Karin Bucha Staffel 6 – Liebesroman. Karin Bucha
wirkt weder arrogant noch spöttisch, sondern herzlich. Man könnte es auch dankbar nennen.
Und als hätte er ihre Gedanken erraten, faßt er über den Tisch hinweg nach ihrer Hand.
»Sie sind mir doch nicht böse, daß ich Sie Amelie nenne?« Und als sie kopfschüttelnd verneint, spricht er endlich das aus, was ihm schon so lange auf dem Herzen lag: »Ich danke Ihnen auch dafür, Amelie. Glauben Sie mir, daß ich erst jetzt von einem Alpdruck befreit bin, da ich Sie so lebendig und gesund vor mir sehe. Auf all meinen Reisen habe ich Sie vor mir gesehen, so, wie ich Sie von der Straße aufhob. Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder froh geworden wäre, hätte ich so viel blühendes Leben ausgelöscht.«
»Aber Sie trugen doch keine Schuld an dem Unfall. Ich war einfach unvorsichtig. Vergessen Sie endlich«, beschwört sie ihn und gibt den warmen Druck seiner Hand zurück.
Stewing versteht angenehm zu plaudern. Er spricht über Dinge, von denen sie, solange sie im Krankenhaus angestellt ist, kaum gehört hat.
Amelie lauscht hingerissen. Sie hat die Arme aufgestützt und das Gesicht in ihre Hände gelegt. Es ist eine lässige, aber sehr anmutige Haltung.
Immer wieder schaut er über den Rand seines Glases hinweg in ihr Gesicht, das schöne, braungebrannte junge Gesicht, von dem man so leicht alle Empfindungen abzulesen vermag.
Ihre Augen mit den dunklen Wimpern sehen ihn unverwandt an. Seine Stimme ist warm und einschläfernd. Es ist wie eine Fahrt auf dem Fluß; das Wasser schlägt monoton an die Bootswand.
Es ist gut in seiner Gesellschaft, denkt sie, und sie lächelt ihm wie einem lieben Bekannten zu.
»Erzählen Sie weiter«, fordert sie ihn auf. »Sie schildern sehr anschaulich.«
Er atmet tief. »Darf ich noch eine Flasche Wein bestellen? Ich finde, dieser Abend muß gefeiert werden.«
»Ich würde einen Mokka vorschlagen. Sie müssen noch fahren.«
»Richtig«, stimmt er ihr sofort zu. »Und ich muß Sie heil abliefern.«
Auch der Mokka vermag nicht, die traumhaft schöne Stimmung, in der sie sich befinden, zu zerstören.
Auf dem Fluß ist noch Leben, obwohl die Dunkelheit hereingebrochen ist und der Himmel sich sternenübersät über ihnen wölbt.
Dr. Stewing hat es wunderbar verstanden, ihr die wenigen Stunden Freizeit ohne Probleme schön zu gestalten. Dafür empfindet sie große Dankbarkeit.
Später fahren sie den Weg am Ufer zurück und biegen dann in die breite Allee ein. Stewing fährt langsam. Auch er genießt diese Fahrt wie ein kostbares Geschenk.
Er hat ihr so viel sagen wollen, aber angesichts dieser klaren blauleuchtenden Augen hat er es nicht fertiggebracht.
Er liefert sie vor dem schmiedeeisernen Tor ab, das noch weit geöffnet ist.
Höflich hilft er ihr beim Aussteigen und küßt zum Abschied ihre Hand.
»Ich danke Ihnen für den schönen Abend«, sagt sie mit Wärme.
»Ich bin es, der zu danken hat«, erwidert er mit vor innerer Erregung etwas rauher Stimme. »Lassen Sie es mich wissen, wenn Sie wieder einmal frei sind. Versprechen Sie es mir?«
»Ich verspreche es. Gute Nacht!«
Leichtfüßig geht sie die kiesbestreute Auffahrt hinan. Unter dem Portal wendet sie sich um. Stewing steht immer noch neben seinem Wagen. Es winkt ihr zu, und sie winkt zurück.
Sie öffnet die Tür, betritt den Vorplatz und dann die Halle.
Sie fährt erschreckt zusammen, als sie ihren Onkel vor dem Kamin sitzen sieht. Allein. Er hat einen Stoß Zeitungen vor sich liegen, die er sofort beiseitelegt, als er Amelie erblickt.
