Gesammelte Gedichte (851 Titel in einem Buch). Christian Morgenstern

Gesammelte Gedichte (851 Titel in einem Buch) - Christian  Morgenstern


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      wohin? wohin?

      Hinter mir

      dunkles Vergessen gebreitet;

      vor mir der Zukunft

      dunklerer Pfad ...

      Aber noch hallt

      meiner Hoffnungen Hufschlag

      vor den rollenden Rädern,

      auf denen

      hochaufgerichtet ich noch,

      allen Gefahren

      heiter trotzend,

      die Ferne suche.

      Schatten und Lichter –

      vorüber – vorüber –

      in den Tiefen

      klirrende Ketten –

      nicht an mir –

      nicht für mich –

      mich laßt hinweg,

      höher hinauf!

      Freiheit! Leben!

      Zukunft! Sterne!

      Empor!

      Noch

      halten die Götter

      goldene Schilde

      schützend

      über mein junges Haupt.

      Inmitten der großen Stadt

       Inhaltsverzeichnis

      Sieh, nun ist Nacht!

      Der Großstadt lautes Reich

      durchwandert ungehört

      der dunkle Fluß.

      Sein stilles Antlitz

      weiß um tausend Sterne.

      Und deine Seele, Menschenkind?

      Ward sie nicht Spiel und Spiegel

      irrer Funken,

      die gestern wurden,

      morgen zu vergehn, –

      verlorst

      in deiner kleinen Lust und Pein

      du nicht das Firmament,

      darin du wohnst, –

      hast du dich selber nicht

      vergessen,

       Mensch,

      und weiß dein Antlitz noch

      um Ewigkeit?

      Am Meer

       Inhaltsverzeichnis

      Wie ist dir nun,

      meine Seele?

      Von allen Märkten

      des Lebens fern,

      darfst du nun ganz

      dein selbst genießen.

      Keine Frage

      von Menschenlippen

      fordert Antwort.

      Keine Rede

      noch Gegenrede

      macht dich gemein.

      Nur mit Himmel und Erde

      hältst du

      einsame Zwiesprach.

      Und am liebsten

      befreist du

      dein stilles Glück,

      dein stilles Weh

      in wortlosen Liedern.

      Wie ist dir nun,

      meine Seele?

      Von allen Märkten

      des Lebens fern

      darfst du nun ganz

      dein selbst genießen.

      Vaterländische Ode

       Inhaltsverzeichnis

      Weh dir,

      der du ein Deutscher bist!

      Deine glühende Seele

      mußt du in Einsamkeit flüchten;

      denn im Qualm und Geschrei deiner Märkte

      achtet niemand dein –

      und wie ein Narr

      stehst du, feierlich dich gebärdend,

      schwere, langsame Worte rollend,

      unter der wirren, kreischenden Menge.

      Rolltest du blanke Taler

      in ihre Gassen,

      heiß umpestete dich

      ihr geiler Atem –

      aber verhüllten Hauptes,

      Mensch der Würde,

      wendest du dich ...

      Hier ist unheiliger Boden.

      Weh dir,

      der du ein Menschenfreund –

      doppelt weh dir,

      der du es Deutschen bist!

      Aus der Inbrunst deiner Liebe

      mußt du dich

      immer wieder

      in brennender Scham

      an die Kniee der Einsamkeit

      flüchten!

      Der einsame Christus

       Inhaltsverzeichnis

      Wachet und betet mit mir!

      Meine Seele ist traurig

      bis an den Tod.

      Wachet und betet!

      mit mir!

      Eure Augen

      sind voll Schlafes, –

      könnt ihr nicht wachen?

      Ich gehe,

      euch mein Letztes zu geben –

      und ihr schlaft ...

      Einsam stehe ich

      unter Schlafenden,

      einsam vollbring ich

      das Werk meiner schwersten Stunde.

      Wachet und betet mir mir!

      Könnt ihr nicht wachen?

      Ihr alle seid in mir,

      aber in wem bin ich?

      Was wißt ihr

      von meiner Liebe,

      was wißt ihr

      vom Schmerz meiner Seele!

      O einsam!

      einsam!


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