Gesammelte Gedichte (851 Titel in einem Buch). Christian Morgenstern
Aber ich fürchte,
er ist im Privatbesitz
des Herrn Zebaoth.
Ich müsste den Ablass
wieder in Schwung bringen!
Vielleicht liess er ihn
dafür mir ab ...
Hm.
Hm.
II
Eine goldene Sichel
in bräunlichen Garben,
liegt der Mond
im broncenen Gewölk.
Mag da weit
die Schnitterin sein?
Ich meine,
die Schwaden bewegen sich –
oh, ich errate alles!
Ins Aehrenversteck
zog wohl ein Gott
die emsige Göttermaid, –
irgend ein himmlischer
Schwerenöter der Liebe,
Jupiter-Don Juan
oder Wodan-Faust ..
In frohem Schreck
liess sie die Sichel fallen ...
Oh, Ihr königlich freien,
heiter geniessenden,
seligen Götter!
III
Gross über schweigenden
Wäldern und Wassern
lastet der Vollmond,
eine Aegis,
mit düsterem Goldschein
alles in reglosen Bann
verstrickend.
Die Winde
halten den Atem.
Die Wälder ducken sich
scheu in sich selbst hinein.
Das Auge des Sees
wird stier und glasig –:
als ob eine Ahnung
die Erde durchfröre,
dass dieser Gorgoschild
einst ihren Leib
zertrümmern werde ..
Als ob eines Schreies
sie schwanger läge,
eines Schreies voll Grausen,
Voll Todesentsetzen ..
Εσσετι ηµαρ!
IV
Durch Abendwolken fliegt ein Bumerang,
ein goldgelbes Bumerang.
Und ich denke mir: Heda!
Den hat ein Australneger-Engel
aus den seligen Jagdgründen
dorthin geschleudert –
vielleicht aus Versehen!?
Der arme Nigger!
Am Ende verwehrt ihm ein Cherub,
über den himmlischen Zaun zu klettern,
damit seine Waffe
er wieder hole ...
Oh, lieber Cherub,
ich bitte für den Nigger!
Bedenke:
es ist solch ein schönes,
wertvolles,
goldgelbes Bumerang!
ERSTER SCHNEE
Die in Wolkenkukuksheim
zerreissen ihre Manuskripte,
und in unzähligen,
weissen Schnitzelchen
flattert und fliegt es mir
um die Schläfen.
Die Unzufriednen!
Nie noch blieben
der Lieder sie froh,
die im Lenz
ihnen knospeten,
nie noch
der dithyrambischen Chöre,
die durch glühende Julinächte
von ihren Munden
wie Donner brachen.
Immer wieder
zerstören gleichmütig sie,
was sie gedichtet:
und in unzähligen,
weissen Stückchen
flattert es
aus dem grauen Papierkorb,
den sie schelmisch
zur Erde kehren.
Grosse, redliche Geister!
Ich, der Erde armer Poet,
versteh Euch.
Wenn wir uns selbst genügen wollen, ehrlich Schaffende wir, müssen wir unsren Gedanken wieder all die bunten Hüllen ausziehn. Ach! allein in der Maske des Worts wird unser Tiefstes dem Nächsten sichtbar!
Ihr Stolzen verschmäht es,
den Wortewerken,
die Ihr erschuft,
Dauer zu leihen,
und ihr könnt es –
denn Ihr seid Götter!
Keiner von Euch
will Trost, will Erlösung,
weiss von dem Wahnsinn
Glückes und Leides:
in Euch selbst
seid Ihr Euch ewig genug!
Aber wir Menschen,
wir Selig-Unseligen,
tief in gemeinsame Lose
verstrickten,
müssen einander
die Herzen erschliessen,
müssen einander
fragen, belehren,
trösten, befreien,
stärken, erheitern,
und zu all Dem
raten und planen,
formen und bauen,
rastlos, mühvoll,
an dem Menschheitstempel
»Kultur«.
Ich stehe stumm
in den wirbelnden Flocken
und denke mit Schwermut
meines Stückwerks.
Doch streue ich selbst
nichts in den lustigen Tanz.
Meine Werke, Ihr Götter,
stürben wie roter Schnee,
wollt ich sie opfern!
Ich schrieb mit Herzblut ...
Homo sum.
TALFAHRT