Betreten verboten!. Inga Jung
läuft, entlang gegangen ist und dort seine Duftspur hinterlassen hat, um unseren Hund völlig die Fassung verlieren zu lassen. Das ist eine ganz normale, natürliche Reaktion, schließlich kann nicht jeder jeden mögen. Und wenn man sich nicht aus dem Weg gehen kann, weil man gezwungenermaßen in direkter Nachbarschaft zueinander lebt, dann entstehen eben Konflikte.
Territorialverhalten und Sexualverhalten gehören in gewissen Bereichen zusammen.
Aber zurück zur sexuellen Konkurrenz: Unsere Hunde sind sich nicht der Tatsache bewusst, dass wir Geburtenkontrolle betreiben und sie sowieso niemals zur Fortpflanzung kommen werden. Daher ist ein gleichgeschlechtlicher Hund im eigenen Revier grundsätzlich ein Konkurrent. Es ist ein Ziel vieler territorial denkender Hunde, die gleichgeschlechtlichen Konkurrenten aus ihrem Streifgebiet zu vertreiben und natürlich auch zu verhindern, dass sich neue dort ansiedeln – einer der Gründe dafür, warum neu zugezogene Hunde es oft mit den Hunden der Nachbarschaft schwer haben. Im Kern- und Außenterritorium eines ortsansässigen Hundes hat die Konkurrenz ohnehin nichts zu suchen, das sollte klar sein. Wer sich in seinen Garten verirrt, hat nichts Gutes zu erwarten.
Bei Hündinnen ist es übrigens auch egal, ob sie kastriert wurden, denn Hündinnen durchlaufen in ihrem normalen Sexualzyklus immer wieder Phasen von geringer hormoneller Aktivität, die dem Hormonspiegel einer kastrierten Hündin ähnlich sind. Daher kann man mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass eine kastrierte Hündin sich ähnlich fühlt wie eine unkastrierte Hündin in der Zeit geringer hormoneller Aktivität zwischen zwei Läufigkeiten. Sie wird daher ebenso wie eine unkastrierte Hündin die „Konkurrenz aus dem Weg räumen“ wollen, um ihre Fortpflanzungschancen so hoch wie möglich zu halten. Zu erwarten, dass eine Hündin nach der Kastration weniger Aggressionen gegenüber anderen Hündinnen zeigen wird, wäre unsinnig.
Bei Rüden ist es etwas anders. Da die Sexualhormone bei einem erwachsenen Rüden stets aktiv sind, wirkt sich eine Kastration meist deutlich auf sein Verhalten aus. Allerdings oftmals nicht so, wie die Menschen sich das vorgestellt haben. Durch die Kastration verlieren viele Rüden enorm an Selbstbewusstsein, werden unsicher und reagieren daher unerwartet heftig auf Artgenossen. Statt einer Reduzierung des Aggressionsverhaltens erreicht man durch die Kastration eines Rüden in vielen Fällen eher eine Verschlimmerung, da sich seine Reaktionen durch den Faktor Unsicherheit, wie oben bereits beschrieben, verstärken.
Möglich ist auch, dass ein kastrierter Rüde sich nicht mehr traut, sein Territorium gegen andere, unkastrierte Rüden zu verteidigen. In dem Fall wäre die Kastration dann, zumindest was das vom Hund gezeigte Verhalten angeht, erfolgreich. Ich habe allerdings auch schon des Öfteren erlebt, dass so ein Hund im Laufe der Jahre dann doch immer mehr Unsicherheiten entwickelt und irgendwann zum typischen Leinenpöbler wird, der andere Hunde wild anbellt, um sie auf Abstand zu halten. Eine Garantie dafür, dass nach der Kastration alles gut wird und die Menschen dann einen freundlichen Rüden an der Leine haben, gibt es keineswegs.
Sexuelle Konkurrenz spielt natürlich auch beim Territorialverhalten eine Rolle.
Hat Territorialverhalten etwas mit Dominanz zu tun?
