Gesammelte Gedichte (851 Titel in einem Buch). Christian Morgenstern
Das Königskind
Ich ging an träumenden Teichen
vorüber in mondiger Nacht;
in den flüsternden Kronen der Eichen
spielten die Winde so sacht ...
Da umspann mich der Zauber der Stunde,
daß ich hemmte den einsamen Gang –
nur die Nixen sangen im Grunde,
tief im Grunde,
ihren leisen, dunklen Gesang.
Ihr Antlitz tauchten die Sterne
ins schauernde Wellenmeer,
aus duftverschleierter Ferne
grüßten die Berge her.
Kein Laut in schweigender Runde –
keines Vögleins verspäteter Klang –
nur die Nixen sangen im Grunde,
tief im Grunde,
ihren leisen, dunklen Gesang.
Da war mir, es käme gezogen
ein Nachen im leichten Wind
und trüge über die Wogen
ein strahlendes Königskind ...
Und ich rief mit bittendem Munde –
doch keine Antwort klang –
nur die Nixen sangen im Grunde,
tief im Grunde,
ihren leisen, dunklen Gesang.
Leise Lieder
Leise Lieder sing ich dir bei Nacht,
Lieder, die kein sterblich Ohr vernimmt,
noch ein Stern, der etwa spähend wacht,
noch der Mond, der still im Äther schwimmt;
denen niemand als das eigne Herz,
das sie träumt, in tiefer Wehmut lauscht,
und an denen niemand als der Schmerz,
der sie zeugt, sich kummervoll berauscht.
Leise Lieder sing ich dir bei Nacht,
dir, in deren Aug mein Sinn versank,
und aus dessen tiefem, dunklen Schacht
meine Seele ewige Sehnsucht trank.
Frohsinn und Jubel ...
Frohsinn und Jubel überall –
in meinem Herzen kein Widerhall.
Ein bittres Zucken im harten Gesicht ...
Verzicht! Verzicht!
Daß mir kein Weib in die Augen schau, –
es könnte zu tief erschrecken.
Ich kenne auf Erden nur eine Frau –
die mag mich nicht – die mag mich nicht –.
Verzicht. Verzicht.
Was rufst du ...
Was rufst du, traurig Herz! sei still!
Es kann nicht sein –
ergieb dich drein.
Es kann nicht alles also sein,
wie deine Sehnsucht will.
Nimm Abschied, Herz, von deinem Traum,
er war zu schön.
Von lichten Höhn
wieder hinab
ins einsame Grab!
Schau, dort fliegt's,
was du geträumt ...
Die Welle wiegts
hinab zu Tal ... –
Zerschäumt, zerschäumt!
Es war einmal ...
O Dunst und Schaum!
Nimm Abschied, Herz, von deinem Traum,
er war zu schön.
Weine, mein Herz, soviel du magst,
klag und wein!
Es wird dein letztes Weinen sein
auf lang.
Ich weiß, daß du nicht fürder klagst,
wenn dieser Schmerz sich niederzwang.
Dann wirst du hart
und schweigst erstarrt ...
Weine, mein Herz! klag und wein!
Es wird dein letztes Weinen sein
auf lang.
Nun hast auch du ...
Nun hast auch du, mein Herze,
dein großes Liebesleid,
nun bist auch du vom Schmerze
gesegnet und geweiht.
Von heut ab wird dein Klagen
nicht tändeln mehr wie einst,
und auch dein schönstes Sagen
wird sein, als ob du weinst.
Winternacht
Flockendichte Winternacht ...
Heimkehr von der Schenke ...
Stilles Einsamwandern macht,
daß ich deiner denke.
Schau dich fern im dunklen Raum
ruhn in bleichen Linnen ...
Leb ich wohl in deinem Traum
ganz geheim tiefinnen? ...
Stilles Einsamwandern macht,
daß ich nach dir leide ...
Eine weiße Flockennacht
flüstert um uns beide ...
Ein Wunsch
Weißt, was ich möchte, Mädchen?
Ich wollt, ich