Karin Bucha Staffel 6 – Liebesroman. Karin Bucha
»Bitte, meine Ungnädigste. Das nächste Mal besser aufpassen. Es könnte leicht ins Auge gehen.«
»Vielen Dank, Herr Berthold«, sagt sie spöttisch und zugleich ohnmächtig. »Ich werde mir eine Hupe anschaffen, um Ärzte, die um die Ecke geschossen kommen, rechtzeitig zu warnen.«
Er lacht hinter ihr her und setzt dann seinen Weg fort. Hm! Auf den Mund gefallen ist sie nicht. Na ja, er versteht ihren Humor. Humorlose Wesen hat er noch nie leiden mögen. Und sie hat welchen.
Beim Mittagessen im Ärztezimmer schielt er über den Tisch hinweg zu ihr hin.
»Sie haben eine ganz nette Beule davongetragen«, wirft er ihr hin. Sie hebt den Blick von ihrem Teller und mustert ihn eingehend.
»Haben Sie schon in den Spiegel gesehen? Ihre Beule ist auch nicht gerade schön.«
Er faßt sich an die Stirn. Tatsächlich, da sitzt etwas, das schmerzt.
Trotzdem macht er eine wegwerfende Handbewegung. »Ist nicht wichtig. Ich habe einen harten Schädel.«
»Das habe ich bereits festgestellt.«
Er lacht sie unbekümmert an. »Teilen wir uns den Schmerz. Geteilter Schmerz ist halber Schmerz.«
»Dafür haben Sie schon gesorgt.«
»Aha«, macht er befriedigt. »Also tut es Ihnen weh?«
»Ich habe auch einen harten Schädel«, gibt sie schnippisch zurück und beugt sich wieder über ihren Teller.
»Gott sei Dank, daß endlich die Brille hin ist«, setzt er die Neckerei fort. »Ohne gefallen Sie mir bedeutend besser.«
Sie sieht ihn erbost an. »Was mache ich mir schon daraus, ob ich Ihnen gefalle oder nicht.«
»Alle Frauen haben Freude daran zu gefallen«, stellte er mit sachlicher Ruhe fest.
»Sie scheinen Erfahrungen darin zu haben.« Sie blitzt ihn an, und er hat diebische Freude daran, sie immer wieder aus ihrer Reserve zu locken.
Er lacht schallend, kein bißchen beleidigt.
»Danke«, sagt er fröhlich. »Ich fasse das als Schmeichelei auf.«
Eleonore ißt verbissen weiter, obgleich ihr jeder Brocken im Halse steckenbleiben will. Er nimmt sie nicht ernst. Er macht sich lustig über sie. Na warte, denkt sie mit kalter Wut. Das werde ich dir gelegentlich heimzahlen.
Sie können ihr Geplänkel nicht weiterführen, da andere Ärzte dazukommen.
Eleonore verschwindet schnell. Immer noch hört sie das jungenhafte Lachen dieses blonden Arztes.
*
Am Abend vor der Abreise nach Paris betritt Amelie das Arbeitszimmer ihres Onkels. Sie ist verlegen, als sie ihm einige Blätter auf den Tisch legt.
»Würdest du das einmal lesen, Onkel Matthias? Ich habe einen Vortrag über Kinderlähmung ausgearbeitet. Meinst du, ich würde ihn halten können, ohne mich zu blamieren?«
Verwundert nimmt er ihre Aufzeichnungen zur Hand. Er ist eben dabei, auf seinem Schreibtisch Ordnung zu schaffen. Außerdem hat er noch eine Besprechung mit seinem Oberarzt. Es geht um den Patienten auf Zimmer 68.
»Laß es hier. Sobald ich Zeit habe, werde ich es lesen«, erwidert er, nickt ihr zu und sortiert weiter.
Damit ist Amelie entlassen. Sie hätte so gern noch ein paar Worte mit ihm darüber gesprochen. Nun, tröstet sie sich, sie wird es tun, wenn er erst gelesen hat.
Kurz bevor Martens das Krankenhaus verläßt, versammelt er nochmals seinen Oberarzt und einige Ärzte, darunter auch Berthold, um sich. Er gibt in seiner knappen, unmißverständlichen Weise letzte Anordnungen. Er weiß, auf seinen Oberarzt kann er sich verlassen. Zuletzt kommt er auf das zu sprechen, was ihm sehr am Herzen liegt.
