Gesammelte Gedichte (851 Titel in einem Buch). Christian Morgenstern
wenn du hier hinfällst
und mich anbetest.«
Der Arme, er wusste nicht,
dass Erde und Himmel
durch Phanta längst mein war.
»Nun, willst du nicht?«
rief er halb ängstlich
halb ärgerlich.
Ich aber machte ihm
schnell eine kalte Kompresse
um die erhitzten Schläfen
und führte ihn sorgsam
den Berg hinunter.
Auf halber Höhe
traf ich den großen Pan.
Er wollte gerade
eine Windhosen-Orgel bauen.
Doch ich entriss ihn
dem kühnen Projekte
und stellte ihm
seinen greisen Kollegen vor.
»Alte Bekanntschaft!« rief Pan
und zog die krumme Nase
missmutig noch krümmer.
»Vielleicht hilft er dir
bei der Windhosen-Orgel!«
schlug ich begütigend vor.
Das leuchtete ein.
Arm in Arm
zogen die beiden ab.
Ich aber stieg,
ein freier, glückseliger Mensch,
singend wieder empor
auf meine herrlichen,
klaren, einsamen Höhen.
DER NACHTWANDLER
Sanfter Mondsegen über den Landen.
Schlafstumm Berge, Wälder, Tale.
In den Hütten erstorben die Herde;
an den Herden eingenickte Grossmütter,
zu deren Knieen offne Enkel-Mäulerchen
unter verhängten Aeuglein atmen.
Auf Daunen und Strohsack
schnarchendes Laster, schnarchende Tugend.
Wachend allein: Diebe, Dichter,
Wächter der Nacht, und auf Gassen, in Gärten
und in verschwiegenen Kammern
lispelnde Liebe.
Sanfter Mond! du segnest, weil du nichts andres kannst. Aber am Herzen zehren dir Neid und Groll, weil die Menschen dich also missachten, dass sie zu Bett gehn, wenn du kommst. Aergerlich ziehn sie die Vorhänge zu: und du stehst draussen und – segnest milde deine Verächter.
Sanfter Mond! manchmal auch
lugen Herrschergelüste gefährlich vor
unter deiner Demut.
Dann rufst du in verträumte Gehirne:
»Auf! auf!
Ich bin die Sonne!
Kommt: es ist Tag!«
Und der blöden Schläfer
glaubt es dir mancher
und steigt ernsthaft
aus seinen Kissen
und geht gravitätisch
über die Dächer.
Scheel sehen die Kater ihn an.
Er aber wandelt und klettert,
als hätt ihm sein Arzt
die Alpen verschrieben.
Wie? Freundchen!
Hätt ich dich heut gar ertappt?
Mir dünkt, da unten
kam solch ein Wandler!
Armer Fremdling,
– besser: Hemdling –,
wer bist du?
Welchem Bette entflohst du?
Opferlamm
mondlicher Lüsternheit,
meilenweit musst du gewandert sein!
Redet er nicht im Schlaf? horch!
»Wer ich bin? ...
Eine lebendige Litfass-Säule
Etiquettiert von oben bis unten: –
Staatsbürger,
Gemeindemitglied,
Protestant,
Hausbesitzer,
Ehemann,
Familienvater,
Vereinsvorstand,
Reserveleutnant,
Agrarier,
Christlicher Germane,
Antisemit,
Deutschbündler,
Socialmonarchist,
Bimetallist,
Wagnerianer,
Antinaturalist,
Spiritist,
Kneippianer,
Temperenzler –«
»Wie!« ruf ich,
»und nie Mensch?«
Aber da reisst
der Schläfer die Augen auf,
und – »Mensch?«
von verzerrten Lippen heulend,
stürzt er,
fehltretend,
die Felswand hinab,
von Zacke zu Zacke
im Bogen geschleudert.
Ich aber,
ich »Mörder«,
muss unbändig lachen.
Ich kann nicht anders –
Gott helfe dem Armen!
Amen!
ANDRE ZEITEN, ANDRE DRACHEN
Immer nicht an Mond und Sterne
mag ich meine Blicke hängen –:
Ach man kann mit Mond und Sternen,
Wolken, Felsen, Wäldern, Bächen
allzuleichtlich kokettieren,
hat man solch ein schelmisch Weibchen
stets um sich wie Phanta Sia.
Darum senk ich heut bescheiden
meine Augen in die Tiefe.
Hier und da ein Hüttenlichtlein;
auch ein Feuer, dran sich Hirten
nächtliche Kartoffeln braten –
wenig sonst im dunklen Grunde.
Doch! da drunten seh ich eine
goldgeschuppte Schlange kriechen ...
Hocharomatisches Erspähnis!
Kommst du wieder, trautes Gestern,
da