Herd und Schwert. Fritz Skowronnek

Herd und Schwert - Fritz Skowronnek


Скачать книгу
Keimkallen kennen, der ihm bereits am nächsten Tage einen Gegenbesuch machte, aber nicht zur Visitenzeit. Nein, der alte Herr kam nach dem Abendbrot, wie er es früher jeden zweiten Tag zu tun gewohnt war. Er hatte selbst den Platz vor dem Kamin auf der Diele dazu gewählt und erzählte ihm bei mehreren Flaschen Rotwein viel von seinem verstorbenen Freunde.

      Als Kurt nach einigen Stunden seine Müdigkeit nicht unterdrücken konnte, hatte der alte Herr ihm freundlich zugenickt und ihm den Rat gegeben, sich hinzulegen, er selbst würde gerne noch ein Stündchen sich in die Erinnerungen an vergangene Tage vertiefen. Kurt wollte aber nicht so unhöflich sein, seinen Gast allein zu lassen und war schließlich in seinem Sessel sanft eingeschlafen. Er war jetzt immer abends so schrecklich müde und schlief fest und traumlos, bis Jons am Morgen zur festgesetzten Stunde mit der Meldung in sein Zimmer trat, dass das Bad gerüstet sei.

      Dann hatte Kurt Braczkos Neffen, Paul, kennen gelernt, der ein Nebengut seines Onkels bewirtschaftete. Der junge Hüne hatte ihn mit offenen Armen aufgenommen und festgehalten, so dass er erst gegen Abend von seinem Besuch zurückkehrte.

      Auf den Rat der Tante hatte er auch die verwitwete Frau Strawischke auf Schorellen besucht, deren Hauptreichtum in sechs hübschen Töchtern bestand, von denen die jüngste erst 16 und die älteste erst 21 war. Wie die Orgelpfeifen standen sie nebeneinander.

      Und er hatte ein paar sehr angenehme Stunden verlebt, bei einem guten Frühstück, wie es auf dem Lande so üblich ist. Und die frischen Mädel hatten in ungezwungener Natürlichkeit mit ihm geplaudert, wie alte gute Bekannte.

      Als im November das schlechte Wetter mit Wind und Regen einsetzte, bekam er die Tante tagelang nicht zu Gesicht. Sie lag, von Schmerzen geplagt, zu Bett und ließ ihm sagen, wenn er sich anmeldete, sie wollte sich ihm in dieser Verfassung nicht zeigen. Dann spielte er ihr jeden Abend etwas vor und länger, als er es sonst zu tun pflegte.

      Und wieder eines Morgens stand Jons an seinem Bett und meldete mit bebender Stimme, während ihm die Tränen über die Backen liefen:

      »Die gnädige Frau sind heute Nacht sanft entschlafen.«

      Es war Kurt, als wenn ihm die Mutter zum zweiten Mal gestorben wäre. Noch nie hatte er sich so verlassen und einsam gefühlt, selbst nicht, als seine leibliche Mutter kurz nach dem Vater gestorben war.

      Wieder wurde es ein großes Begräbnis.

      Dies Mal kamen viele Menschen nicht bloß aus Neugier, sondern aus ehrlicher Teilnahme, um der Frau, die weit und breit Liebe und Achtung sich erworben, die letzte Ehre zu erweisen.

      Und viele von denen, die ihrem Neffen und Erben auf dem Kirchhof die Hand drückten, fanden ein Wort der richtigen Anerkennung für die seltene Frau, ein Wort, das in seinem Herzen lauten Widerhall fand.

      Der neue Gutsherr kannte die wenigsten seiner Gäste, hatte aber für jeden ein freundliches Wort, hoffte mit jedem in guter, freundlicher Nachbarschaft zu leben und gewann sich die Anerkennung aller durch sein liebenswürdiges Wesen. Namentlich waren es die Damen, die sich schon am Kaffeetisch sehr anerkennend über ihn aussprachen, und unter ihnen waren es insbesondere die Mütter heranwachsender und herangewachsener Töchter, die mit Befriedigung wahrgenommen hatten, dass an des jungen Gutsherrn Hand kein Verlobungsring, geschweige denn ein Ehering steckte. In jedem Falle aber hoffte und vermutete man, dass jetzt eine neue Zeit für Berschkallen beginnen würde, eine Zeit solider Festlichkeiten und regen Verkehrs, wobei man seine Tochter herausstellen konnte.

      Namentlich Frau Strawischke malte sich in Anbetracht dessen, dass sie gleich sechs ganz wunderhübsche Töchter ins Treffen führen konnte, die Zukunft sehr rosig aus, und sie konnte es wahrhaftig brauchen, denn auf Strawischken war es an allem schon recht knapp geworden, vor allem aber am Gelde.

