Betreten verboten!. Inga Jung

Betreten verboten! - Inga Jung


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ein Hund genau erhält, wenn er eine Urinmarkierung untersucht, ist uns Menschen immer noch nicht komplett klar, weil diese Welt der Hunde uns mit unserer begrenzten Wahrnehmungsfähigkeit schlichtweg verschlossen ist.

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      Das Markieren und die damit verbundene Kommunikation mit anderen sind dem Hund ein Bedürfnis.

      Wenn ein Hund am Wegesrand markiert, dann ist das nicht nur eine reine Besitzanzeige, wie wir Menschen mit unserer eingeschränkten Wahrnehmung lange Zeit geglaubt haben, sondern weit mehr als das. Es ist ein differenzierter Informationsaustausch mit anderen Hunden über den Weg der geruchlichen Kommunikation. Ähnlich wie wir mit anderen Menschen über die Distanz telefonieren, so kommunizieren Hunde mit anderen Hunden über ihre Markierungen.

      Ein Hund drückt durch seine Urinmarkierung aus, dass er an diesem Ort war und dass er ein Recht hat, sich an diesem Ort aufzuhalten – dies ist der Hauptgrund, warum schüchterne Hunde selten markieren und sich manchmal sogar gar nicht trauen, sich draußen zu erleichtern. Es kann so weit gehen, dass diese Hunde ihr kleines und großes Geschäft nur im eigenen Haus oder Garten erledigen. Denn wer draußen keine Spuren hinterlässt, der wird so wenig wie möglich von anderen Hunden wahrgenommen. Er hat allerdings auch keine Berechtigung, sich in dem Gebiet aufzuhalten. Häufig sieht man dieses Phänomen bei sehr unsicheren Hunden, die neu in eine Gegend gezogen sind, in der bereits andere Hunde leben.

      Neben der Botschaft „ich war hier“ wird die Botschaft „ich darf mich hier aufhalten“ durch häufige Markierungen unterstrichen. Werden bestimmte Dinge oder befreundete Menschen und Tiere markiert, drückt das ein Zusammengehörigkeitsgefühl aus. „Wir gehören zusammen, denn wir riechen gleich“ ist Ausdruck einer Kommunikation nach außen. Weniger wichtig ist hierbei der Ausdruck der Besitzanzeige, er spielt aber in manchen Konstellationen auch eine Rolle, zum Beispiel wenn ein Hund sein eigenes Spielzeug markiert.

       Die Kommunikation mit Artgenossen über Geruchsbotschaften ist für Hunde ebenso bedeutend wie für uns das Gespräch mit unseren Mitmenschen.

      Mit jeder Urin- und Kotmarkierung hinterlässt ein Hund seine komplette Visitenkarte inklusive Gesundheitszeugnis und Statusanzeige seines hormonellen Zyklus. Das erklärt, warum selbstbewusste Hunde häufig öfter und an höher gelegenen (und dadurch besser durch andere Hunde auffindbaren) Stellen markieren als schüchterne Hunde. Außerdem ist es natürlich eine Frage, wie wichtig einem die Botschaft, die eine Markierung übermittelt, ist, und hier sind wir wieder beim Thema Territorialverhalten angekommen. Denn natürlich ist es einem Hund, der territorial denkt und Wert darauf legt, dass die Hunde der Umgebung ihn in seinem Revier und seinem Streifgebiet wahrnehmen, wichtiger, viele Markierungen zu hinterlassen. Ein Hund, der mit allen anderen Hunden nur spielen will und jeden in seinem Haus als Freund willkommen heißt, legt einfach weniger Wert darauf, dass alle wissen, wo genau er seine Reviergrenzen ansetzt. Vielleicht weiß er das selbst nicht so genau, weil es ihm nicht viel bedeutet.

      Die Analyse einer Kot- und Urinmarkierung ist für den Hund anstrengend. Je älter ein Hund wird, desto schwieriger wird es für ihn in der Regel, die Düfte zu analysieren und einzuordnen, weil das Riechvermögen im Alter abnimmt. Deshalb brauchen alte Hunde – und übrigens oft auch kurzschnäuzige Hunde, die durch die Deformation ihres Kopfes häufig mit Einschränkungen des Riechvermögens und Atemnot zu kämpfen haben – länger für die Analyse von Duftmarken als jüngere Hunde. Das Schnüffeln auf dem Spaziergang ist geistige Auslastung in ihrer natürlichsten Form. Ein Hund, der auf einem langsamen Spaziergang ausgiebig geschnüffelt hat, wird danach erschöpfter und zufriedener sein als ein Hund, der die gleiche oder gar eine längere Strecke am Fahrrad mitgelaufen ist, dabei aber nicht anhalten durfte. Möchten Sie Ihrem Hund die Möglichkeit geben, sich geistig zu betätigen, Erfahrungen zu sammeln und seelisch zu reifen, dann geben Sie ihm täglich die Möglichkeit zu schnüffeln, statt ihn immer weiterzuziehen. Er wird es Ihnen mit mehr Zufriedenheit und Ausgeglichenheit danken.

