Familie Dr. Norden Staffel 2 – Arztroman. Patricia Vandenberg
bekanntlich haben die Dinge ja zwei Seiten. Es ist sehr gut, daß du durch deine Operation nicht schreien kannst. So wird niemand auf uns aufmerksam werden, wenn du schön brav bist und nicht nach der Schwester klingelst!« sagte er drohend und schlug ihr hart auf die Finger. Er war mit den Blicken ihrer Hand gefolgt, die suchend nach dem Notruf getastet hatte.
»Was wollen Sie von mir?« wiederholte sie flüsternd, und Tränen der Verzweiflung stiegen ihr in die Augen.
»Das wirst du gleich sehen«, erklärte er heiser. »Hier hinein ins Bad.« Isabel hatte keine Wahl, als er sie grob am Arm packte und aus dem Bett zog. Mit einem Stoß stolperte sie ins Badezimmer, und Welser musterte sie kühl, als er die Tür hinter sich sorgfältig geschlossen hatte.
*
Gutgelaunt und mit einem Strauß Sommerblumen, die er noch schnell beim Klinikfloristen gekauft hatte, machte sich Christoph Bachmann auf den Weg, um sein Versprechen zu halten, das er Isabel auf dem Operationstisch gegeben hatte. Er wunderte sich über sich selbst, da er noch nie der Versuchung nachgegeben hatte, sich mit einer Patientin zu treffen. An Gelegenheiten hatte es nicht gemangelt, da schon viele schöne Frauen mit seiner Hilfe in einen tiefen Schlaf gefallen waren. Manch eine hatte auch vorher versucht, mit ihm zu flirten. Doch mit ihrer besonderen Art hatte
Isabel eine neue Seite in ihm zum Klingen gebracht. Verträumt dachte er an ihr braunes lockiges Haar und die Rehaugen, die ihn so ängstlich angesehen hatte, daß ihm das Herz dabei fast weh getan hatte. Er mußte sie wiedersehen, schon um festzustellen, was von dieser faszinierenden Wirkung noch übrig bleiben würde, wenn Isabel die Operation erst einmal gut überstanden hatte.
Er blieb einen Moment vor der Zimmertür stehen und fuhr sich mit der Hand durch das kurze braune Haar. Eine vorbeieilende Schwester schüttelte lächelnd den Kopf, als sie den erwachsenen Mann schüchtern vor der Tür stehen sah. Das veranlaßte ihn dazu, endlich anzuklopfen. Christoph wunderte sich, daß er keine Antwort erhielt und wiederholte sein Klopfen, diesmal etwas lauter, doch wieder blieb alles still.
Womöglich schläft sie noch, ging es ihm durch den Kopf und wollte schon kehrt machen, als er es sich doch noch anders überlegte. Behutsam öffnete er die Tür und warf einen Blick auf das Bett.
Es war leer. Verwundert trat er ein und sah sich um, da ihm klar war, daß eine Frischoperierte nicht am ersten Tag große Spaziergänge machen würde.
»Isabel?« fragte er in den Raum, um sicherzugehen, sie nicht übersehen zu haben. Doch nichts geschah.
Zitternd stand Isabel an der Wand, und Welser hielt ihr den Mund mit seiner groben Hand zu. Er hatte die Tür des Badezimmers gerade geschlossen, als beide ein Geräusch im Zimmer vernahmen. In Isabels Augen erschien ein hoffnungsvoller Schimmer, doch Welster gab ihr keine Gelegenheit, sich bemerkbar zu machen. Verzweifelt wehrte sie sich gegen seinen harten Griff, doch ihre Kräfte waren nach den Aufregungen der letzten Zeit und der Operation nahezu verbraucht.
Als Achim kurz den Griff lockerte, öffnete sie mit einer letzten Anstrengung den Mund und biß ihn so heftig in den Finger, daß er wütend aufschrie.
In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und Christoph Bachmann erschien im Rahmen. Entsetzt versuchte er, das, was er sah, zu verstehen und es kam ihm zugute, daß Welser ebenso erschrocken war wie er.
Da er als Arzt gewohnt war, mit schwierigen Situationen fertig zu werden, faßte er sich schneller und nutzte die Verwunderung des anderen.
»Schwester, ein Notfall!« rief Chris mit gellender Stimme und es dauerte nur einen Moment, bis sich einige Schwestern um ihn versammelt hatten und über seine Schultern ins Badezimmer starrten.
»Was ist hier los?« fragte die resolute Oberschwester Renate mit einem verständnislosen Blick auf Achim Welser, der sich beeilt hatte, die Situation so harmlos wie möglich erscheinen zu lassen, da er erkannt hatte, daß ein Fluchtversuch zwecklos war.