      Natürlich hatte Kurt von Berg keine Ahnung von den Plänen, die für und gegen ihn da geschmiedet wurden, und er musste laut auflachen, als der alte Braczko ihm auf die Schulter klopfte und in seiner angeheitert vertraulichen Art sagte:

      »Nachbar, nehmen Sie sich in Acht. Es wird, wenn nicht alle Zeichen trügen, schon gegen Sie mobil gemacht und alle unsere Gluckhennen da« – und er zeigte auf die Damen hinüber – »sind schon drauf und dran, ihre Küchlein auf Sie loszulassen.«

      »Glauben Sie?« hatte Herr von Berg gefragt, und lächelnd zu den Damen hinübergesehen. »Aber wenn auch, mich bringt’s in keine Gefahr, denn ich bin ein eingefleischter Junggeselle.«

      Da aber hatte Braczko mit einem Auge gezwinkert und gesagt:

      »Nein, nein, glaube ich nicht: die eingefleischtesten Junggesellen sind immer wir verheirateten Leute«, und damit war er gegangen und hatte zu den vielen anderen, die er schon hinter die Binde gegossen hatte, noch einen genommen.

      Sein Neffe aber, der Paul, hatte ihm zugedroht und gesagt:

      »Onkel Braczko, gib Acht, dass du deinen Lötkolben nicht zu tief in das Glas steckst, sonst zischt es, so glüht er schon wieder.«

      »Du verdammter, nichtsnutziger Bengel du!« drohte ihm der Alte, stieß aber gleich darauf mit ihm an und leerte wieder sein Glas.

      Der neue Gutsherr unterhielt sich indessen in recht ernstem Gespräche mit dem Herrn Pastor, erkundigte sich eingehend nach den Beziehungen zwischen Gutsherrschaft und Kirche und zeigte namentlich ein reges Interesse für die Schulverhältnisse.

      Dadurch gewann er sich natürlich auch die rückhaltlose Anerkennung dieses echten Seelsorgers der Gemeinde.

      Am eingehendsten aber sprach er mit dem alten Gutsinspektor von Keimkallen, der nicht genug hervorheben konnte, was für Verdienste sich die eben Verstorbene um Hebung und Vergrößerung und Abrundung des Gutes erworben hatte.

      »So einen Mann, wie die Frau, bekommen wir im Leben nicht wieder,« sagte er. »Freilich ist aber noch immer sehr viel zu tun und viel zu verbessern. Vor allem aber steckt ein verdammter, ekliger Dorn noch im Fleisch Ihres Gutes.«

      »Und der ist?« fragte der Gutsherr.

      »Der Mertinatsche Besitz. Na, Sie werden das ja selbst schon gesehen haben, wie Sie auf dem Gute hier Umschau hielten. Viel hat Frau von Rosen ja schon an sich gebracht, denn die Mertinat hat vieles, nur das Wirtschaften, das hat sie gar nicht verstanden. Die drei Margellen aber, die jetzt darauf sitzen, die halten an dem bisschen fest und lassen nicht locker, so wie mein Hund nicht locker lässt, wenn er einen Schinkenknochen im Maule hat.«

      »Und Sie halten das Einverleiben des Mertinatschen Besitzes in Berschkallen für wünschenswert?«

      »Für eine Notwendigkeit, Herr von Berg. Für eine Lebensfrage für Sie. Aber Sie haben ja selbst Ihre Augen, Sie werden ja sehen.«

      Er sah es auch wirklich.

      So überraschend gut ihm das, unter der Leitung seiner Tante zu einem Mustergute gewordene Berschkallen, in allen seinen Teilen gefiel, so wenig entzückt war er von dem ganz unmotivierten Hineintragen fremden Besitzes in den seinen.

      Grundmoser war natürlich derselben Ansicht, die sich übrigens jedem von selbst aufdrängte.

      »Über kurz oder lang müssen die ollen Margellen die Sache ja doch hergeben. Lange können sie ja nicht mehr machen. Das Gut trägt ja nichts, sondern es frisst. Dass sie raus müssen, ist also, so traurig es für sie ja auch sein mag, nur eine Frage der Zeit. Uns kann es aber nicht gleichgültig sein, in wessen Hände es fällt. Wir müssen’s bekommen. Jeder Dritte würde horrende Preise verlangen, oder womöglich, uns zum Possen, eine Fabrik oder eine Schneidemühle mit rauchendem Schlot hinsetzen, mitten in unser eigenes Herz.«

      »Das darf natürlich in gar keinem Falle geschehen. Der ganze Besitz würde ja dadurch entwertet. Was ist aber dabei zu tun? Kann man ihnen denn nicht einen vernünftigen Preis dafür anbieten?«

      »Sie nehmen keinen, nicht wenn man ihnen das Zehnfache bietet, und so bleibt nur ein Mittel: ausräuchern.«

      »Wie meinen Sie das?«

      »Na, einfach unter der Hand weg die Hypotheken zusammenkaufen und warten, bis sie fällig


Скачать книгу