Verschwindende Diamanten und andere Detektivgeschichten. Mathias McDonnell Bodkin

Verschwindende Diamanten und andere Detektivgeschichten - Mathias McDonnell Bodkin


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nahe über Miß Gurdys steinernes Gesicht, als er mir plötzlich gerade in die Augen sah, daß mich ein kleiner Schauer durchrieselte und mir das Lachen verging. Er zog höflich den Hut und Miß Gurdy schalt mich einen unverschämten Kindskopf, weil ich rot wurde. Natürlich war es unrecht von mir, aber ich konnte ihn beinahe eine Woche lang nicht aus dem Kopfe bringen, bis eines Abends, als wir im Schlafsaal allein miteinander waren, die kleine Flora Burton – Sie kennen ja die kleine Flora; jedenfalls kennt Flora Sie, Sie haben etwas ganz Wunderbares für sie getan, aber ich weiß nicht mehr was. Flora hat mich ja zuerst Ihnen vorgestellt; erinnern Sie sich denn nicht? Sie fanden doch mein Armband mit den Brillanten, und da – doch wo war ich denn stehen geblieben?« »Im Schlafsaal mit Flora Burton.«

      »O, ja; ganz recht! Sie gab mir einen Brief von ihm mit einem Gedicht darin, voll von Liebesschwüren und dergleichen mit einem schönen Schluß:

      Aus treuem Herzen, dir geweiht,

      Durch alle Zeit – in Ewigkeit!

      »Er war mit Flora bei ihrem Onkel, Herrn Warmington, zusammengetroffen, hatte sie über unsre Schule ausgefragt und, denken Sie nur, ihr erzählt, er erkenne mich immer an dem Grübchen im Kinn. Da hat sie ihm gesagt, daß ich ihr von allen Mädchen im Institut die liebste sei, und da hat er ihr den Brief gegeben. Hätte Miß Gurdy das gewußt, sie hätte uns beide aus der Schule geschickt, wenigstens mir hätte sie sicher den Laufpaß gegeben; was Flora anbetrifft, ja, wissen Sie, Flora ist Erbin eines großen Vermögens und hat einen Vetter, der ein Lord ist, die kann eben mit Miß Gurdy machen, was sie will.

      »Seitdem bekam ich drei Briefe von ihm, ehe ich eine einzige Zeile schrieb. Aber er sagte, er werde sich umbringen, wenn ich ihm nicht schriebe, nun, da mußte ich es doch natürlich tun. Danach, meine ich, fing Miß Gurdy an, etwas zu merken. Flora mußte gar so oft zum Zahnarzt gehen und bestand immer darauf, ich müsse mit dabei sein, um ihre Hand zu halten. Eines Tages, denken Sie nur, hätte uns Miß Gurdy fast ertappt. Sie kam ganz plötzlich ins Empfangszimmer, als Clive und ich gerade allein waren. Glücklicherweise hatten wir aber eben einen kleinen Zwist gehabt und er saß, die Zeitung verkehrt in der Hand, im entferntesten Winkel des Zimmers, ich dagegen sah zum Fenster hinaus, so –« Mamie warf einen Blick nach der Uhr, die auf Becks Kaminsims stand, und brach, atemlos und verwirrt von ihrer eigenen Hast, plötzlich ihren Bericht ab.

      »O! Ich habe ja nur noch sieben Minuten Zeit, und ich habe noch nichts von dem gesagt, was ich erzählen wollte.«

      »Zeit genug,« beruhigte Beck, denn er hörte sie gern plaudern.

      »Jetzt aber bleib' ich bei der Sache. Nachdem ich von der Schule abgegangen war, machte Clive meiner Mutter eines Tages seine Aufwartung, sagte ihr, daß er mich liebe, und eroberte sogleich ihr ganzes Herz. So sind wir nun verlobt und dürfen zusammen ausgehen, wohin es uns beliebt, aber er ist doch nicht zufrieden.«

      »Was kann er denn aber noch mehr wünschen?« fragte Beck ganz ernsthaft.

      »Ich soll ihn sogleich heiraten. Er ist eben Vierundzwanzigeinhalb und ich werde an meinem nächsten Geburtstag Neunzehn. Da meint er, wir seien alt genug zum Heiraten, und darin stimme ich auch mit ihm überein, aber, ach! es ist zu schrecklich!«

      »Was ist schrecklich?«

      »Daß er nicht Vernunft annehmen will. Sehen Sie, er ist der einzige Sohn seiner verstorbenen Eltern, und ich traue seinem Onkel Marmaduke gar nicht. Ich will's nur gleich erklären, ich werde ihm niemals trauen.«