      Das Markieren ist wichtig für unsere Hunde. Insbesondere für territorial denkende Hunde ist es Ausdruck ihrer Persönlichkeit und Teil ihres Weltbildes. Dennoch müssen wir natürlich Rücksicht auf unsere Mitmenschen nehmen. Es sollte sich eigentlich von selbst verstehen, dass wir darauf achten, wo unsere Hunde ihre Markierungen hinterlassen. Am frisch in weißer Farbe gestrichenen Gartenzaun oder Garagentor unseres Nachbarn beispielsweise machen sich gelbe Flecken nicht besonders gut, und verständlicherweise kann das sogar einen Hundefreund auf die Palme bringen. Ich selbst war auch nicht besonders begeistert, als bei einer Veranstaltung ein – trotz der Bitte, die Hunde an der Leine zu lassen – frei herumlaufender Rüde meine Fototasche markierte. Das ist respektlos; nicht vom Hund, der es natürlich nicht besser weiß, sondern von seinem Menschen, der sich nicht um seinen Hund kümmert. Hier sind wir gefragt, darauf zu achten, dass die Markierungen unseres vierbeinigen Familienmitgliedes kein fremdes Eigentum beschädigen.

      Apropos fremdes Eigentum: Wenn Sie Besuch von befreundeten Hunden bekommen oder mit Ihrem Hund einen befreundeten Hund zu Hause besuchen, sollten Sie sich nicht wundern, wenn es dabei zu Markierverhalten kommt. Im Garten findet oft ein regelrechtes Wettpinkeln statt, und zwar nicht nur unter Rüden, sondern durchaus auch unter Beteiligung territorial motivierter Hündinnen. Und selbst im Haus kann es dazu kommen, dass ein Rüde oder eine ältere Hündin das Bein am Türpfosten heben, wenn es dort beispielsweise nach junger Hündin riecht. Die Verlockung ist in dem Fall einfach zu groß. Machen Sie dann kein großes Aufsehen darum, sondern halten den betreffenden Hund einfach gut unter Beobachtung und putzen die Stelle sorgfältig, damit nicht gleich der Nächste sich genötigt fühlt, dort ebenfalls zu markieren.

      Unsere Hunde setzen auch Kot als Markierung ab, und auch dieser trägt unglaublich viele Informationen in sich, die durch andere Hunde analysiert und ausgewertet werden. In menschlichen Augen ist Kot allerdings lediglich unhygienischer Unrat, und daher entfernen und entsorgen wir ihn selbstverständlich. Insbesondere dann, wenn er auf Privatgrundstücken gelandet ist, ebenso wie auf Straßen, Bürgersteigen und sonstigem öffentlichem Grund sind wir verpflichtet, den Hundekot wegzuräumen.

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      Nicht nur Rüden heben das Bein, um ihre Duftmarken optimal zu platzieren.

      Hat Territorialverhalten etwas mit den Sexualhormonen zu tun?

      Die Antwort auf diese Frage ist ein klares „Jein“. Denn es kommt ganz darauf an.

      Im Kernterritorium, also im Haus oder in der Wohnung, und hier insbesondere Menschen gegenüber, geht es mehr um Nutzungsrechte, genau wie bei uns Menschen auch. Sitzen wir abends gemütlich vor dem Fernseher, würde es uns sicher entsetzen, wenn irgendwelche wildfremden Menschen plötzlich hereinstampfen und unser Wohnzimmer als Durchgang benutzen würden. Das dürfen die nicht, das ist unser Wohnzimmer, die haben gefälligst draußen zu bleiben.

      So empfindet es auch ein territorial denkender Hund, wenn Fremde auf einmal ins Haus kommen und sich dann womöglich auch noch so verhalten, als seien sie bei uns zu Hause. Besonders wenn Handwerker mit ihrem Werkzeugkoffer anrücken und an unseren Gegenständen herummanipulieren, reagiert so manch ein Hund extrem alarmiert: Das können die doch nicht einfach machen, das sind unsere Sachen, irgendjemand muss diesem Treiben Einhalt gebieten!

      Mit Sexualhormonen hat das aber nichts zu tun.

      Anders stellt es sich Artgenossen gegenüber dar. Hier werden gegengeschlechtliche Hunde von einem territorial denkenden Hund meist eher toleriert als gleichgeschlechtliche, und da geht es tatsächlich auch um die sexuelle Konkurrenz und um Fortpflanzungspartner. Bei vielen Hunden bilden Kern- und Außenterritorium einen Ausnahmeraum, in dem auch gegengeschlechtliche Hunde nicht toleriert werden, andere sind hier freizügiger. Im Streifgebiet hingegen ist es grundsätzlich so, dass gegengeschlechtliche Hunde eher akzeptiert werden. Wenn nicht, dann hat diese gegenseitige Abneigung in der Regel andere Gründe als eine territoriale Motivation.

      Insbesondere der Faktor Unsicherheit spielt hier eine wichtige Rolle, der natürlich auch gemeinsam mit territorialem Denken auftreten kann und


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