Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß

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lag und dessen Beete bereits bestellt waren.

      Wera konnte nicht aufhören zu bewundern. Noch niemals hatte sie ein solches Gedeihen gesehen! Der Kohl und die Rüben standen prächtig, die Erbsen hatten sich schon hoch aus dem Boden hervorgewagt, und die Bohnen waren in Dawidkowo mindestens um zwei Zoll höher als in Eskowo. Und wie gleichmäßig war der Abstand der Pflanzen voneinander, wie zierlich die Einfassung der Beete von Brunnenkresse und Erdbeerstauden, wie herrlich dufteten Thymian und Salbei!

      Der junge Gutsherr geriet bei Weras Lob in höchsten Eifer. Voller Stolz führte er sie zu den Frühbeeten, wo Gurken, Melonen und Salat ausgesät waren, und wo sich sogar eine Champignonbrut befand. Sodann ging es zu den Himbeer-, den Stachel- und Johannisbeersträuchern, die aufmerksam geprüft und gleichfalls hoch belobt wurden. Geradezu wundervoll war der Obstgarten mit seinen Spalieren, seinen kräftig gewachsenen Stämmen und den kleinen allerliebsten Zwergbäumchen. Pfirsiche und Aprikosen hatten bereits abgeblüht, aber Pflaumen und Kirschen standen noch in voller Pracht, und das übrige vornehmere Obst konnte sichtlich die Zeit kaum erwarten, bis es seine rosigen Knospen aufschließen durfte. Grischa wußte von einer jeden Sorte den lateinischen und russischen Namen, gab von jeder eine ausführliche Beschreibung und freute sich schon jetzt auf den Herbst, wo Wera von allem kosten würde. Dann kam es heraus: alles, was sie bewunderte, Blumen, Gemüse und Obstbäume, gehörte in das Wirtschaftsgebiet des Mütterchens, welches so herrschsüchtig war, daß in ihr Reich niemand, selbst nicht Anuschka, hineinzureden wagte. Es zeigte sich da wieder einmal glänzend, was für ein Gottessegen ein monarchisches Regiment sein konnte.

      »Das Schlimme ist nur,« meinte Grischa, »daß uns so viel gestohlen wird.«

      »Von wem?«

      »Von unseren Bauern.«

      »Die stehlen? Ich denke, Sie haben ihnen ein Dritteil Ihrer Felder gegeben?«

      Grischa geriet in Verlegenheit.

      »Nicht wahr, Sie meinen auch, daß es zu wenig ist? Denn wenn es genug wäre, würden sie ja nicht mehr stehlen. Aber was soll man machen? Ich habe sie gebeten, es nicht zu tun, und ihnen mit Erlaubnis meiner Mutter den dritten Teil von allen Früchten und Gemüsen versprochen. Es muß aber immer noch nicht genug sein; denn sie stehlen immer noch. Es ist ein großer Kummer. Lange Zeit wollten wir keine Hüter hinstellen, dann mußten wir es doch. Aber die Hüter stahlen mit den anderen, und es ist nur noch schlimmer geworden. Ich weiß nicht, was daraus werden soll. Die armen Menschen!«

      »Wie können Sie sie bedauern!« rief Wera heftig, »Sie sind so gütig gegen die Leute und zum Dank werden Sie von ihnen bestohlen. Haben diese Menschen denn gar kein Gewissen?«

      »Wir haben ihnen zu viel zuleide getan,« murmelte Grischa bekümmert. »Fragen Sie nur Natalia Arkadiewna. Und die Bauern wissen das! Natalia Arkadiewna und die anderen haben es ihnen gesagt. Nun üben sie Vergeltung an uns und wir können es ihnen nicht einmal verdenken.«

      »Was werden Sie tun?«

      »Das weiß ich noch nicht. Nun, Gott wird gnädig sein. Ich werde mein Mütterchen bitten, den Garten eingehen zu lassen und statt der Blumen Kohl zu pflanzen, damit die Leute mehr Gemüse bekommen. Blumen sind ja eigentlich auch ganz überflüssig. Daß sie Obst stehlen, können wir nicht ändern, das mögen sie sich in Gottes Namen schmecken lassen.«

      »Stahlen Ihre Bauern früher auch so viel?«

      »Wann früher?«

      »Als Sie ihnen noch nicht den dritten Teil Ihres Besitzes gegeben.«

      »O damals! Damals stahlen sie freilich auch. Allerdings, wie mir einfällt, etwas weniger, viel weniger.«

      Und er sah so unglücklich aus, daß er Wera leid tat.

      Fünfundzwanzigstes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Nun sollte Grischa ihr auch die Wirtschaftsgebäude und den Hof zeigen, was dieser seinem verlegenen und bekümmerten Gesicht nach zu schließen, nichts weniger als mit Freuden tat; doch rief er einen in der Nähe arbeitenden Burschen herbei, den er mit Weras Blumen ins Haus schickte. Dann gingen sie.

