Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß

Die wichtigsten Werke von Richard Voß - Richard Voß


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gaben alles hin, Schönheit und Gesundheit; sie wollten elend sein, um nichts vor dem Volke voraus zu haben; denn ihre Lebensaufgabe war, das Volk an den Reichen und Vornehmen zu rächen. Wenn sie nur nicht so schmutzige Wäsche trügen, dachte der ehrliche Grischa, sich an Natalia Arkadiewnas Kragen und Manschetten erinnernd und einen bewundernden Blick auf Wera werfend, die in ihrer sauberen altrussischen Tracht wie eine Fürstin neben ihm herging.

      Plötzlich sagte er, und wurde ganz bleich über seine Kühnheit: »Sie sollten bei uns bleiben. Das heißt bei meinem Mütterchen und Anuschka. Wirklich, Sie sollten! Wie viel Gutes könnten Sie hier tun! Es ist gar nicht zu sagen. Ich bin ein schwacher Mensch, der eines Vorbildes bedarf; das weiß Natalia Arkadiewna sehr wohl. Deshalb erzählte sie auch gestern abend die Legende mir als Beispiel. Wenn Sie mir nun mit dem Beispiel vorangingen und – und –«

      »Und ich Ihnen helfen würde, Ihr Land unter die Bauern zu verteilen?«

      »Allerdings. Das wäre jetzt meine Pflicht. Was soll denn daraus werden, wenn wir nicht mit gutem Beispiel vorangehen; wir, die kleinen russischen Landwirte. Das müssen Sie doch einsehen! Wenn wir das Unsere behalten, in allem Frieden gebratene Schnepfen, Spiegeleier und Grütze mit Rahm essen, was können wir dann von den großen Herren verlangen? Begreifen Sie doch! Da sitzen Tausende auf ihren Landgütern, wissen gar nicht, wieviel Desjatinen sie haben und wieviel Rubelscheine. Sie sollen nichts trinken als Champagner, haben französische Köche – daraus muß ja Unglück kommen. Bedenken Sie doch! Gehen Sie mir also mit gutem Beispiel voran.«

      Wera blieb stehen und sah ihm entschlossen in die Augen.

      »Hören Sie, Grischa Michailitsch, Sie müssen mir etwas versprechen.«

      »Mit tausend Freuden, alles, was Sie wollen.«

      »Sie müssen mir Ihr feierliches Wort geben.«

      »Bei meinem Seelenheil – –«

      »Sie haben Ihren Bauern genug geschenkt, ein ganzes Dritteil! Mehr dürfen Sie nicht verteilen, keine Desjatine mehr. Geloben Sie mir das?«

      »Mein Gott,« stammelte Grischa, »was verlangen Sie von mir? Ich glaubte Ihnen versprechen zu sollen, meinen Bauern noch mehr als das zweite Dritteil zu geben. Und nun verlangen Sie das von mir? Was wird Natalia Arkadiewna von mir denken? Sie wird mich verachten.«

      »Das weiß ich nicht. Aber ich weiß, daß es ein großes Unglück wäre, wenn jeder das Seine hergäbe; ein großes Unglück, sowohl für die Gebenden wie für die Empfangenden. Damit wird dem Volke nicht geholfen, damit gewiß nicht! Ich werde es Natalia Arkadiewna sagen, daß ich mit Ihnen gesprochen habe. Sie ist ja viel besser als ich und liebt das Volk, wie es nicht zu sagen ist; aber sie kennt es nicht so genau, wie ich es kenne. Also Sie versprechen es mir?«

      »Werden Sie bei uns bleiben?«

      »Nein. Ich habe andere Dinge zu tun, es sind mir andere Dinge aufgetragen worden. Sie wissen ja, daß wir gehorchen müssen.«

      »Sie gehören also auch zu den Auferstandenen?«

      »So nennen wir uns, obgleich wohl noch mancher von uns diesen schönen, feierlichen Namen nicht verdient. Auch sind der Auferstandenen nur wenige, und sie müssen über ganz Rußland verbreitet sein, über die ganze Erde.«

      »Freilich, freilich!«

      »Sie wollen es mir also nicht versprechen?«

      »Ich verspreche es Ihnen, ich gebe Ihnen mein feierliches Wort darauf.« Er hätte gern hinzugefügt: Aber du darfst dein prachtvolles Haar nicht abschneiden, deine schönen Augen nicht hinter Brillengläsern verstecken und keine schmutzigen Kragen und Manschetten tragen, wie Natalia Arkadiewna. Denn damit ist dem Volke auch nicht geholfen. Versprich du mir, zu bleiben wie du bist, und ich will dir alles versprechen.

