Karin Bucha Staffel 6 – Liebesroman. Karin Bucha
Martens ist eine große Unruhe gekommen, deren Ursprung er nicht zu ergründen vermag. Aber sie hängt mit Amelie zusammen. Sobald er den guten Willen zeigt, ihr etwas näherzukommen, entzieht sie sich ihm. Seine Anweisungen nimmt sie mit eisiger Zurückhaltung entgegen, aber sie befolgt sie gewissenhaft. Nie kann er sie bei irgend etwas ertappen, das ihm Grund zu einem Donnerwetter gäbe.
Er ärgert sich maßlos, wenn er sie auf einem der Flure im Krankenhaus trifft. Meistens ist sie dann in Bertholds Begleitung, und er sieht, wie sie lacht und über das ganze Gesicht strahlt. Kalte Wut überkommt ihn dann, und er erscheint noch düsterer als gewöhnlich.
Auch von den gemeinsamen Mahlzeiten hält sie sich fern, so daß ihm auch der Aufenthalt in seinem Hause verleidet ist.
Selbst Babette läuft mit mürrischem Gesicht umher, und das Hausmädchen hat nichts zu lachen. Sie weiß selbst, daß sie ungerecht ist, aber der augenblickliche Zustand, der wie ein Verhängnis über dem Haus liegt, macht die Gute nervös.
Nur Amelie scheint davon nicht berührt. Sie geht ihren täglichen Pflichten nach wie immer. Ihrem Onkel geht sie aus dem Wege, um neue Zusammenstöße mit ihm zu vermeiden. Statt dessen schließt sie sich dem Oberarzt und Dr. Berthold an. Sie gehen gemeinsam aus, aber nun ändert sich plötzlich Schwester Karlas Verhalten ihr gegenüber.
Die junge Schwester geht oft mit verweinten Augen umher. Sie sieht aus, als bekäme sie nachts keinen Schlaf. Einmal stellt Amelie sie, bekommt aber eine so heftige Abfuhr, daß sie dem davonstürzenden Mädchen betroffen nachstarrt.
Was sie nur haben mag?
Bei Gelegenheit erkundigt sie sich bei Dr. Berthold, der so ziemlich über alle Bescheid weiß.
»Natürlich weiß ich das.« Er lächelt sie vergnügt an. Diesmal ist er der klugen Ärztin eine Nasenlänge voraus.
»Warum lachen Sie so niederträchtig?«
Er tippt auf ihre Nase. »Liebeskummer«, sagt er lakonisch. »Und Sie ahnungsloser Engel sind die Ursache dazu.«
Amelie findet keine Worte.
»Da sind Sie sprachlos, was?«
»Allerdings«, würgt sie hervor. »Was habe ich ihr getan?«
»Sie sind zu oft in Doktor Lenz’ Gesellschaft, und das bricht der Kleinen das Herz.«
»Das – das kann doch nicht möglich sein«, stößt Amelie betroffen hervor. »Doktor Lenz bedeutet mir nicht mehr als Sie. Er ist ein guter Kamerad und ein vortrefflicher Kollege.«
Bertholds Gesicht verschattet sich. »Also bedeute ich Ihnen gar nichts?« Er durchforscht jeden Zug ihres Gesichtes.
»Ich habe es Ihnen soeben zu erklären versucht.«
Er packt sie an den Oberarmen. »Laufen Sie mir nicht davon, Amelie.« Aus dem unbekümmerten Jungen ist plötzlich ein ernst zu nehmender Mann geworden. »Ich liebe Sie, Amelie. Schon lange wollte ich es Ihnen sagen.«
Amelie vermag sich nicht zu rühren.
»Schade«, sagt sie verzweifelt »nun habe ich einen guten Freund verloren.« Sie möchte weinen, doch sie hält sich tapfer. »Sie haben keine Ahnung, Berthold, wie nötig ich einen guten Freund habe.«
»Ich möchte Ihnen viel, viel mehr sein, Amelie«, beschwört er sie. »Freundschaft ist etwas Schönes, ich gebe das zu, aber ich will mehr, Amelie: Ihr Herz, Sie selbst.«
Er läßt sie los, als er in ihren Augen Tränen sieht.
»Ich kann Ihnen nicht mehr geben, denn –«
»– denn?« bohrt er weiter.
»Ich liebe Sie nicht, Berthold. Sie sind ein so wunderbarer Mensch, daß Sie das Recht auf das ungeteilte Herz einer Frau haben.«
»Schade, Amelie.« Er geht zum Fenster. Amelie lehnt neben der Tür. Sie ist wirklich verzweifelt, tief von innen heraus. Warum muß sie den Menschen immer weh tun?
