THE BLACK - Der Tod aus der Tiefe. Paul E. Cooley
mit Leaguer etwas Neues. Statt Vertragsunternehmen zu verpflichten, um einen Großteil der Schichtenanalyse und des Geschiebes von Gerätschaften sowie das eigentliche Bohren zu übernehmen, hatten sie sich dazu entschieden, Spezialisten anzuheuern und so viel Technik wie nur möglich zu kaufen. Sie wollten zu der führenden Offshore-Explorationsgesellschaft aufsteigen. Falls Leaguer ein Erfolg wurde, konnte PPE als Dienstleister für alle wesentlichen Ölkonzerne arbeiten. Diese konnten theoretisch durch geringere Kosten, Arbeitskräftefluktuation und ein einziges, integriertes Sicherheitsprotokoll Milliarden bei der Rohstoffförderung sparen.
Calhoun war sich allerdings nicht sicher, ob ihre Strategie wirklich aufgehen würde. Denn er wusste, der Rest der Offshore-Industrie beobachtete Leaguer und PPE mit großem Interesse. Falls sich M2 als größter Fund auf offener See in der Geschichte herausstellte, war das Unternehmen allerdings auf Jahrzehnte hinaus saniert.
In ein paar Stunden würde das Schiff über das Unterwasserfeld fahren. Laut Einschätzung der Seismografen war das Gebiet, was Öl anbelangte, größer als Saudi-Arabien – vorausgesetzt natürlich, man stellte sich das Land dreißigtausend Fuß unter Wasser versunken vor.
Der Graben, den PPE im Rahmen des Projekts M2 nannte, war auf keiner Karte verzeichnet gewesen und bis zum heutigen Zeitpunkt noch kaum erkundet worden; in zwei Jahren hatte man es nicht geschafft, in dieser Hinsicht auch nur einen Finger zu rühren, sondern die Zeit lieber damit verschwendet, sich Klarheit über eine mutmaßliche Goldgrube im Lizenzgebiet des Konzerns zu verschaffen. Allein auf der Grundlage möglicher Vorkommen waren die Aktienkurse in die Höhe geschossen, doch man hatte bisher keinen einzigen Tropfen Öl gefördert, nicht einmal zu Zwecken der Analyse.
Catfishs ursprüngliches seismisches beziehungsweise magnetisches Equipment hatte das Gebiet mehr oder weniger zufällig entdeckt. Während Calhoun mit seinem Team in Nigeria gewesen und mit einem wichtigen Ölförderprojekt zugange gewesen war, hatte sein Partner einen nicht gerade prall subventionierten Auftrag zur Erkundung von M2 für die NOAA unterzeichnet, die Wetter- und Ozeanografiebehörde der Vereinigten Staaten. Calhoun hatte ihm die Teilnahme an dieser Mission aufgrund der Steueranreize erlaubt … nun ja, deshalb und weil es eine Gelegenheit darstellte, ein paar neue Drohnen zu testen.
Catfishs Maschinen waren offensichtlich jedoch zu mehr imstande gewesen als einer einfachen Untersuchung. Seine unbemannten Sonden oder AUVs – ferngesteuerte hießen kurz ROVs – hatten das Gebiet in Erfüllung ihrer Aufgabe gesichtet; als sie wieder aufgetaucht waren, um Informationen via Satellit zu übermitteln, hatte Catfish etwas Wichtigeres als die Topografie des Schelfs erfahren. Den Magnetsensoren war nämlich etwas untergekommen, womit er nie im Leben gerechnet hatte – Öl unter der Oberfläche des Grabenbettes.
Da die NOAA kein Interesse an eventuellen Ölfunden hegte, hatte er sich auch nicht dazu bemüßigt gesehen, sie darüber zu informieren, Calhoun dafür jedoch sofort gemeinsam mit den Berichten eine PGP-verschlüsselte Nachricht zukommen lassen. Dieser hatte die E-Mail bei einer Bullenhitze in einem Hotel in Abuja empfangen und Standlees Zahlen noch einmal recherchiert. Nach kurzer Überprüfung war er bereit gewesen, Nigeria sofort zu verlassen und nie wieder dorthin zurückzukehren.
Nun zog Calhoun eine Zigarre aus seiner Brusttasche, brach ein Ende ab und zündete sie mit einem vergoldeten Feuerzeug an. Sein langärmeliges Tropenhemd flatterte im Wind, während der Qualm aus seinen Nasenlöchern waberte. Er wischte sich den Schweiß von seiner glänzenden Stirn und ging noch einmal im Kopf durch, was er heute noch vorhatte.
Was war am Allerwichtigsten? Sichergehen, dass die Idioten, die seine Geräte verluden, keine seiner neuen Bohrmaschinen kaputtmachten. Zweitens? Das Personal auf der Insel anzuweisen, den Bestand vollständig aufzunehmen, bevor das Schiff wieder aufbrach. Tat es dies nämlich, war eine weitere Belieferung mehrere Tage lang, falls nicht sogar Wochen unmöglich.
