Karin Bucha Staffel 6 – Liebesroman. Karin Bucha
schlimm mit mir«, sagt er traurig. »Ich weiß es nicht mehr, seitdem ich Sie täglich vor mir sehe, seitdem ich Sie bei der Arbeit beobachte und seitdem wir zusammen getanzt haben.« Er macht eine müde Handbewegung. »Ach, es gibt so viele ›seitdem‹. Immer, wenn ich Karlas trauriges Gesicht mit den großen dunklen Augen vor mir sehe, schiebt sich Ihr Bild dazwischen. Ich liebe Sie, Amelie. Daran ist, glaube ich, nichts zu ändern.«
Amelie lacht leise, unterdrückt auf, so daß Lenz sie betroffen ansah. Gleich war sie wieder ernst geworden.
»Verzeihung, ich wollte Sie nicht kränken. Wenn ich jedoch an die vielen Männer denke, die mich zu lieben vorgeben und mich heiraten wollten, dann – dann hätte man mich längst wegen Bigamie eingesperrt.«
Sie war näher zu Lenz herangerückt und hatte ihre schlanken Finger auf seinen Arm gelegt. »Sie lieben mich gar nicht, lieber Doktor Lenz. Ihr Inneres ist ein wenig in Unordnung geraten. Das gibt sich wieder, ganz bestimmt«, versicherte sie ihm eifrig. »Denken Sie an die kleine, süße Karla. Sie ist sehr unglücklich, denn sie liebt Sie. Haben Sie ihr nicht berechtigte Hoffnungen gemacht, anzunehmen, daß auch Sie sie lieben? Überlegen Sie sich’s genau.«
»Das stimmt«, hatte er zerknirscht zugegeben. »Sie haben ganz recht, mich für einen wankelmütigen Mann zu halten, der Mädchenherzen knickt.«
»Das tue ich bestimmt nicht«, widersprach sie freundlich. »Wo ich Sie als einen ernsthaften Menschen kennengelernt habe! Was wollen Sie aber mit einer Frau anfangen, die Sie nicht liebt, während es ein treues Herz gibt, das nur für Sie schlägt? Auch Doktor Berthold muß sich damit abfinden, daß er keine Chancen bei mir hat. Ich möchte nichts als eine gute Kollegin für Sie und für ihn sein. Bitte –«, flehte sie, »machen Sie es mir doch nicht so schwer. Unsere schöne Zusammenarbeit darf doch nicht darunter leiden.«
»Sie sind ein wunderbares Mädchen, Amelie«, sagte er und blickte sie ehrlich bewundernd an. »Ich danke Ihnen. Ich habe diese Lektion wirklich verdient. Und was, meinen Sie, soll ich jetzt machen, ohne lächerlich zu wirken?«
Sie hatte tief und befreit aufgeatmet. »Das ist sehr einfach, lieber Doktor. Wir gehen heute abend alle vier aus. Sie vergessen dieses Gespräch und denken daran, daß es für Sie nur Karla gibt.«
»Wirklich – sollen wir das tun?« fragte er ungläubig.
»Natürlich! Ich lade Schwester Karla aber nicht ein. Das müssen Sie tun. Verstehen Sie?«
Er nickte zustimmend. »Ich verstehe.« Gleichzeitig mit ihr hatte er sich erhoben. Beim Hinausgehen meinte er: »Dann werde ich sofort zu ihr gehen.« Schnell kam er noch einmal zurück und drückte ihr beide Hände. »Ich danke Ihnen, Amelie, Sie haben mir über mich selbst die Augen geöffnet. Märchen lassen sich eben in unserer heutigen Zeit nicht mehr verwirklichen.« Er schüttelte sich. »Jetzt weiß ich, was ich zu tun habe.«
Sie hatte ihm einen kleinen Klaps auf die Schulter gegeben.
»Sie werden es schon schaffen. Viel Glück.«
Lächelnd sah sie hinter ihm her, bis er die Tür behutsam ins Schloß gedrückt hatte.
*
So ist es gekommen, daß Schwester Karla, ein kleines, dankbares, zärtliches Wesen, hochbeglückt neben Dr. Lenz hergeht. Amelie hat nicht gefragt, wie er es geschafft hat.
Karla war kurz zuvor aufgeregt zu ihr gestürzt und ihr einfach um den Hals gefallen.
»Sie sind wundervoll, Frau Doktor«, hatte sie unter Freudentränen gestammelt. »Und ich war einmal richtig wütend auf Sie. Jetzt ist alles gut – alles. Und heute gehen wir zusammen aus.«
Und es wird ein wunderbar gelungener Abend.
Auf Dr. Lenz’ sensiblem Gesicht liegt stille Zufriedenheit, und Dr. Berthold ist wirklich ein guter Verlierer. Nichts läßt er sich anmerken. Er ist aufmerksam und lustig und bringt sie alle zum Lachen.
