Gesammelte Gedichte (851 Titel in einem Buch). Christian Morgenstern

Gesammelte Gedichte (851 Titel in einem Buch) - Christian  Morgenstern


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Sammlung ist, der Entstehungszeit ihrer Gedichte nach betrachtet, die umfassendste, die ich bisher veröffentlicht habe. Sie reicht bis vor die Entstehung meines Erstlings »In Phanta's Schloß« – also bis in den Sommer 1898 ab. Sie bildet demnach eine Ergänzung zu meinem ersten und noch mehr zu meinem zweiten Buche »Auf vielen Wegen«, dessen Inhalt hauptsächlich in den Jahren 96 und 97 entstanden ist. Ihre Gedichte sind im wesentlichen chronologisch geordnet. Mit »Ein Wunsch« gehen sie ins Jahr 95 über, mit den »Stimmungen vor Werken Michelangelos« ins Jahr 96, mit »Präludium« ins Jahr 97 und mit »Mensch Enkel« ins Jahr 98.

      Berlin, Frühjahr 1898

      Chr.M.

      Motto

       Inhaltsverzeichnis

      Wie ward ich oft gebrochen, brach mich selbst,

      und dennoch leb ich, unverwüstlich stark;

      was alles liegt in mir geknickt, verdorrt,

      doch unaufhaltsam wächst es drüber hin.

      Jünglings Absage

       Inhaltsverzeichnis

      Oh liebt mich nicht, ihr Guten und Gerechten,

      oh laßt mich nicht so herb und qualvoll leiden,

      von eurem Wege muß mein Weg sich scheiden,

      und gegen euch, nicht mit euch, muß ich fechten.

      Umsonst, daß wir um Ziel und Pfade rechten,

      umsonst, daß sorglich wir die Kluft verkleiden,

      den Einsamen, der nicht mit euch mag weiden,

      ihr bannt ihn doch zuletzt, als einen Schlechten.

      Dürft ich euch lieben! ... Doch wenn eure Hände

      Erhabenstes mit rohem Griff mißhandeln,

      und wenn ihr tobt in eures Sinns Umnachtung,

      dann wünscht ich mir die Faust voll Feuerbrände,

      dann möcht ich, Gorgo gleich, zu Stein euch wandeln –

      durch einen Blick unsäglicher Verachtung.

      Caritas, caritatum caritas

       Inhaltsverzeichnis

      An seinem Grabe rief des Priesters Mund:

      »Ob unbewußt, er war doch Kirchenchrist!

      O glaubt es, des Allmächtigen Bildnis ist

      verschwunden nie aus seiner Seele Grund!«

      Wohl mancher biß sich da die Lippe wund,

      ersah er, wie voll heuchlerischer List

      der Moloch Kirche noch die Toten frißt

      in seinen gierigen, eifersüchtigen Schlund.

      Und ob ein Held auch alle Kerker brach,

      die je ihn diesem Ungetüm versklavt,

      im Tode schleicht ihm seine »Liebe« nach

      und spricht: »Die ändern ruhn in meinem Bauch,

      wie sollt ich Dich als frei und ungestraft

      verschonen?! Sei getrost, ich freß' dich auch.«

      O – raison d'esclave

       Inhaltsverzeichnis

      »Krücken, Krücken! gebt uns Krücken!

      Ach, wie geht die Menschheit lahm,

      seit man, neu sie zu beglücken,

      ihr die alten Stützen nahm.

      Brillen, Brillen! gebt uns Brillen!

      grün und blau und gelb und rot!

      Volles Licht ist für Pupillen

      unsrer Art der sichre Tod.

      Lügen, Lügen! gebt uns Lügen!

      Ach, die Wahrheit ist so roh!

      Wahrheit macht uns kein Vergnügen,

      Lügen machen fett und froh!

      Gängelbänder, Schaukelpferde,

      Himmel, Hölle und Moral –

      und dich selbst gib deiner Herde

      neu zurück, oh großer Baal!«

      Gebt mir ein Ross ...

       Inhaltsverzeichnis

      Gebt mir ein Roß, und laßt mich reiten

      aus diesem Meer von Staub und Stein,

      in Wäldernacht, in Steppenweiten

      laßt einsam mich und selig sein!

      Hurrah! hussah! Der Rappe fliegt ...

      Die schwarzen Mauern fliehn zurück ...

      Vor mir in stiller Ferne liegt

      der Freiheit unaussprechlich Glück ...

      Vorüber tausend glatten Städten,

      bis mich ein freies Land empfängt,

      wo nicht Kultur mit Sklavenketten

      die kühne Mannesfaust behängt!

      Hurrah! hussah! Zigeunerkind!

      Herauf zu mir! mein Arm hält fest!

      Hin, wo die Berge pfadlos sind!

      Ein Horst sei unser Hochzeitsnest! ...

      Und spürt uns die verruchte Sippe

      im hohen Felsenbrautbett auf – –

      todwilde Jagd zur nächsten Klippe!

      Die letzte Kugel aus dem Lauf!

      Hurrah! hussah! Die Tiefe droht ...

      Umschling mich, Weib! Hörst du sie schrein? ...

      Viel lieber hier im Abgrund tot

      als dort im Staub lebendig sein! ...

      Frühling

       Inhaltsverzeichnis

      Wie ein Geliebter seines Mädchens Kopf,

      den süßen Kopf mit seiner Welt von Glück,

      in seine beiden armen Hände nimmt,

      so faß ich deinen Frühlingskopf, Natur,

      dein überschwänglich holdes Maienhaupt,

      in meine armen, schlichten Menschenhände,

      und, tief erregt, versink ich stumm in dich,

      indes du lächelnd mir ins Auge schaust,

      und stammle leis dir das Bekenntnis zu:

      Vor so viel


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