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THE BLACK - Der Tod aus der Tiefe. Paul E. Cooley
Wind. Er stand auf dem Aussichtsturm hoch über den Maschinen der Anlage und der emsig arbeitenden Inselbesatzung. Vraebel hatte deutlich gemacht, dass Rauchen nur ganz oben auf seiner Bohrinsel erlaubt sei. Was für ein Wichser …
Catfish paffte seine Zigarette, sog den Rauch tief ein und blies ihn dann in den Wind hinaus. Der verhangene Himmel hatte das Meer in eine ruhelos wallende Masse verwandelt, die dunkelgrau war wie das Metall eines Gewehrs. Fische tummelten sich im Wasser. Er schmunzelte; JP war schon in seiner Kabine und schärfte gerade seine Harpunen.
Der Taucher und Spezialist für Tiefseetechnik grinste schon seit Tagen wie ein Irrer. Jedes Mal, wenn er eine der unbemannten Sonden hochgeholt hatte und zurückkam, plapperte JP ausgiebig von den Fischen in diesem Meeresabschnitt. Seine Ausrüstung für lange Tauchgänge lag auf dem Versorgungsschiff; Catfish hoffte, JP würde sie nicht brauchen.
Die AUVs, die er mit Calhoun entwickelt hatte, legten aber leider vereinzelt Kinderkrankheiten an den Tag, insbesondere Nummer 5. Das verdammte Ding bestand zwar stets alle Diagnosetests, die Catfish mit ihm durchführen konnte, verfehlte aber oft ihre Oberflächenziele. Die Funkverbindung gestaltete sich auch nicht unbedingt störungsfrei. Das nahm zwar keine so extremen Ausmaße an, dass die Computer die Informationen nicht hätten verarbeiten können, aber Nummer 5 erschwerte das Vorankommen definitiv.
Catfish hoffte, dass Calhoun imstande war, das Problem zu lösen, denn nachdem er sich dem Problem selbst eine Woche lang gewidmet hatte, wusste er nicht mehr, was er noch versuchen sollte. Gemeinsam mit dem Techniker hatte er über ein Jahr mit der Entwicklung der gottverdammten Torpedos verbracht, um so viel elektronisches Gerümpel und Sensoren in deren drei Meter lange Gehäuse zu stopfen wie nur möglich. Aber auch nach neun Monaten andauernden Tests im Golf von Mexiko mussten sie sich mit Komplikationen herumschlagen.
Er seufzte, drückte seine Kippe auf dem Handlauf aus und warf sie dann in ein Schwerabfallfass, dessen Boden schon mit Stummeln übersät war. Vraebel mochte Glimmstängel hassen, doch viele seiner Männer rauchten. Unter Bohrturmarbeitern galten Zigaretten, Alkohol und leichte Damen (üblicherweise Oben-ohne-Tänzerinnen) als stereotype Freuden – und dieses Klischee stimmte absolut.
Catfish warf einen letzten Blick hinaus auf das Meer, ehe er sich die Treppe hinunter ins Quartier der Crew begab. Auf dem engen Korridor ging er an Kojen mit Stahlbetten vorbei. Platz war auf der Förderplattform ein kostbares Gut, weshalb die meisten Roughnecks – so nannte man sich in diesem Beruf – zu zweit oder manchmal gar zu viert in einem Raum lagen. Calhouns Team andererseits hatte gleich drei Gästekajüten bekommen. Craig und JP schliefen zusammen, Calhoun und Shawna jeweils allein. Catfish schaute kurz in die leere Koje seines Partners; ohne dessen Gepäck sah sie leer und viel zu groß aus. Er musste lächeln, denn lange würde sie nicht mehr so bleiben.
Als sie zuletzt gemeinsam auf einer Hochseeförderinsel gewesen waren, hatte Calhoun alle Wände seiner Privatkabine mit Karten und Diagrammen tapeziert. Der Kerl konnte einfach nicht anders, als auf alles zu zeichnen, das er in die Finger bekam – und außerdem nie mit dem Grübeln aufhören. Dass er sich schon zwei Mal hatte scheiden lassen, war kein Wunder. Denn welche Frau konnte schließlich einen Mann ertragen, der es ihr kurz und heftig besorgte, ehe er sich danach sofort wieder daran machte, über Chemie, mechanische Entwürfe und die immerwährende Suche nach schwarzem Gold nachzudenken?
Catfish seufzte und ging weiter zu seiner Koje. Ein dünner Lateinamerikaner mit einer düsteren versteinerten Miene kam ihm entgegen; er lächelte ihn an und fasste sich an den imaginären Hut. Der Roughneck grinste schief zurück und bewegte sich dann ohne ein Wort zu sagen an ihm vorbei.
Typisch. Egal, auf welcher Bohrinsel Calhouns Team unterkam, es wurde königlich behandelt – oder mit anderen Worten: wie Scheiße. Die gewöhnlichen Arbeiter hassten die Truppe stets, weil sie jegliches Vorrecht genossen und gegen alle Regeln verstoßen durften. Außerdem machten sie sich in den Augen des Stammpersonals nie die Finger schmutzig.