Fast tut er ihr leid. Er macht einen so verlassenen, verlorenen Eindruck. Aber das aufkeimende Mitleid verschwindet so schnell, wie es aufgetaucht ist, als sie ihn sagen hört:
»Na, hast du diesen Doktor Stewing auch vor deinen Triumphwagen gespannt?«
Ihre eben noch strahlenden Augen glitzern böse. »Was hast du gegen Doktor Stewing?«
»Nichts«, erwidert er gedehnt. »Mich wundert nur, wie du es fertigbekommst, alle Männer in dich verliebt zu machen.«
Er betrachtet sie eingehend und muß feststellen, daß dazu nicht viel gehört. Amelie ist wunderschön. In dem blauseidenen duftigen Kleid sieht sie geradezu bezaubernd aus. Er schämt sich plötzlich.
Was hat sie schon von ihrem Leben? Arbeit, viel Arbeit; und was kann sie dafür, daß die Männer hinter ihr herrennen?
Amelie schürzt spöttisch ihre Lippen. »Wenn man dich so reden hört, könnte man fast auf den Gedanken kommen, du seiest eifersüchtig.«
Er lacht auf. Es ist kein gutes Lachen. »Du redest Unsinn, mein Kind.« Das klingt herablassend und macht Amelie wütend. »Schließlich hat deine Mutter dich zu mir geschickt, und ich trage die Verantwortung für dich.«
»Du entschuldigst, Onkel Matthias, aber ich muß darüber lachen. Mit achtundzwanzig Jahren braucht man keinen Vormund mehr. Ich kann sehr gut selbst auf mich aufpassen.« Ihre Augen sprühen. Empörung schnürt ihr fast die Kehle zu. »Bisher habe ich außerdem noch nicht den Eindruck gehabt, daß du dich viel um mich kümmerst. Also kann dir mein Wohl und Wehe doch nicht so viel bedeuten. Und damit du mich nicht mehr zu fragen brauchst: Ich habe die Absicht, noch oft mit Doktor Stewing auszugehen.«
»Weißt du auch, daß Doktor Stewing – verheiratet ist?«
Amelies Augen weiten sich vor Entsetzen. Kraftlos läßt sie sich in einen Sessel fallen. Sie sitzt ganz still, hält die Hände im Schoß gefaltet und blickt zu Boden.
Jetzt tut es ihm leid, daß er ihr die Stimmung zerstören mußte. Aber dieser Dr. Stewing ist ein sympathischer Bursche. Wie schnell könnte Amelie in Herzenskonflikte geraten!
Als sie sich endlich rührt und mit einer kleinen, hilflosen Bewegung über ihre dunklen Locken fährt, möchte er am liebsten zu ihr hingehen, um ihr ein gutes Wort zu sagen.
Schwerfällig erhebt sie sich. Sie ist unter der Sonnenbräune blaß. Über ihre Augen scheint ein Schleier gezogen. Um ihren Mund zuckt es. Mit zitternder Hand zerrt sie ihre Tasche vom Tisch.
»Bist du nun zufrieden, es dir von der Seele geredet zu haben?«
»Schließlich bist du meine Nichte, und ich möchte nicht, daß du ins Gerede kommst«, sagt er gelassen. Dabei ist er gar nicht so ruhig, wie er sich nach außen hin gibt.
»Es tut mir schrecklich leid, daß ich nicht so bin wie du, der du die Moral in Erbpacht hast. Verlangst du nun, daß ich dir dankbar für diese Mitteilung bin?«
»Dankbar«, macht er verächtlich. »Es ist besser, wenn man keine Dankbarkeit verlangt, dann ist man hinterher auch nicht enttäuscht. Ich wollte nur nicht, daß du es aus anderem Munde erfährst. Und vielleicht…« Er sieht sie groß an mit seinem durchdringenden Blick, »… vielleicht richtest du dich danach.«
Das war es also, überlegt Amelie kurz. In Stewings Blick hat es gelegen. Es war der Blick eines hungrigen Menschen, eines Menschen, der etwas sucht und nicht findet.
»Kennst du die Familienverhältnisse näher?« Sie zwingt sich zur Ruhe.
»Soviel mir bekannt ist, lebt er von seiner Frau getrennt.«
»Deshalb also«, flüstert sie vor sich hin. Aber er hat es gehört.
»Was meintest du?«
»Ach, nichts von Bedeutung.« Zögernd geht sie der Treppe zu. Dann wendet sie sich ihm noch einmal zu. »Damit du nicht enttäuscht bist: Ich werde doch noch einmal mit Doktor Stewing ausgehen. Er ist nämlich nicht glücklich. Gute Nacht!«
Unendlich hochmütig hört sie seine Stimme hinter sich.
»Gute Nacht, Glücksspenderin.«