Einige Male erinnert sich Amelie daran, daß es einen Onkel gibt, der jetzt einsam in seinem Arbeitszimmer sitzt, und sie wünscht sich sehnlichst, er möge mit dabeisein. Er hat so wenig Ablenkung. Auch er braucht Entspannung.
Außer Dr. Berthold, der den Wagen steuert, haben sie später alle einen kleinen Schwips. Amelie sieht alles in rosaroten Farben. Selbst der Gedanke, jetzt Onkel Matthias zu begegnen, hat nichts Erschreckendes mehr.
Sie findet jedoch alle Lichter im Haus verlöscht. Sie tastet sich im Mondschein, der durch die breiten Glasfenster fällt, bis zu ihrem Zimmer hinauf und ist glücklich, als sie endlich in ihrem Bett liegt.
*
Wochen sind vergangen. Der sonnendurchglühte Sommer hat zum Abschied noch ein paar Tage beschert, dann setzen die ersten Herbststürme ein. Sie rütteln an den Bäumen und Fenstern und treiben mit den Blättern ein loses Spiel.
Die Kinderstation ist erweitert worden. Das bedeutet für Amelie zusätzliche Arbeit. Sie schafft unermüdlich. Manchmal steht sie, zum Umfallen müde, an einem der großen Flurfenster und sieht in den regenverhangenen Tag hinaus. Es ist ein Bild der Trostlosigkeit. Kaum denkbar, daß einmal alles wieder zu neuem Leben erwacht, daß es einmal wieder strahlende Sonne gibt und die Blumen zu blühen beginnen.
Sie sieht sehr ernst und nachdenklich aus. Onkel Matthias macht ihr Sorgen. Er vergräbt sich förmlich in seine Arbeit. Zu sehen bekommt sie ihn nur in der Klinik. Sein Haus scheint er zu meiden.
Er arbeitet zuviel, viel zuviel, überlegt sie, denn er sieht wie ein kranker Mann aus, blaß, übernächtigt, und die Fältchen um seine Augen sind tiefer denn je. Sein Mund ist schmal geworden, und die Augen liegen tief, wie in dunklen Höhlen.
Ob er krank ist? Wenn sie doch den Mut finden würde, ihn wegen seines veränderten Aussehens zu befragen! Ach, er läßt ja keinen an sich heran. Ob er Kummer hat? Amelie findet einfach keine Erklärungen, nur Vermutungen.
Was besonders unheimlich für sie ist, ist die Tatsache, daß es keinerlei Reibereien mehr mit ihm gibt. Mit einer gewissen Gleichgültigkeit sieht er an ihr vorbei. Und das schmerzt sie. Sie weiß selbst nicht, warum. Er hat ihr wenig Veranlassung gegeben, daß ihre freundlichen Gedanken ihn suchen. Aber er ist der einzige Mensch, der blutsmäßig zu ihr gehört.
Ob er überhaupt ihre Anwesenheit bemerkt? Etwas freut sie: Seine Einstellung zu Dr. Berthold ist anders geworden. Er zieht ihn öfter als sonst in ein Fachgespräch. Und Berthold läuft hinterher herum, als habe er ein außergewöhnliches Geschenk erhalten.
Amelie ahnt ja nicht, daß Martens sie förmlich belauert, daß er auf den Augenblick wartet, daß sie ihm von ihrer Liebe zu Dr. Berthold sprechen wird.
Nichts geschieht. Er wird immer nervöser. Bitterkeit erfüllt ihn. Nicht einmal Vertrauen hat sie zu ihm in Dingen, die ihre Zukunft angehen!
Amelie ist weit davon entfernt, die Schuld an seinem veränderten Aussehen, an seinem zerfahrenen Wesen sich zuzuschreiben.
Als sie an einem der folgenden Tage früher als gewöhnlich heimkehrt, weil sie einfach Ruhe braucht, teilt Babette ihr mit, der Professor sei daheim und wünsche sie sofort zu sprechen.
Amelie erschrickt. Hat sie etwas ausgefressen? Soviel sie grübelt, sie kann sich nicht entsinnen.
Sie legt ihren Mantel ab, ordnet in der Garderobe ihr Haar und erschrickt vor dem Gesicht, das ihr aus dem Spiegel entgegenstarrt. Mein Gott – wohin ist die Bräune des Sommers? Wie elend sie aussieht, wie schmal sie geworden ist! Das Krankenhaus mit seinen tausenderlei Pflichten frißt sie auf.
Gehorsam sucht sie sein Zimmer auf.
»Nimm Platz«, fordert er sie auf, und zögernd setzt sich Amelie.
Erwartungsvoll sieht sie ihn an. Was wird jetzt kommen?
»Du arbeitest zuviel, Amelie«, beginnt er, und ihre Augen weiten sich vor Erstaunen. Daß er das überhaupt bemerkt hat!
»Ich?«
»Ja, du«, fährt er unbeirrt fort. »Wir haben die Kinderstation vergrößert. Du schaffst