Catfish konnte ihnen erklären, wie anstrengend es war, vor einer Demonstration bis vier Uhr morgens Schaltbretter zusammenzuschweißen oder Assemblercodes auf Fehler hin abzuklopfen; er hätte ihnen auch beschreiben können, wie es sich anfühlte, einen zwei Millionen Dollar schweren Prototypen zu Wasser zu lassen, damit er plötzlich zweitausend Fuß unter der Meeresoberfläche einfach implodierte. So viel zum Thema Arbeitsdruck; die beschissenen Roughnecks hatten doch gar keine Ahnung davon, was das wirklich bedeutete.
Von ihnen wiederum verstand das Team genauso wenig. Diese Männer leisteten gefährliche Arbeit. Sie wurden zweifellos gut dafür bezahlt, aber das genügte beileibe nicht, um tagtäglich das eigene Leben aufs Spiel zu setzen. Catfish konnte gut nachvollziehen, warum sie sogenannte »Schreibtischstrategen« hassten, doch sie mussten verflucht nochmal endlich darüber hinwegkommen. JP und er waren jetzt schon seit über einer Woche vor Ort, führten Überprüfungen durch und stellten die Maschinen auf den Betrieb ein. Sie plagten sich genauso ab und schwitzten in den stickigen Räumlichkeiten wie alle anderen.
In den kommenden Wochen würde Catfish nur während seiner sechsstündigen Auszeit täglich natürliches Licht sehen und den Wind im Gesicht spüren. Sobald die Bohrung richtig begann, würde es die Hölle werden, und dann ging es ihm ganz genauso dreckig wie dem Rest der armen Schweine hier auf der Insel. Obwohl er sich weder im Gesicht noch an anderen Körperstellen mit Öl beschmieren würde, blieb auch er nicht vor Schmierfett, Ruß und Salz gefeit. Jedes Mal, wenn eine seiner unbemannten Drohnen zurückkehrte, würde er sich ihrer annehmen, sie warten und reparieren müssen – und das alles ohne Labor oder einer in irgendeiner Weise angemessenen Werkstatt.
Scheiß auf die Roughnecks; die wussten doch nicht, was Stress war!
Er zog sich das Gummiband vom Hinterkopf und schüttelte sein Haar, als er auf die Kabine zuging, die JP und er bezogen hatten. Nachdem er tief Luft geholt hatte, klopfte er gegen die geschlossene Luke. »Yo, JP? Holst du dir da drin gerade einen runter?«
Gedämpftes Lachen brach hinter der Tür aus. »Komm schon rein, Catfish.«
Er lächelte und öffnete die Luke. JP stand in seiner vollen Größe von knapp 1,80 m vor dem Bullauge. Überall am Boden befand sich Gepäck: Stiefel, Schwimmflossen, Kreislauftauchgeräte, Masken … der Kerl hatte mehr oder minder drei Seesäcke voller Gerümpel auf dem ganzen Boden verstreut.
»Alter, was soll das?«
JP fuhr sich mit einer Hand durch seine ergrauenden Haarstoppeln. »Ich, äh … musste etwas nachschauen.«
Catfish schüttelte unwirsch den Kopf. »Was denn? Und hättest du das nicht an Deck tun können?«
Der Ältere erwiderte mit betretenem Grinsen: »Oh, na ja, ich dachte, da du weg warst …«
»Kumpel, zwischen weg und kurz raus besteht ein riesiger Unterschied.« Catfish betrachtete das Durcheinander. »Also, hast du alles dabei?«
JP streckte beide Hände nach der unteren Schlafbank aus und hob zwei Gewehre hoch. Die Harpunen waren nicht aufgesteckt, doch Catfish wusste aus Erfahrung, dass sein Genosse mindestens fünf für jede Waffe irgendwo herumliegen hatte.
»Ich glaube schon«, antwortete JP und warf ihm eine zu.
Der Techniker fing das Gewehr mit einer Hand, dann betrachtete er es. »Wir gehen also zum Speerfischen?«
In JPs wettergegerbtem Gesicht zeichnete sich ein breites Grinsen ab. »Das hatte ich vor, wenngleich mich Thomas ermahnt hat, dass wir uns benehmen müssen, bis er hier ist.«
Catfish verdrehte die Augen. »Lass mich raten: Vraebel meckert wieder?«
»Natürlich«, bestätigte JP. »Er mag hier sozusagen der Anführer sein, bleibt aber immer noch ein Roughneck. Er hasst niemanden so sehr wie uns.«
»Der Typ kann mich mal«, schimpfte Catfish.
JP hielt ihm eine Faust hin, und er stieß mit seiner dagegen. »Richtig, aber wir müssen uns noch bis heute Nachmittag unauffällig verhalten.« Er legte das Gewehr für die Harpunen behutsam auf die obere Pritsche. »Abgesehen davon sollten wir aber wirklich mal schwimmen gehen.«
»Genau«,