Verschwindende Diamanten und andere Detektivgeschichten. Mathias McDonnell Bodkin

Verschwindende Diamanten und andere Detektivgeschichten - Mathias McDonnell Bodkin


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mit eisernem Griff und im Nu war sie abgedreht.

      Bei Becks Fahrrad hatten die Luftschläuche im Innern der Gummireifen eine besondere Konstruktion; sie waren lose eingefügt und glichen einer langen Wurst mit geschlossenen Enden. Einen Extraschlauch führte er immer im Beutel bei sich. So brauchte er also weder die Kette zu lösen, noch das Rad auseinander zu nehmen, auch nicht nach der beschädigten Stelle zu suchen, um sie auszubessern. Er zog einfach den alten Schlauch heraus, setzte einen neuen ein und das übrige besorgte die Luftpumpe. Das alles verrichtete Beck mit einer Schnelligkeit, wie man sie seinen dicken plumpen Fingern nun und nimmermehr zugetraut hätte. Kaum fünf Minuten waren vergangen, seit er den Schaden zuerst bemerkt hatte, und schon saß er wieder auf dem Fahrrad und die dunkeln Hecken auf beiden Seiten der einsamen Straßen flogen im Dämmerschein an ihm vorüber.

      Endlich! Er konnte gerade noch den steilen Abhang erreichen, wo die Landstraße plötzlich in die Höhe führte und die Brücke im Bogen die Eisenbahn überspannte. An dieser Stelle stieg er ab, hob sein Fahrrad über das hölzerne Geländer und stellte es vorsichtig in den Schatten des Brückenpfeilers. Dann hob er den Sack von der Lenkstange und ging damit zu den Schienen hinunter. Durch den Nebel sah man einige Sterne funkeln und von den Schienen ging ein schwacher Metallglanz aus; sie liefen wie zwei helle Streifen immer weiter in die Dunkelheit hinein.

      Jetzt nahm Beck eines der seidenen Taschentücher aus dem Sack, faßte es an einem Zipfel, zog dann mit den Zähnen den Kork aus einer der Kannen, tränkte die Seide so reichlich mit Öl, als er konnte, und beugte sich dann zu den glatten Schienen nieder, die er gründlich einzufetten begann. Rasch und sorgfältig verrichtete er dies Werk auf einer Strecke von mehr als hundert Meter, die steile Steige hinunter, bis das Öl der einen Kanne verbraucht war. Dann überschritt er die Bahn und arbeitete sich die Steige wieder hinauf, um auch die zweite Schiene ebenso reichlich mit dem Inhalt der andern Kanne einzuschmieren und zu tränken. Gerade unter der Brücke, auf dem höchsten Punkt der Steige, stellte er sich dann zwischen die Schienen hin, während der kalte Nachtwind an ihm vorbeisauste. Der Ausdruck seiner Mienen zeigte ein sonderbares Gemisch von gespannter Erwartung und Belustigung.

      »Ich hoffe, hier mitten auf der Bahn, wo der Zug fahren soll, einen sicheren Stand zu haben. Es wird sich ja bald zeigen.« Kaum hatte er das gesagt, so sah er gerade vor sich tief unten in der Ferne einen weißen Stern auftauchen, der immer größer und heller wurde. Der Wind blies fast in gerader Richtung die Bahn hinunter und sein Heulen war eine Weile der einzige Ton, den Beck vernahm. Dann ging plötzlich ein seltsames Zittern durch die Luft, dem das Rasseln und Fauchen des Zuges folgte. Zuerst leise, schwoll es allmählich immer gewaltiger an, sich dem Brausen des Windes entgegenstemmend. Mit voller Dampfkraft kam die Lokomotive des Blitzzugs, eine lange Wagenreihe in der Dunkelheit hinter sich herziehend, mit Donnergetöse die Steige heraufgefahren. Als sie zur Höhe emporklomm, mäßigte sie ihre Geschwindigkeit etwas wie ein Pferd, dem der Atem ausgeht.

      Jetzt hatten die Räder das Öl berührt. Sofort wurde das Brüllen des Zuges schwächer, das Kreischen und Rasseln Verstummte. Noch zwang die starke Triebkraft die ungeheure Masse, in ihrem Lauf vorwärts zu eilen, doch fanden die Räder keinen Halt an dem eingefetteten Metall; sie glitten aus wie Pferdehufe auf schlüpfrigem Boden. Langsamer und immer langsamer kam die Lokomotive einher, bis sie vielleicht nur noch zwanzig Meter von der Stelle entfernt war, wo Beck zwischen den Schienen stand. Jetzt hielt sie eine Sekunde lang still, um gleich darauf geräuschlos und zuerst ganz allmählich, dann schneller und immer schneller die Steige wieder hinunterzugleiten. Gräßlich, wie das Gebrüll eines todwunden Ungeheuers klang das Kreischen der Lokomotive durch die Stille der Nacht, bis der Zug weit unten am Fuß der langen Steige endlich zum Stillstand kam. Das Öffnen und Schließen vieler Türen und ein erregtes Stimmengewirr schlug in schwachen Tönen an Becks lauschendes Ohr. Er wartete, bis der Bahnwärter, der um die nötigen Warnungszeichen aufzustecken heraufkam, ganz nahe bei ihm angelangt war. Nun wußte er, daß der Zug in dieser Nacht keine zweite Auffahrt versuchen werde.