      »Ich danke Ihnen,« sagte Wera Iwanowna, »Nun bin ich ruhig.«

      Sechsundzwanzigstes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Alles, was Wera von Grischas Landwirtschaft sah, machte auf sie den betrübendsten Eindruck. Auch die Felder zeigten die gröbste Vernachlässigung und trotz des gesegneten Frühjahrs war der Stand der Saaten schlecht. Unkraut überwucherte die Frucht und die meisten Schläge lagen völlig brach. Die Ackerstrecken, welche Grischa an seine Bauern abgetreten, waren viel besser imstande als die seinen; denn die Leute arbeiteten natürlich lieber für sich selbst als für den Herrn.

      »Wenn ich meinen Bauern noch das zweite Drittel gäbe,« meinte Grischa, »so wären die beiden Drittel gewiß vorzüglich in Ordnung, und ich könnte für das, was ich behielte, prächtig selbst sorgen.«

      »Versprechen Sie mir lieber, für Ihre beiden Drittel besser zu sorgen. Sehen Sie doch, wie kräftig der Roggen steht, der Ihnen nicht gehört, wie kümmerlich daneben der Ihrige. Jeder schwache Halm auf Ihren Feldern muß Ihnen vorkommen wie ein Mensch, der durch Ihre Schuld verkümmert.

      Grischa seufzte und sah wieder einmal sehr schuldbewußt aus.

      »Was soll ich machen? Ich tue, was ich kann. Am liebsten spannte ich mich selber vor den Pflug; denn warum sollen diese armen Menschen für einen anderen arbeiten? Ich kann das wirklich nicht einsehen. Sie, die Sie das Volk lieben, müssen das doch begreifen. Seien Sie doch nicht so hart!«

      »Nein, ich begreife das nicht,« erwiderte Wera. »Ich kann nur begreifen, daß der Mensch seine Pflicht tun muß, und Ihrer Bauern Pflicht ist es, Ihren Acker gut zu bestellen. Die Pflicht des Herrn ist Gerechtigkeit und Fürsorge, die des Volkes Fleiß und Gehorsam. Beide haben keine anderen Pflichten gegen einander.«

      Hart am Wege pflügte ein Bauer mit elenden, abgetriebenen Pferden, auf die er unbarmherzig losschlug.

      Wera stieg die Zornesröte ins Gesicht.

      »Was fällt dir ein, Bauer?« rief sie dem Wütenden zu. »Bist du ein Christ? Die Tiere können nicht besser ziehen, denn du gibst ihnen zu wenig Nahrung. So sei doch nicht so grausam.«

      Aber der Bauer, ohne sich nur nach der Sprecherin umzuwenden, fuhr fort, auf die Gäule loszuschlagen.

      »So befehlen Sie doch dem Manne, den Stock fortzuwerfen. Wozu sind Sie denn hier der Herr?«

      »He, Trischka,« schrie Grischa gehorsam den Bauer an. »Hörst du, Trischka!«

      Aber Trischka hörte nicht. Er war ein freier Bauer, pflügte auf seinem eigenen Felde, mit seinen eigenen Pferden, davon er das eine aus seines Herrn Stall erhalten. Auf dieses schlug er am wütendsten los.

      Grischa kannte das Tier und wurde ganz fahl im Gesicht. Er lief zu dem Manne hin, um ihm den Stock zu entreißen.

      »Das ist mein Pferd, Väterchen,« sagte der Mensch mit einem boshaften Grinsen. »'s ist ein verfluchter Racker, den ich totprügeln werde. Was sagst du, Väterchen? Du hast ganz recht. Ein jeder seh' nach dem Seinen.«

      Und von neuem schwang er seine Stange, während Grischas Arm wie gelähmt herabsank.

      »Es ist ein schlechtes Volk,« sagte er, als er wieder neben Wera einherging, mit tiefster Bekümmernis. »Aber wer ist schuld daran? Nun müssen wir es tragen, es ist unsere Strafe. Wir können ja auch nicht verlangen, daß sie uns dankbar sind; dankbar wofür? Daß wir sie endlich haben werden lassen, was sie sind: freie Menschen und ihnen von unserem Überflusse abgeben? Wir sollten im Gegenteil alle Tage Gott bitten, daß er Barmherzigkeit mit uns habe und daß das Volk uns verzeihen möge. Meinen Sie nicht auch?«

      Statt aller Antwort frug Wera: »Bringt Natalia Arkadiewna Ihnen alle Schriften, die bei uns gedruckt werden?«

      »Alle. Es ist nicht zu sagen, wie schön sie sind.«

      »Aber verstehen Sie alles?«

      »Ich denke darüber nach. Sie gehen mir Tag und Nacht im Kopfe herum. Vieles ist wundervoll wahr.«

      »Wundervoll! Also Ihnen ist


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