Blitze zuckten über der wabernden, schwarzen Wolkenbank. Calhoun erschauderte. Er hoffte, der Sturm würde ihnen nicht bis zur Fundstelle folgen. Falls doch, durfte er sich auf einen höllischen Wochenanfang einstellen.
»Thomas?«, fragte eine Stimme hinter ihm.
Er drehte sich um und blinzelte eine kleine blasse, aber drahtige Frau in Bermudashorts und einem weißen T-Shirt an. Dann lächelte er und blies eine Rauchfahne in die Luft.
»Shawna, was gibt’s?«
Sie schaute zu ihm auf und erwiderte: »Ich habe gerade per Funk mit Catfish geredet. Wie es aussieht, werden sie bereit sein, wenn wir eintreffen. Er legt sich gerade ins Zeug, um den Rest der Sachen hinunterzuschaffen.«
Thomas nickte. »Du hast die Übersichtskarten kontrolliert, und sie sind mit der Plattform in Position gegangen wie von dir befohlen«, antwortete er mit gedehnten Vokalen. »Ich glaube, wir alle sind nun bereit, herauszufinden, was es dort unten gibt.«
Die Geologin rieb sich die Hände. »Falls uns dieser elende Kahn heil ankommen lässt.«
»Das kannst du laut sagen«, erwiderte Calhoun. Er blickte wieder hinaus auf den Ozean. »Hoffentlich hast du deine Angel mitgebracht.«
»Ach ja, fast vergessen«, meinte Shawna und musste dabei ihre Stimme gegen den Wind und das Rauschen der Wellen erheben. »Ich habe mich auch mit JP unterhalten; er hat sein Zeug zum Speerfischen mitgenommen.«
Calhoun verdrehte die Augen. »Vraebel wird ausflippen«, sagte er und lachte verschmitzt. »Der Arsch hasst uns ohnehin schon, und ihr werdet ihn bestimmt in den Wahnsinn treiben.«
Sie wippte auf ihren Zehen. Während das Schiff schlingerte, geriet die zierliche Frau leicht ins Schwanken. »Wir können doch schließlich nichts dafür, dass er ein Spielverderber ist. Außerdem arbeitet JP schon genauso lange mit wie Catfish, und Vraebel hat die Zwei bis jetzt nicht ins Meer geworfen – noch nicht zumindest.«
Nun verzog Calhoun sein Gesicht. Vraebel, der Aufseher der Ölbohrinsel, hatte zwar weder Catfish noch JP über die Planken gehen lassen, ihm dafür aber jede Menge Mails geschickt und darin genau damit gedroht. Dieser humorlose Redneck meldete sich nahezu täglich bei PPEs Vizeoperationschef. Ständig kotzte er sich über sein Missfallen aus – Beschwerden wegen unprofessionellen Verhaltens, fahrlässiger Arbeitsabläufe et cetera, und was hatte Calhoun getan? Seine Mitstreiter verteidigt, wie üblich.
Jetzt schaute er Shawna finster an. »Wenn wir die Plattform erreichen, will ich eine vollständige Bestandsaufnahme: die Bohrtechnik, eure Sachen, Catfishs Zeug, alles.« Er schnippte etwas Asche von der Zigarre. »Und dieses Mal wäre es nett, wenn du deinen Laptop nicht an Bord des Versorgungsschiffs zurücklassen würdest.«
Shawna öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, schloss ihn aber gleich wieder. Ihre Ohren glühten rot. »Ja, Boss. Dieses Mal gehe ich ganz sicher, dass ich mein ganzes Rüstzeug dabeihabe.«
Calhoun nickte wieder. »Gut. Denn ansonsten …« Er zeigte mit der Zigarre auf die Geologin. »… lasse ich dich schwimmen, um es zu holen.«
Die kleine Frau sah ihn nachdenklich an. »Solange ich einen Anzug und Flossen kriege, kein Problem.«
Thomas lächelte. Er arbeitete nun schon seit fast zehn Jahren mit Shawna. Trotz ihrer nervigen Charakterzüge war sie immer verlässlich.
»Aha«, gab er zurück. »Hast du vor, mit JP Fisch zu fangen?«
»Selbstverständlich«, antwortete Shawna. »Vorausgesetzt, du gönnst uns ein wenig Freizeit.«
Calhoun zuckte mit den Achseln. »Die Gelegenheit dazu ergibt sich bestimmt. Morgen werden wir die Anschlüsse überprüfen und den Bohrer ausrichten. Sobald das alles getan ist, könnt ihr euch so lange verziehen, wie ihr wollt, während Vraebels Personal den ganzen Maschinenpark verbindet – aber übermorgen …« Er grinste. »… will ich Ölschlamm aus der Druckleitung sprudeln sehen.«
»Ich denke, das lässt sich einrichten«, behauptete Shawna. »Es wird genauso laufen wie letztes Mal.«
Daraufhin lachte Calhoun und klemmte sich die Zigarre wieder zwischen die Zähne. »Hoffentlich nicht.«
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