      Leichten Herzens holte er sein Fahrrad wieder herbei und segelte mit dem Wind im Rücken schnell und ohne Anstoß den Weg zurück, auf dem er gekommen war. Wie ein grauer Nebelstreifen dehnte sich die Landstraße vor ihm in die Nacht hinaus.

      Am nächsten Tage, um halb vier Uhr, während Herr Snippit noch mit dem Ehevertrag in der schwarzen Ledertasche fünf Meilen weit von Rathcool entfernt war und nach Herzenslust auf die schlechte Eisenbahnbeförderung schimpfte, spielte sich in dem Haus der Lords ein sehr sonderbarer Vorgang ab.

      Der Großkanzler mit dem dreieckigen Hut auf der ungeheuren Perücke saß auf seinem breiten scharlachroten Wollsack; neben ihm zwei andre Lords in Scharlach und Hermelin. Diese drei vertraten die abwesende Majestät von England. Auch noch viele andre hohe Herren in den verschiedensten Trachten waren zugegen. Am seltsamsten unter ihnen nahm sich jedoch ein großer Mann in schwarzem Talar und einer Perücke von besonders weißem Pferdehaar aus, der die feierlichste Miene zur Schau trug. Ein kleiner Mann verlas eine Liste derjenigen Gesetzesanträge, welche glücklich durch die Sturmflut der beiden Häuser gesegelt waren und sich jetzt dem friedlichen Hafen näherten.

      Bei jedem Gesetzestitel, der verlesen wurde, machte der große Mann eine halbe Schwenkung wie ein aufgezogener Automat, verneigte sich vor dem leeren Thronsessel und sprach mit einförmigem Tonfall die Zauberworte, wodurch ein Gesetzesantrag in einen Parlamentsbeschluß verwandelt wird.

      »Das Gesetz über freiwillige Zuwendungen,« las der kleine Mann.

      »La reine le veut,« verkündigte der große Mann.

      In diesem Augenblick war das Gesetz zum Beschluß erhoben; es bildete nun einen Teil der Landesgesetzgebung und die Rechte der kleinen Florence Burton waren gesichert. Den ganzen Nachmittag über warteten Trixie Mordant und Jerome Blood-Smith in Mount Eagle mit großer Ungeduld auf die Ankunft von Telegrammen. Gegen Abend trafen die beiden rosenfarbenen Kuverte endlich gleichzeitig ein. Jede der beiden Depeschen bestand nur aus einem einzigen Wort, Die ihrige lautet: »Verloren«, – die seinige: »Gewonnen«.

      Verbrieft und versiegelt

       Inhaltsverzeichnis

      »Oh, Herr Beck, Sie werden mir beistehen, nicht wahr? Er ist so eigensinnig – in unsrer Heiratsangelegenheit, meine ich. Aber ich habe ihm das Versprechen abgeschmeichelt, daß er Ihren Rat befolgen werde, und Sie müssen ihm raten, unsre Hochzeit zu verschieben.« Mamie Coyle stampfte, während sie so sprach, ungeduldig in Becks kleinem Wohnzimmer auf und ab. Er saß, sie beobachtend, im Sorgenstuhl, auf eine der Armlehnen gestützt, das Kinn in der Hand und einen wohlwollenden Ausdruck in seinem breiten Gesicht. Jetzt trat sie dicht an ihn heran, legte schmeichelnd ihr Händchen auf seine Schulter und schaute ihn mit einem bestrickenden Blick ihrer blauen Augen, dem schwer zu widerstehen war, lächelnd an.

      Aber Beck veränderte keine Miene, während er sich zurücklehnte und bedächtig die Fingerspitzen aneinander legte. »Ach, Herr Beck!« platzte Mamie heraus, »mir reißt die Geduld mit Ihnen!« Sie versuchte ihn aus seiner Ruhe aufzurütteln; doch hätte sie ebensogut probieren können, einen Elefanten aus dem Gleichgewicht zu bringen. »Da sitzen und sitzen Sie, sagen gar nichts und geben sich alle Mühe, so einfältig als möglich auszusehen!«

      Ihre Heftigkeit belustigte ihn nur. »Meine liebe junge Dame,« sagte er, »mein Geschäft ist eben jetzt zu hören und nicht zu reden.«

      »Sie müssen aber versprechen, mir zu helfen – Sie müssen. Hab' ich doch niemand außer Ihnen, dem ich trauen könnte.«

      »Gut, so trauen Sie mir.«

      »Ach, jetzt verstehe ich! Sie wollen erst vernehmen, was Sie die Tatsachen nennen, ehe Sie Ihren Rat erteilen, da muß ich Ihnen freilich wohl den Willen tun. Wir haben nur so wenig Zeit; in einer halben Stunde wird Clive hier sein. Ich kam vor ihm, um Sie zuerst allein zu sprechen. Nun, wo soll ich denn anfangen?«

      »Am Anfang.«

      »Ja, das ist freilich zwei und ein halbes Jahr her. Wir machten in Kensington unsern Spaziergang, wir Mädchen, meine ich, immer zu zweien. Er fuhr langsam auf dem Fahrrad an uns vorüber


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