Leise tritt sie zu ihm. »Berthold, warum kann es nicht so bleiben, wie es war? Bitte, lieber, lieber Freund«, fleht sie. Und jetzt weint sie. Die Tränen fließen ungehemmt über ihre Wangen.
Er zieht sein Taschentuch und trocknet ihr die Tränen.
»Ist schon gut, Amelie«, tröstet er sie. »Ich werde mich daran gewöhnen. Weinen Sie nicht mehr. Und heute abend gehen wir gemeinsam aus, als wäre nichts geschehen.« Er lacht leise vor sich hin. »Jetzt glauben Sie, es wäre mir nicht ernst gewesen, nicht wahr? Im Nehmen bin ich hart, liebe Kollegin, und ich kann mit Anstand verlieren.«
Da hebt Amelie sich auf die Zehenspitzen und küßt ihn mitten auf den Mund.
Er ist darüber so verblüfft, daß er Martens’ Eintritt überhört. Schneidend ist die Stimme des Professors.
»Hier finde ich Sie! Haben Sie nicht das Ihnen geltende Klingelzeichen gehört?«
Er hat alles gesehen, denkt Berthold und glaubt, dem Professor eine Erklärung schuldig zu sein.
»Sie werden es nicht verstehen, Herr Professor –« Mit einer heftigen Handbewegung unterbricht ihn Martens.
»An dieser Situation war wohl nichts mißzuverstehen.«
»Gestatten Sie mir, Herr Professor –«
»Nein, nichts gestatte ich Ihnen. Gehen Sie.«
Berthold fühlt sich wie ein geprügelter Knabe, als er wortlos an dem Professor vorbeihastet und die Tür hinter sich schließt.
Ekelhaft habe ich mich benommen! grübelt Martens vor sich hin. Wenn Amelie den Arzt liebt, kann er nichts dagegen machen.
Das Wissen, Amelie an diesen blonden Mann zu verlieren, peinigt ihn und hat ihn geradezu in Panikstimmung versetzt. Er hat sich unfair gegen Dr. Berthold benommen, das quält ihn genauso wie Amelies Worte, die ihm schlagartig in den Sinn kommen: Man könnte glauben, du seiest eifersüchtig.
Ja, und tausendmal ja, er ist eifersüchtig auf alle und jeden, der mit Amelie lacht und scherzt. Seine Gefühle für Amelie sind schon lange nicht mehr die eines Onkels. Von dieser plötzlichen Erkenntnis ist er wie zerschlagen. Erschöpft hat er sich auf einen Stuhl fallen lassen.
Was fängt er nur mit dieser Liebe an, die von vornherein zum Sterben verurteilt ist? Onkel und Nichte! Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Hat er sein Herz nicht genügend gehütet, obwohl er doch einen Panzer, den er für unverletzlich hielt, darum gelegt hatte?
Oh, Amelie – denkt er völlig verzweifelt. Ich darf es dir nicht einmal sagen, viel weniger zeigen!
Keinen Augenblick ist er im Zweifel darüber, daß Amelies Kuß, dessen Zeuge er werden mußte, die Bestätigung ihrer Liebe zu Dr. Berthold ist.
Wieder einmal sieht er sich in die peinliche Lage versetzt, sich bei Dr. Berthold entschuldigen zu müssen. Nun, er wird alles tun, damit Amelie glücklich wird. Nie soll sie erfahren, wie es in seinem Herzen aussieht: dunkel und trostlos.
Mit dumpf klopfendem Herzen sieht er später vom Fenster seines Zimmers aus die vier jungen Menschen das Krankenhaus zu einem Bummel verlassen.
Auch Schwester Karla ist dabei, und Amelie ist stolz, daß es ihr gelungen ist, mit Dr. Lenz ein offenes Wort zu sprechen. Gleich nach der Abendvisite, an der sie alle teilnehmen mußten, hatte Amelie den Oberarzt einen Augenblick ins Ärztezimmer gebeten.
Sie vergewisserte sich, daß das Zimmer leer war, und zog ihn tiefer in den Raum.
»Was hat Ihnen eigentlich Schwester Karla getan?« war sie sofort auf ihr Ziel losgesteuert.
»Nichts!« erwidert er zögernd.
»Ich glaubte bemerkt zu haben, daß Sie sie lieben.«
»Das weiß ich selbst nicht.«
Er sah unglücklich aus. Sie hatte nur den einen Wunsch, ihm die Augen zu öffnen.
»Sie