Wie in fast allen anderen Lebenssituationen auch, werden die Anhänger der verschiedenen „Dominanz“-, „Rudel“- und „Rangordnungs“-Theorien auch im Territorialverhalten schnell Aspekte finden, die einem Hund unterstellen, er sei „dominant“. Ist man Anhänger der Dominanztheorien, dann ist das leicht, denn hat man erst einmal die „Dominanzbrille“ auf, dann sieht man eigentlich überall Hinweise auf Dominanzverhalten. Jedes Knurren, jedes Fixieren eines anderen Hundes, jedes Futterbetteln und Aufmerksamkeitsheischen, jedes Vordrängeln an der Tür, jedes Schlafen an der falschen Stelle im Raum usw., alles kann dann irgendwie mit diesem Zauberwörtchen Dominanz gedeutet werden. All diese Verhaltensweisen können objektiv betrachtet aber auch sehr viel plausibler und simpler mit anderen Ursachen erklärt werden. Zum Beispiel bettelt der Hund am Tisch, weil er gelernt hat, dass dies zu einem schmackhaften Erfolg führt. Oder er liegt an dieser Stelle im Raum, weil es dort so schön kühl ist. Und so weiter. Und dann stellt sich heraus, dass all das überhaupt nichts mit Dominanzverhalten zu tun hat.
Wichtig zu wissen ist zunächst, dass sich zwischen Mensch und Hund überhaupt keine Rangordnung in dem Sinne, wie es einem die Anhänger der Dominanztheorien weismachen möchten, ausbildet. Es muss also niemand Angst haben, dass sein Hund irgendwann die „Herrschaft“ über ihn anstrebt, denn ein solcher Machtkampf, wie ihn manche Hundetrainer beschwören, existiert zwischen Mensch und Hund schlichtweg nicht. Genau wie der Wolf lebt auch der Hund in den gleichen familiären Strukturen wie wir. Ein Wolfrudel ist nichts anderes als eine Familie mit Mutter, Vater und Kindern, genau wie bei uns Menschen auch. Der domestizierte Hund hat, im Gegensatz zum Wolf, die Tendenz, sich in unsere menschliche Familie einzugliedern, wobei er grundsätzlich von sich aus den Status eines Kindes einnimmt – altersentsprechend vielleicht nicht unbedingt den eines Kleinkindes, sondern eher den eines rebellierenden Teenagers, der seinen eigenen Kopf hat, aber keineswegs möchte er in dieser Konstellation eine Führungsposition einnehmen. Letzteres ist aber ein sich leider extrem hartnäckig haltender Mythos, der schon vielen Hunden ein leidvolles Leben in ständiger Unterdrückung beschert hat.
Dominanzverhalten in dem Sinne bildet sich, wenn überhaupt, nur innerhalb einer Gruppe von Hunden oder Wölfen aus, die auf engem Raum unfreiwillig zusammen leben. So wurden in Wolfsgehegen Dominanzstrukturen und teilweise aggressives Verhalten beobachtet, was aber keinerlei Aussagekraft in Bezug auf das Normalverhalten von Wölfen hat, da die Tiere dort unter unnatürlich stressigen Bedingungen leben und sich nicht aus dem Weg gehen können. In freier Wildbahn ist dieses Verhalten nicht zu beobachten. Und es ist erst recht nicht auf das Verhalten unserer Haushunde, die einzeln oder mit wenigen Artgenossen mit uns Menschen zusammen im Haus leben, übertragbar.
Beim Territorialverhalten haben wir es nun auch nicht mit einer Interaktion innerhalb einer sozialen Gruppe zu tun, sondern Territorialverhalten wird gegenüber Außenstehenden gezeigt, die eben nicht zur eigenen sozialen Gruppe gehören. Somit schließen sich schon von der Definition her Dominanzverhalten (nach innen) und Territorialverhalten (nach außen) aus.
Territorialverhalten definiert sich durch die Verteidigung des Reviers, des Zuhauses, des Heims gegenüber fremden Eindringlingen. Es beinhaltet oft aggressive Kommunikation, die dem Zweck dient, die Fremden aus dem eigenen Revier fernzuhalten und die eigenen Aufenthaltsrechte zu wahren. Sie dient aber nicht dem Zweck, einen wie auch immer gearteten sozialen Status zu demonstrieren, denn das wäre bei der Verteidigung des Zuhauses schlicht irrelevant.
Selbstsicherheit ist eine Charaktereigenschaft, Dominanz hingegen nicht.
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