      »Was hat denn Marmaduke mit der Sache zu tun?«

      »Clive lebt mit seinem Onkel in einem schönen Hause in Park-Lane, aber das Haus gehört Clive, das heißt es wird einmal Clive gehören; und außerdem hat er einen wundervollen Besitz in Kent, mit Wäldern und Flüssen, einem großen Wildpark und dem reizendsten Schlößchen. Ich habe letzte Woche all das gesehen. Aber in dem Testament seines Vaters steht eine grausame Klausel: daß er nicht eher in den Besitz des Erbes treten soll, als nach seinem vollendeten fünfundzwanzigsten Jahr, falls er sich nicht mit seines Onkels Einwilligung vorher verheirate. Heiratet er aber vor seinem vollendeten fünfundzwanzigsten Jahr ohne die Einwilligung seines Onkels, so geht das ganze Besitztum auf den Onkel über. Der Onkel Marmaduke Meredith ist ein großes Tier mit einem häßlichen, grinsenden Lächeln, was ich hasse, und ich bin sicher, er wird seine Einwilligung niemals geben. Clive behauptet aber, er werde es tun und keinesfalls würde er zwei Jahre warten, selbst wenn es um eine Million ginge. Nun sind es ja gar nicht mehr zwei Jahre, wissen Sie, nur anderthalb, und Clive sagt, er wolle sich als Advokat niederlassen und viel Geld für uns erwerben. Etwas eigenes Vermögen habe ich ja auch, was uns einigermaßen zu statten käme. Aber es ist mir gar nicht um das Geld, ich habe nur Angst, er möchte es später einmal bereuen, und das würde ich nicht überleben. Wenn ich ihm nun aber nicht den Willen tue, könnte er denken, ich wolle nur das Besitztum haben und nicht ihn. – O, tun Sie mir die Liebe, helfen Sie mir, Herr Beck! – ich weiß mir keinen Rat.«

      Während sie sprach, hatte sie in ihrer nervösen Aufregung Beck auf die Schulter geklopft. Jetzt brach sie plötzlich in Tränen aus und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Da war es auf einmal um Becks Ruhe geschehen. Er konnte kein Frauenzimmer weinen sehen. Rasch sprang er vom Stuhle auf, drängte das weinende Mädchen, seinen Platz einzunehmen, beugte sich über sie und suchte sie mit beruhigenden Worten zu trösten. Es sah sich an, als ob ein großer Neufundländer ein kleines Kind umschmeichelte.

      Mamie aber fuhr fort, bitterlich zu weinen, teils weil es ihr so ums Herz war, teils weil sie wohl wußte, daß sie zu den wenigen Frauen gehörte, denen das Weinen gut steht, hauptsächlich aber, weil sie sah, daß es die wirksamste Methode war, Herrn Beck zu rühren. Ganz plötzlich aber kehrte ihr Beck den Rücken und war eifrig beschäftigt, ein Stück Zucker zwischen die Gitterstäbe am Käfig seines Kanarienvogels einzuklemmen, während er ihm zupfiff. Seinem feinen Ohr war ein schneller, leichter Tritt auf der mit dickem Teppich belegten Treppe nicht entgangen. Im nächsten Augenblick vernahm man ein ungeduldiges Klopfen an der Tür. Mamie sprang vom Stuhl, hörte plötzlich auf zu schluchzen. »Herein!« rief Beck, ohne sich umzuwenden. Er mußte wohl recht ungeschickt sein, denn es dauerte eine ganze Weile, bis es ihm gelang, das Stückchen Zucker am Käfig zu befestigen. Als er sich endlich umwandte, sah Mamie glückstrahlend aus, obgleich noch eine Träne auf ihrer roten Wange zitterte, wie der Tautropfen auf dem Blatt der wilden Rose.

      Ein schlanker, hübscher junger Mann stand dicht neben ihr und schaute voll Liebe und Sehnsucht auf ihr lächelndes Antlitz nieder. »Nun?« fragte Beck nach einer Pause, denn sie sahen ihn scheu an, ohne zu sprechen.

      »Es ist alles in Ordnung!« rief Clive Meredith fröhlich. »Onkel Marmaduke wird tun, was recht ist, davon bin ich fest überzeugt. Er hat es mir heute deutlich zu verstehen gegeben. Ich wußte ja, es würde sich alles machen, wenn ich ihm Mamie nur erst vorgestellt hätte. Natürlich, er konnte ja nicht umhin, sich in sie zu verlieben. ›Clive, mein Junge,‹ hat er gesagt, ›das ist ein süßes Geschöpf, ich gratuliere dir. Nicht einen Tag möchte ich dir da im Wege stehen. Pflücke die Rose, wenn sie blüht! sagt der Dichter. Ich habe natürlich eine heilige Pflicht deinem Vater gegenüber zu erfüllen. Gott segne dich, mein Junge, Gott segne dich,‹ der alte Onkel wurde wahrhaftig gerührt und war dem Weinen nahe. Da sehen Sie also, Herr Beck, daß wir keine besondern Maßregeln zu treffen brauchen.«

      »Und doch traue ich ihm nicht, trotz seiner Krokodilstränen,« rief Mamie aus. »Er hat irgend einen Streich im Sinn. Du weißt doch, daß er Geld braucht – hast du mir das nicht selbst erzählt? – und was für häßliche Gerüchte über ihn im Umlauf sind. So teile doch Herrn Beck mit, was du mir gesagt hast.«

      »Ich tu's nicht gern,« sagte Clive widerwillig. »Nicht durch seine Schuld ist er in die Klemme geraten; man hat ihn gedrängt und betrogen. Vor sechs Monaten, ich war damals verreist, kam ein Kerl zu ihm, ein unverschämter Schleicher, der sich Eingang in Onkels Arbeitzimmer verschaffte und eine angebliche Schuld bezahlt haben wollte. Es war eine ansehnliche Summe – über tausend Pfund glaube ich. Onkel stellte einen Scheck aus und ließ sich den Empfang bescheinigen. Bald darauf schwor der Jude, Onkels Scheck sei nur ein leeres Schema gewesen, als er ihn auf der Bank präsentiert habe. Er machte eine Klage anhängig und erzählte seine Geschichte vor Gericht. Aber in der


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