Karin Bucha Staffel 6 – Liebesroman. Karin Bucha
Innere des Wagens.
»Hat es dir gefallen?« fragt er.
»O ja, sehr«, versichert sie eifrig.
Wieder lächelt er vor sich hin, doch diesmal ist es kein gutes Lächeln.
»Das kann ich mir denken, Doktor Berthold versteht es, mit Frauen umzugehen.«
Wie Rauhreif legt es sich auf Amelies Stimmung. Sie beißt sich auf die Lippen, um ihm keine ungezogene Antwort zu geben.
Was er nur gegen Dr. Berthold hat?
Schweigend legen sie den Rest der Fahrt zurück. Martens bringt den Wagen in die Garage, und Amelie wartet, bis er zurückkommt.
Gemeinsam betreten sie die Halle. Beim schwachen Licht einer Wandleuchte sitzt Babette im Sessel vor dem Kamin. Bein Anblick des Professors springt sie wie elektrisiert in die Höhe.
»Gott sei Dank, daß Sie da sind, Herr Professor! Doktor Wendland hat aus dem Krankenhaus angerufen. Sie möchten sofort kommen – eine HerzOperation – es ginge auf Leben und Tod.«
»Wann kam der Anruf?«
Babettes Lippen zittern. »Vor ungefähr fünf Minuten, Herr Professor.«
»Ich fahre sofort ins Krankenhaus«, sagt er entschlossen. »Versuchen Sie, den Oberarzt zu erreichen. Er soll sofort ins Annen-Krankenhaus kommen.«
»Ich habe Ihnen einen Mokka gemacht«, sagt Babette fürsorglich und weist auf den niedrigen Tisch, während sie bereits den Hörer in der Hand hat.
Im Stehen schüttet der Professor eine Tasse des belebenden Getränks in sich hinein. Mit bleichem Gesicht taucht Amelie neben ihm auf.
»Laß mich mit dabeisein, bitte, Onkel Matthias«, fleht sie förmlich. Sekundenlang zögert er, dann nickt er, als sie schnell hinzufügt: »Ich habe noch nie eine Herzoperation mit angesehen.«
»Trink eine Tasse Kaffee«, befiehlt er, »aber rasch. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Amelie gehorcht, und sie kommt erst wieder richtig zur Besinnung, als sie im Krankenhaus neben Dr. Lenz, der sofort herbeigeeilt ist, und ihrem Onkel im Waschraum steht und sich gewissenhaft die Hände reinigt.
»Wie kam es zu der Verletzung?« erkundigt sich der Professor.
»Vermutlich Messerstecherei«, antwortet Dr. Wendland kurz.
»Diese Idioten«, erbost sich Martens. »Stechen sich gegenseitig tot. Natürlich wieder wegen irgendeines Frauenzimmers.«
Martens ist in die bereitgehaltene Operationskleidung geschlüpft.
Wie schnell sich doch eine Szene verändern kann. Soeben gab es noch warmes, gedämpftes Licht, dezentes Stimmengewirr und Lachen und eine Musik, die ins Blut ging – jetzt kommt Amelie alles gespenstisch vor: Die Ärzte mit ihren Masken, die lautlose Stille.
Mit Spannung beobachtet sie durch eine Glasscheibe, wie die Hand des Professors zum Skalpell greift, das die Oberschwester ihm wortlos reicht. Es bedarf überhaupt keiner Worte zwischen ihnen. Sie haben diese Operation unzählige Male durchgeführt.
Haargenau durchschneidet er die Haut, unterbindet den Blutstrom. Die Zangen werden eingesetzt. Und dann – Amelie stockt der Herzschlag. Noch nie hat sie ein Herz in der Hand eines Menschen gesehen wie jetzt bei dem Professor. Blitzschnell, mit souveräner Ruhe und unerschütterlicher Sicherheit arbeitet Martens.
Die künstliche Herzpumpe arbeitet, während der Professor seine Stiche macht, die den Herzbeutel zusammennähen.
Dazwischen erkundigt er sich nach Pulsschlag, Herztätigkeit und Reflexen. Der Narkosearzt gibt mit heiserer Stimme Antwort.
Alles macht der Professor selbst, nichts überläßt er den ihm assistierenden Ärzten, die alle unter dem Eindruck der Operation stehen und wieder einmal Grund haben, ihren Chef zu bewundern.