»Das fragen Sie bitte den Herrn hier«, knurrte Chris böse. »Und informieren Sie Dr. Pfaller. Er ist noch im Haus und soll die Polizei rufen.«
Augenblicklich entfernte sich eine junge Schwester, um die Anweisungen auszuführen.
»Ich habe nur meiner Freundin einen Besuch abgestattet und war ihr behilflich, ins Bad zu gehen. Das wird doch wohl erlaubt sein«, versuchte Welser die Situation zu retten.
»Das ist nicht wahr! Er lügt!« Isabel kauerte tränenüberströmt am Boden, und Chris half ihr behutsam hoch.
»Es ist gut, Isabel. Keiner wird ihm glauben«, versuchte er sie zu beruhigen, während er sie stützend zurück zu ihrem Bett führte.
Nicht lange danach stürmten die Polizisten in die Klinik. Nachdem die Beamten bei der von Falk angegebenen Adresse nur zwei Verdächtige, nicht aber Welser selbst hatten festnehmen können, waren sie über den Fang, den Christoph Bachmann gemacht hatte, sichtlich erfreut. Die Handschellen klickten, und Achim Welser ließ sich widerstandslos abführen. Er war inzwischen in ein anderes Zimmer gebracht worden, so daß sich Dr. Pfaller mit Chris’ Hilfe um Isabel kümmern konnte. Der Schock steckte ihr in den Gliedern, und sie zitterte am ganzen Leib, doch die Operationswunde hatte wie durch ein Wunder keinen Schaden genommen.
Nach einer gründlichen Untersuchung und einer Beruhigungsspritze ließ der Chirurg Chris und Isabel allein.
»Geht es dir besser?« erkundigte sich Christoph und blickte auf das kleine Häuflein Elend, das vor ihm im Bett lag.
»Hauptsache, er ist weg«, flüsterte Isa tapfer. »Alles andere stehe ich schon durch.«
»Am liebsten hätte ich diesen Kerl verprügelt«, knurrte er böse. »Wer ist das?«
»Das ist eine ganz lange Geschichte«, seufzte Isabel schwach. »Ich glaube, die kann ich jetzt nicht erzählen. Ich bin einfach zu müde.«
»Dann schlaf’ dich gesund. Es wird dir guttun.« Eine Woge der Zärtlichkeit überkam Chris, und er mußte sich zurückhalten, um sie nicht zu küssen.
»Aber ich habe Angst vor dem Alleinsein. Bleibst du bei mir, bis ich wieder wach bin?« fragte sie ängstlich.
»So lange du willst«, entgegnete er und nahm behutsam ihre Hand.
Beruhigt schloß Isabel die Augen, um alle Ängste hinter sich zu lassen und in einen heilenden Schlaf zu fallen.
*
Stunde um Stunde verging, und Falk wartete immer noch unverrichteter Dinge auf der Polizeistation, als Helmut Gröschel mit seinen Kollegen von seinem erfolgreichen Einsatz zurückkehrte.
Die Beamten waren bester Laune und machten einige Witze über Welser. Als Falk sie entdeckte, kam Leben in ihn. Er sprang vom Stuhl auf und ging auf Gröschel zu.
»Du meine Güte, Sie habe ich ja ganz vergessen!« rief dieser, als er Falk erkannte, und schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn.
»Haben Sie Welser erwischt?« fragte Falk von Langen. Nach den Stunden des Wartens mußte er jetzt endlich Gewißheit haben.
»Ganz so einfach war es leider nicht, wie wir es uns vorgestellt haben«, gab Helmut Gröschel zu. »Die Wohnung war fast komplett ausgeräumt, als wir dorthin kamen. Aber wir hatten Glück und konnten zwei Verdächtige, die sich noch dort aufhielten, festnehmen. Von Welser selbst fehlte leider jede Spur. Aber dann wurden wir zu einem anderen Einsatz gerufen, der überraschenderweise den gewünschten Erfolg brachte.«
Knapp berichtete er über Welsers Attacke in der Behnisch-Klinik, und Falk wurde blaß.
»Woher wußte er, daß sie dort ist?« fragte er heiser, doch der Polizist zuckte nur mit den Schultern. »Keine Ahnung. Auf alle Fälle haben wir ihn geschnappt. Es wird wohl ein Weilchen dauern, bis er wieder ein freier Mann ist. Seine beiden Komplizen haben inzwischen auch ausgepackt. Sie haben zu viert einen Computerhandel mit gestohlener Ware betrieben und waren gerade dabei, die letzten Dinge in ein sicheres Lager zu bringen, als wir sie gestört haben. Leider war der vierte im Bunde nicht da. Und weder Marx noch Zanker wissen angeblich, wo er steckt.« Gröschel