Gesammelte Gedichte (851 Titel in einem Buch). Christian Morgenstern
daß sie Flecken des eigenen Augs
anbeten?
Rührendem Schauspiel
lohnt
unauslöschlich Gelächter.
Bändigen
wolln sie den Huf der Zeit,
mit Spruch und Fluch
bannen das steigende Roß,
drauf frühlingsgewaltig
der freie Geist,
der Zukunft König,
einherbraust!
Weh den Zermalmten!
Ihr Ende
umschallt
unauslöschlich Gelächter.
Hören sie nichts?
Vom Aufgang zum Niedergang
lacht es ja unablässig,
grüßt,
was sie lassen und tun,
unauslöschlich Gelächter.
Botschaft des Kaisers Julian an sein Volk
Kehrt Phoebus Apollo
zum zwölften Male,
sollen der Christen
Tempel fallen!
Ihre Säulen
sollen gebrochen werden
und ihre Kreuze
sich in die Erde bohren!
Und der Priester unheilig Volk
sei in ihnen,
als ihren Heimstätten,
wenn sie zusammenstürzen!
Und alles Volk
gehe in Rosen umher
und werfe die Steine
in seine Schlüchte und Wässer!
Und Tag und Nacht
solln die Posaunen
der neuen Tempel
jauchzen!
Wann aber der alten
Boden flach ward,
so soll man
Gärten darüber breiten!
Denn die Zeit ist um,
da das Kreuz geragt,
der neue Mensch
reckt seine Hand.
Auf mich selber
Höchste Unabhängigkeit –
sin' qua non condicio;
Zwang der Herdengängigkeit –
maxima contricio!
Rang, Besitz und Menschengunst –
larum lirum larum;
eine Kunst statt aller Kunst:
hic fons lacrimarum.
Übern Schreibtisch
1.
Bau dich nur an in deiner Welt,
und schiele nicht nach fremden Trieben,
bist du nur selbst dir treu geblieben,
so hast du einst auch deinen Mann gestellt.
2.
Willst du fest und fördernd leben,
mußt du oft den Blick verkleinern
und, dich schaffend zu erheben,
vielem dein Gefühl versteinern.
Vor alle meine Gedichte
»Traurig« – »lustig« –
Worte!
Ich schreibe für Männer.
Freue sich, wer da kann,
der lebendigen Kraft,
die, unbekümmert
um das, was sie greift,
nur sich selber
auslassen und üben will!
Schaffen ist Kraft!
Oh ihr empfindsamen Werther!
Wir Lyriker
Warum wir immer noch Verse schreiben?
Um unbekannt und ungestört zu bleiben.
Pöblesse obligee
»Gutes laßt uns stets beschweigen;
denn es dünkt uns selbstverständlich;
Schlechtem aber stets bezeigen,
wie wir ihm so tief erkenntlich.«
Einigen Kritikern
Laßt bei diesem Kot und Stroh
es nunmehr bewenden,
müßt nicht euer Bestes so
leichten Sinns verschwenden!
Kriegerspruch
Alte treue
Fahne Einsamkeit,
mit dir scheue
ich keinen Streit.
Hülle mich ein,
mein Panier,
in dir
will ich leben und begraben sein.
Herbst