Verschwindende Diamanten und andere Detektivgeschichten. Mathias McDonnell Bodkin

Verschwindende Diamanten und andere Detektivgeschichten - Mathias McDonnell Bodkin


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nicht alles richtig sei. Er galt auch für einen sehr schäbigen Menschen, aber er brauchte viel Geld und verdiente keines. »Ich danke dir, Clive,« fuhr er mit salbungsvoller Stimme fort, seinem Neffen immer noch mit einer Hand auf die Schulter klopfend, während die andre mit den schweren Ringen seiner goldenen Uhrkette spielte. »Du bist mir immer ein guter, gehorsamer Neffe gewesen, und ich hoffe mich nicht als harter Onkel zu erweisen, wenn die Zeit kommt. Du merkst schon, wo ich hinauswill, wie?«

      Clive verstand, was er meinte, und ihm war jämmerlich zu Mut. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wo Beck mit seinem Kunstgriff hinauswollte, aber die dunkle Vorstellung, daß sein Onkel ein Opfer der List werden könnte, verließ ihn nicht. Er fühlte sich tief beschämt von seiner vertrauensvollen Güte. »Ich gehe sofort und werde den Mann herbringen,« sagte Clive plötzlich, um der Sache ein schnelles Ende zu machen. Und er ließ Marmaduke bei seinen vergeblichen Bemühungen zurück, das Loch im Gasrohr mit einem winzigen Kügelchen von Löschpapier zu verstopfen.

      Becks Haustür gegenüber stand ein junger Mensch mit dem Werkzeugkasten eines Arbeiters unter dem Arm müßig da. Als Clive aus der Droschke stieg, schritt jener über die Straße und sprach ihn an, ehe er die Hausklingel zog. »Herr Clive Meredith?« fragte er in unterwürfigem Ton. Es war ein kräftiger, gutgebauter junger Mensch, gekleidet wie ein anständiger Handwerker, aber mit einem breiten, schwarzen Schmutzflecken im Gesicht.

      »Ja, das ist mein Name,« antwortete Clive.

      »Ich bin bestellt, Herr, und stehe zu Diensten.«

      »Wißt Ihr, was zu tun ist?«

      »Jawohl; ich habe meinen Auftrag; ich mache mich gleich an die Arbeit.«

      »Ihr könntet eine Droschke nehmen.«

      »Besten Dank, Herr, der Omnibus ist gut genug für mich und geht hier am Haus vorbei. Da ist er schon – entschuldigen Sie mich.« Damit rannte er die Straße entlang und sprang auf einen Omnibus, der gerade um die Ecke bog. Clive stand verwirrt vor Becks Tür. Auf seine Frage erhielt er zur Antwort, Herr Beck sei ausgegangen und werde vor zwei Stunden nicht wiederkommen.

      »Ob der Herr nicht seinen Namen zurücklassen wolle?«

      »Nein!« – das wollte er nicht. Verdrossen und betreten ging er nach seinem Klub. Er konnte nun einmal aus der ganzen Angelegenheit nicht klug werden.– –

      »Ich soll das Gasrohr ausbessern,« sagte der Handwerker dem Diener, der ihm die Tür in Park Lane öffnete.

      »Sie kommen von Carver & Picton? Recht so! Herr Meredith ist beim Frühstück. Er hat befohlen, Sie sofort ins Studierzimmer zu führen. Der Schaden soll gleich ausgebessert werden. Das ganze Haus ist voll Gasgeruch.«

      Sobald der Arbeiter eingetreten war, verriegelte er die Tür sorgfältig von innen und fing an, das Zimmer mit Neugierde zu durchforschen. Besonders schienen ihn die Schreibmaterialien anzuziehen. Er untersuchte Papier und Löschblatt, die Federn und die Tinte mit der peinlichsten Genauigkeit. Auf dem großen Mahagonischreibtisch zwischen den Fenstern standen zwei Tintenfässer. Er roch daran, prüfte den Inhalt mit der Zunge und schüttelte den Kopf. Dann ging er zu einem kleineren Pult von amerikanischer Machart, dessen Klappe zum Aufrollen war; er versuchte diese zu öffnen, fand sie aber verschlossen.

      »Das dachte ich mir,« murmelte er, während er einen Eisendraht, der am Ende seltsam gedreht und gebogen war, ins Schloß steckte. Zweimal machte er mit leisem Druck den Versuch, das Schloß zu öffnen und zweimal bog er den Draht mit starken Fingern in eine neue Form. Dann auf einmal, als ob das Schloß das Ding für seinen eigenen Schlüssel hielte, gab es freiwillig dem sanften Drucke nach; die Klappe des Pultes ließ sich zurückrollen und erschloß zugleich sämtliche Schubfächer an den Seiten. Rasch durchsuchte der sonderbare Einbrecher das Innere mit Auge und Hand. Bei einem hübschen silbernen Tintenfaß machte er einen Augenblick Halt und setzte es beiseite. Dann stürzte er sich auf ein gewöhnliches Tintenkrüglein von braunem Steingut, das in einem Fach des Pultes weit nach hinten geschoben und mit mehreren Papieren verdeckt war. Er untersuchte seine Beute eifrig, goß sogar ein paar Tropfen der Tinte auf ein Blatt Papier, roch und leckte daran, während sich ein befriedigtes Lächeln über sein Gesicht verbreitete. Dann schrieb er mit der Tinte eine kurze Notiz auf ein Blatt Papier, schwenkte es hin und her, bis es ohne Löschblatt getrocknet war, und steckte es in die Tasche.