»Der Zustand des Patienten auf Zimmer 68 gefällt mir nicht.« Er hat die Röntgenaufnahmen, die Professor Munhardt ihm gleichzeitig mit dem Patienten zuschickte, vor sich liegen. »Sehen Sie sich das an. Ich halte von einer Operation nichts. Damit quälen wir den Patienten nur. Ich bin für Amputation.«
Alle sehen sie sich die Aufnahmen an und sind einer Meinung mit dem Professor. »Ich lege Ihnen den Patienten besonders ans Herz, Lenz«, wendet er sich an den Oberarzt, und dieser nickt.
Als der Professor sich verabschiedet hat, gehen Lenz und Berthold gemeinsam den Flur entlang. Sie haben inzwischen das Du ausgetauscht.
»Was hast du, Siegfried?« erkundigt sich Lenz mit einem Seitenblick in das ungewöhnlich ernste Gesicht des Freundes.
»Ich weiß nicht, Wolfram«, antwortet Berthold grüblerisch. »Ich habe mir die Aufnahmen immer wieder angesehen. Ich glaube einfach nicht an Krebs – und von einer Amputation halte ich schon gar nichts.«
»Du bist verrückt«, entfährt es Lenz. »Alles liegt klar. Falls sich der Zustand des Patienten nicht ändert, müssen wir sogar schnell handeln.«
»Der Mann hat Frau und vier Kinder, Wolfram«, gibt Berthold zu bedenken.
»Deshalb müssen wir wenigstens sein Leben retten. Wir können nicht warten, bis Brand dazukommt.« Berthold merkt, daß Lenz entschlossen ist.
»Aber es ist ja auch mit dein Fall«, wirft Lenz noch ein.
Berthold nickt. Nach wenigen Schritten trennen sie sich. Berthold steigt die Treppe hinauf und sucht Zimmer 68 auf.
Hermann Spenger ist augenblicklich schmerzfrei. Noch wirkt die Spritze nach.
Ängstlich sieht er dem sympathischen Arzt entgegen.
»Werde ich mein Bein verlieren?« wendet er sich aufgeregt an Berthold, der sich neben dem Bett niederläßt. Er versucht ein Lächeln, aber es wirkt nicht ganz natürlich.
»Unsinn, Herr Spenger, noch haben Sie es«, beruhigt er den Mann, dessen Augen, tief in den Höhlen liegend, keinen Blick vom Arzt lassen.
»Dieses verdammte Bein«, stößt Spenger angstvoll hervor.
Dr. Berthold hat das Gefühl, daß dieser Mann reden muß, um die würgende Angst loszuwerden. Er läßt ihn weiterreden. Reden beruhigt manchmal. »Mit dem unseligen Unfall begann es. Bis – bis eines Tages der Schmerz im Bein begann. Ich habe nicht viel darauf gegeben. Allmählich wurde es aber schlimmer. Meiner Frau habe ich es verschwiegen. Nachts warf ich mich schmerzgepeinigt und schlaflos im Bett herum. Da wurde meine Frau aufmerksam, und nun mußte ich es ihr sagen. Sie ließ nicht locker, bis ich endlich zum Arzt ging –«
»Wären Sie doch schon früher gegangen«, meint Dr. Berthold trocken, und der Kranke nickt heftig.
»Ja – hätte ich es bloß getan.« Erschöpft legt er den Kopf zur Seite. »Nun sitze ich in der Tinte.«
»Wir werden Sie schon wieder herausholen«, tröstet Berthold voller Zuversicht. »Schlafen Sie jetzt – und vergessen Sie das Grübeln.«
Da keine Antwort kommt, geht Berthold leise hinaus.
*
Punkt neun Uhr morgens erhebt sich der silberne Vogel in die Lüfte. Er hat die erwartungsvolle Amelie und ihren Onkel an Bord.
Verlegen legt er ihr einige Zeitschriften in den Schoß.
»Danke«, sagt sie leise und ist etwas enttäuscht. Sie hätte sich so gern mit ihm unterhalten. Und von ihrem ausgearbeiteten Vortrag hat er auch noch kein Wort gesagt.
Amelie sieht bezaubernd aus. Sie trägt ein gutsitzendes Kostüm und darüber einen kostbaren Mantel, das letzte Geschenk ihrer Mutter.
Matthias Martens ist stolz auf seine schöne Nichte, aber die bewundernden Blicke der übrigen Fluggäste machen ihn schon wieder eifersüchtig.
Amelie blickt zum Fenster hinaus. Unter ihnen ist ein graues Meer von Wolken. Sie fliegen der Sonne entgegen. Es ist ein schönes, erregendes Schauspiel.
Es