Gesammelte Gedichte (851 Titel in einem Buch). Christian Morgenstern
Da kauert arglistig
der Mann im Mond –
und fischt.
Verstohlene, seidene
Angelschnüre
wirft er hinab
in die arglose Flut.
Ach! und nun
zappelt auch schon
ein armer Weissling
am Haken
und fliegt
im weiten Bogen
hinauf zu den grauen,
hässlichen Klippen ...
mir ist,
ich höre ein leises,
behäbiges Lachen.
MÄDCHENTRÄNEN
Die schönen, blauen Augen des Himmels
hängen voll trüber Nebelschleier,
und unter verstohlenen Schluchzern
strömen graue Güsse zur Erde nieder.
Auf traurigen Häuptern tragen die Bäume
das schwere Tränenweh, die Bäche
hetzen verstört sich talwärts, mürrisch
vermummt sich der Berg in weisser Wolle.
Und das alles?
Weil mit allzuglühender Lippe
der liebesrasende, ungestüme Sonnengott
des Morgenhimmels reine, kühle Mädchenunschuld
bestürmt und die tief errötende Geliebte
mit allzuversengenden Küssen
in ihrer jungfraustillen Seele
fassungslos aufgewühlt.
Wie ein Krampf packte die Leidenschaft
den überwältigten Herzensfrieden ...
Und all die verwirrten Gefühle
lösten und schütteten sich aus
in einem grossen Weinen.
Mählig verebben die Seufzer.
Versöhnlicher, weicher wird das Herz.
Und schon sehe ich wieder ein halbes Lächeln,
ein warmes Winken
undämmbar aufdrängender Liebe
in den schönen, blauen Augen.
LANDREGEN
Auf der Erde
steht eine hohe, gewaltige,
tausendsaitige Regenharfe.
Und Phanta
greift mit beiden
Händen hinein
und singt dazu –:
Monoton,
wie ein Indianerweib,
immer dasselbe.
Die Lider werden mir
schwer und schwerer.
Nach langem Halbschlaf
erwach ich wieder, –
reibe verstört mir
die trägen Augen –:
auf der Erde
steht eine hohe, gewaltige,
tausendsaitige Regenharfe.
DER BELEIDIGTE PAN
Auf der Höhlung
eines erstorbenen Kraters
blies heute Pan,
wie Schusterjungen
auf Schlüsseln pfeifen.
Er pfiff »die Welt« aus,
dies sonderbare,
zweideutige Stück
eines Anonymus,
das Tag für Tag
uns vorgespielt wird
und niemals endet.
Oh pfeife doch minder,
teuerer Waldgott!
Halt Einkehr, Pan!
Wer hiess Dich denn
unter Menschen gehen? ..
MONDAUFGANG
In den Wipfeln des Walds,
die starr und schwarz
in den fahlen Dämmerhimmel
gespenstern,
hängt eine grosse,
glänzende Seifenblase.
Langsam löst sie sich
aus dem Geäst
und schwebt hinauf
in den Aether.
Unten im Dickicht
liegt Pan,
im Munde
ein langes Schilfrohr,
dran noch der Schaum
des nahen Teiches
verkrustet schillert.
Blasen blies er,
der heitere Gott:
die meisten aber
platzten ihm tückisch.
Nur eine
hielt sich tapfer
und flog hinaus
aus den Kronen.
Da treibt sie schimmernd,
vom Winde getragen,
über die Lande.
Immer höher steigt
die zerbrechliche Kugel.
Pan aber blickt
mit klopfendem Herzen –
verhaltenen Atems –
ihr nach.
MONDBILDER
I
Der Mond steht da
wie ein alter van Dyck:
ein rundes, gutmütiges
Holländergesicht
mit einer mächtigen,
mühlsteinartigen,
cremefarbenen
Halskrause.
Ich möcht ihn
wohl kaufen,