      Nach einer Viertelstunde war der Tintenkrug wieder an seinem Platz, das Pult verschlossen und das Loch im Gasrohr ausgebessert – nicht zu früh, denn als der Handwerker aus dem Studierzimmer trat, traf er in der Vorhalle auf Herrn Meredith, der nach einem besonders üppigen Frühstück in bester Laune war. »Was, schon fertig, guter Freund?« sagte er lächelnd. »Das nenne ich rasch bedient! Da habt Ihr eine Kleinigkeit für Euch.« Herr Meredith war in der Regel nicht freigebig mit Trinkgeldern, so wie diesmal hatte er sich aber niemals mit einem solchen vergriffen.

      Den ganzen Nachmittag war Herr Marmaduke in der besten Stimmung. Ihm ahnte nichts Böses, und er pfiff leise bei seiner Schreiberei, wie jemand, der mit dem Lauf der Welt wohl zufrieden ist. Nach dem Mittagsmahl, bei seinem vierten Glas guten alten Portweins, als er Clive, der sich nicht wenig vor sich selber schämte, scheu und zerstreut fand, berührte der gute Onkel aus eigenem Antrieb die Heirat in der freundlichsten Weise.

      »Ich bin nur um dein Glück besorgt, lieber Clive,« sagte er im feierlichen Ton eines Bühnenvaters (er hatte viel Geschmack und Talent für das Theatralische), »aber du bist noch sehr jung. Bist du deines eigenen Herzens auch gewiß? Bist du ganz sicher, daß dein Glück durch diese Verbindung gegründet werden wird?«

      Natürlich war Clive auf das feurigste und innigste davon überzeugt.

      »Dann werde ich kein Hindernis sein,« erklärte der Onkel. »Aus freien Stücken werde ich meine Einwilligung geben.«

      Clive sprang von seinem Stuhl auf; er zitterte vor Freude. »Onkel, ich kann es nicht aussprechen, wie dankbar ich dir bin!« rief er in ehrlicher Einfalt. »Ich werde dafür sorgen, daß deine Großmut dich nicht gereuen soll.«

      Aber sein Onkel wies des Neffen Beteuerungen und Versprechen voll Edelmut zurück. »Ich brauche keinen Lohn,« sagte er; »mir genügt das Bewußtsein, zwei junge Wesen glücklich gemacht und ihnen das quälende Warten auf die Erfüllung ihrer Wünsche erspart zu haben. Die Leute meinen, ich sei mit meinem Gelde leichtsinnig umgegangen; aber sie irren sich. Ich habe, dank deinem armen Vater, viele Jahre eine hübsche Einnahme gehabt und habe genug zurückgelegt, um für den Rest meiner Tage ein behagliches Leben zu führen, wenn auch nicht im Überfluß. Aber ich will ja nicht von mir sprechen. Das Leben gehört der Jugend. Möge dein Leben, Clive, reich an Glück und Freude sein.«

      Er hielt einen Augenblick inne, wie von Gemütsbewegung überwältigt, und Clive saß schweigend in tiefer Rührung da. Gleich darauf faßte sich Herr Marmaduke Meredith ein wenig. »Wenn etwas Gutes unternommen werden soll, so kann es nicht rasch genug geschehen,« sagte er leise. »Trink dein Glas aus, mein Junge und komm mit mir in mein Arbeitzimmer.«

      Dort schloß er das amerikanische Pult auf, legte einen großen Bogen Papier vor sich hin und tauchte eine Goldfeder in den kleinen, braunen Steinkrug. Dieser war voller als er erwartet hatte, und ein dicker Tintentropfen fiel auf das Papier. Meredith zerriß den Bogen in kleine Stücke, warf sie in den Papierkorb und nahm ein neues Blatt. In schöner, fließender Handschrift schrieb er seine Einwilligung zu Clives Vermählung, fügte dann das Datum bei und setzte seinen Namen mit einem kühnen Schnörkel unter das Dokument.

      »Ist's recht so?« fragte er, indem er Clive das Papier reichte.

      »Wie kann ich dir nur danken, Onkel!« »Das brauchst du nicht.«

      »Mamie wird überglücklich sein. Ich hab's ja immer gewußt, daß ich recht hatte, aber sie meinte –« Er unterbrach sich verlegen – er konnte seinem Onkel doch nicht sagen, daß sie ihn für einen Heuchler hielt.

      Herr Marmaduke schaute ihn einen Augenblick scharf an, dann lächelte er wie aus Mitleid mit seiner Verlegenheit. »Die arme kleine Mamie,« sagte er in sanftem Ton, »sie hält mich vermutlich für ein boshaftes Ungeheuer, wie es im Märchen steht. Wir wollen sie aber deshalb nicht schelten, Clive, sie


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