Amelie blickt auf die Uhr. Genau eine halbe Stunde, nicht eine Minute länger, hat die Operation gedauert.
Sie verläßt ihren Platz und taumelt ein wenig.
Dann blickt sie an sich hinunter und muß lächeln. Noch immer trägt sie die hochhackigen Abendschuhe und unter dem weißen Kittel das kleine Abendkleid.
»Wird der Mann durchkommen?« fragt sie mit verklärtem Gesicht, als sie wieder neben ihrem Onkel steht. Sie ist unbändig stolz auf ihn.
»Er wird durchkommen«, erwidert er ruhig und gelassen wie immer und nicht, als hätte er soeben einem Menschen das Leben gerettet.
»Du warst wundervoll«, flüstert Amelie begeistert.
Er blickt rasch zu ihr hin, begegnet ihren blauen strahlenden Augen und wendet sich wortlos wieder ab.
»Willst du heimfahren und noch zwei Stunden schlafen?« fragt er sie. »Oder kochst du uns einen starken Kaffee? Ich bleibe hier.«
»Ich auch«, sagt sie energisch und hastet davon. Im Ärztezimmer bereitet sie den Kaffee und deckt den Tisch für alle, die an der Operation teilgenommen haben.
Als Martens mit seinem Stab erscheint, nickt er zufrieden und läßt sich als erster nieder. Nach ein paar Schlucken sagt er schmunzelnd: »Schmeckt gut, Amelie. Daß du auch hausfrauliche Talente hast«, stellt er verwundert fest.
Amelie schürzt die Lippen.
»Was gehört schon dazu, eine Tasse anständigen Kaffee zu kochen? Zu einer Herzoperation gehört viel mehr.«
Da hat sie das richtige Thema getroffen. Sofort verwickelt Martens die anwesenden Ärzte, aus deren Gesichtern langsam die Spannung weicht, in ein Fachgespräch.
Stumm hört Amelie zu und stellt fest, daß ihr Onkel kein bißchen überheblich ist, wie sie ihn zuerst eingeschätzt hat. Man sieht ihm aber die Genugtuung an, einem Menschen das Leben gerettet zu haben.
Er schließt mit einem befriedigenden Seufzer:
»Immer freue ich mich, wenn es mir gelungen ist, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen.«
Er sieht sich im Kreise um. »Wer übernimmt die Wache bei dem Operierten?«
»Ich!« ruft Amelie spontan.
Ihr entschlossener Gesichtsausdruck sagt ihm, daß jedes Dagegenreden zwecklos ist.
»Gut! Ich gebe dir noch einige Anweisungen. Zunächst sehe ich mir den Mann noch einmal an. Brauchst du mich, findest du mich in meinem Zimmer.«
Damit ist das kleine Kaffeestündchen vorbei, und jeder kehrt zu seinen Pflichten zurück.
Amelie geht neben ihrem Onkel zu dem Zimmer, in dem auch sie einmal gelegen hat.
Wie hatte sie ihn nur einmal in Gedanken grausam nennen können? Ist er nicht ein unermüdlicher Helfer?
»Alles soweit in Ordnung.« Der Professor richtet sich von dem Krankenbett auf. »Ist was los, weißt du Bescheid.«
Amelie kommt ins Träumen. Was für ein ereignisreicher Tag! Zuerst die Überraschung, daß Onkel Matthias sie ausführen wollte, die schönen Stunden beim Sekt in fröhlicher Gesellschaft und anschließend die Operation. Ihr Onkel war stets völlig Herr der Situation dann gewesen.
Alles klingt in ihr nach, die Freude und auch die unerhörte Spannung, unter der sie alle gestanden haben.
Wenn sie einmal sehr krank würde, keinem als Onkel Matthias würde sie sich bedingungslos in die Hände geben.
Wenn sie es recht bedenkt, hat er ihr schon einmal das Leben gerettet. Als Ärztin weiß sie selbst, daß es auch bei einer Milzoperation auf Leben und Tod geht.
Sie seufzt. Wenn er doch immer so bliebe, wie sie ihn in der Nacht kennengelernt hat. Ihr Herz klopft stärker. Natürlich kommt das von dem starken Kaffee, redet sie sich ein.
*
Erst am Nachmittag kehrt Amelie heim. Babette empfängt sie mit vor Neugier glänzenden Augen.