Ist es möglich?« fragte sie und klammerte sich förmlich an Günthers Mund, der alles, was er sagte, nur halblaut vor sich hin sprach; was einmal die Glaubwürdigkeit erhöhte, dann aber auch den Vorteil hatte, daß er von Agate nicht verstanden wurde.
»Niemandem!« wiederholte er jetzt laut, warf einen Blick auf das Kind, das ganz verängstigt neben Agate stand, kehrte ihm dann den Rücken und sagte, als er gerade dicht neben Helene stand: »Aber die Beweise sprechen zu deutlich! Er kann es nicht leugnen, daß es sein Kind ist! der Elende!!«
Und damit war Günther – wenigstens für den Augenblick – gerettet.
Helene, die vor dem Kinde wie vor einem Wunder stand und noch nicht wußte, wie sie sich dazu stellen sollte – man konnte natürlich entrüstet sein, aber vorteilhafter stand es vielleicht einer modernen Frau, wenn sie Verständnis und Teilnahme zeigte – Helene also staunte nur immer und schüttelte den Kopf.
Günther jedoch fand sich schnell in die neue Lage, die aus ihm, dem Angeklagten, den Verteidiger gemacht hatte. Und so sagte er denn, zwar nicht grade keck – dazu fühlte er sich doch noch nicht sicher genug – aber doch