      Wera erschrak über die Unordnung und Verwahrlosung, die sich in den Wirtschaftsgebäuden, den Scheunen und Ställen bemerkbar machte. Einige der Häuser waren so schadhaft, daß der nächste Sturm sie umwehen konnte. Das wenige Vieh, welches sich vorfand, hatte ein schlechtes, vernachlässigtes Aussehen. Aber den betrübendsten Eindruck machte das Gesinde, das ohne jede Aufsicht zu sein schien, von Schmutz starrte, nach Branntwein roch und selbst in der Gegenwart des Herrn verdrossen und träge blieb,

      Grischa versuchte die Leute zu entschuldigen.

      »Was wollen Sie, Wera Iwanowna? Es sind auch Menschen. Sie wollen auch leben und Freude am Leben haben. Es ist schrecklich, zu denken, was sie unter unseren Vätern und Großvätern zu leiden hatten. Bevor ich Natalia Arkadiewna kannte, war mir das gar nicht verständlich; sie hat es mir erst begreiflich gemacht. Ich war ganz entsetzt, wirklich ganz außer mir; denn sie müssen uns ja hassen! Tag für Tag, jahraus, jahrein Arbeit und Leiden und dazu schlechte Beamte, betrügerische, nichtsnutzige, grausame Verwalter. Auf Natalia Arkadiewnas Rat habe ich den meinen neulich fortgejagt. Er war eine Bestie und kein Mensch. Niemals werde ich es mir verzeihen können, daß ich meinen Leuten eine solche Bestie zum Verwalter gab. Nun sehe ich selbst nach allem. Aber sie sind ganz verdorben durch schlechte Behandlung. Ich versuche durch Milde sie wieder gut zu machen, und ich hoffe, daß es mir gelingen soll, ich hoffe es wirklich. Freilich ist es manchmal etwas schwer, recht schwer; das gebe ich zu. Doch darf man deshalb den Mut nicht sinken lassen. Meinen Sie nicht auch?«

      Er sah sie erwartungsvoll, beinahe angstvoll an.

      »Keinesfalls dürfen wir den Mut verlieren,« erwiderte Wera in ihrer herben und strengen Art.« Und leiser setzte sie hinzu: »Überall ist ein solcher Wirrwarr und ein solches Unglück, daß man nicht weiß, was beginnen. Wenigstens ich weiß es nicht. Aber die anderen werden es wissen und mir zur rechten Zeit sagen; sie werden mir sagen, was ich zu tun habe. Man muß eben glauben und vertrauen. So ist es.«

      Sie war sich gar nicht bewußt, daß sie soeben nicht ihre, sondern Saschas Meinung ausgesprochen hatte und beinahe mit dessen Worten. Grischas Augen leuchteten froh auf, sein Gesicht verklärte sich.

      »Also Ihnen geht es auch so? Man weiß nicht, wo anfangen, es ist zu viel Wirrwarr. Sie haben recht, das ist es! Nun, wenn es Ihnen so geht, will ich mich nicht beklagen, sondern froh sein, den rechten Weg gefunden zu haben. Denn Sie glauben gar nicht, wie verstockt ich war. Ich lebte in Lust und Freude, hatte von allem die Hülle und Fülle, dachte an nichts, wußte von keinem Leiden auf der Welt, glaubte, es wäre alles in Ordnung, es müßte alles so sein, und wie alles war, so sei es herrlich. Welcher Irrtum! Welche Schlechtigkeit! Da wurden mir von Natalia Arkadiewna die Augen geöffnet. Ich war tief unglücklich, ich kam mir so schändlich vor; ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr. Übrigens komme ich mir noch immer nicht besser vor – besonders seit gestern.«

      Er schloß die Augen und atmete schwer.

      »Weshalb besonders seit gestern?«

      »Mein Gott, das ist doch ganz einfach. Gestern lernte ich Sie kennen; Sie haben so viel Mut, so viel Stärke, solche feste Grundsätze.«

      »Nein, nein, die habe ich gar nicht,« widersprach Wera eifrig. »Glauben Sie das nicht, Sie dürfen das nicht glauben. Ich habe noch nichts getan, gar nichts! Ich kam nur und sagte ihnen: Tut mit mir, was ihr wollt; das Elend ist gar zu groß, ich möchte gern helfen. Ich bin durchaus nicht mutig, oder stark oder sonst etwas Gutes. Und was Grundsätze sind, das weiß ich gar nicht. Überschätzen Sie mich doch nicht so. Bitte, bitte.«

      Und sie erhob die Hände.

      Grischa wagte, ihr ins Gesicht zu blicken. Sie sah in diesem Augenblicke so schön aus, daß er förmlich erschrak. Aber auch Natalia Arkadiewna mit ihrem geschorenen Haar, ihrer Brille und ihrem Leidensgesicht sollte einmal recht hübsch


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