Betreten verboten!. Inga Jung
ausgeprägtes Territorialverhalten zeigt, nämlich indem man ihn zahlreiche positive Erfahrungen mit ihm bis dato unbekannten Besuchern sammeln lässt. Andersherum wird die Wahrscheinlichkeit, dass sich das territoriale Verhalten des Hundes stärker ausprägt, erhöht, wenn er in der Gemeinschaft mit anderen Hunden aufwächst, die sich deutlich territorial verhalten, und wenn er im Laufe seiner Jugendzeit zu wenige Erfahrungen mit Besuchern sammeln kann. Die Ausprägung, die das Territorialverhalten beim erwachsenen Hund haben wird, ist also keineswegs genetisch festgelegt, sondern zumindest beim jungen Hund noch durchaus modifizierbar. Ob er aber generell die Veranlagung zu territorialem Denken hat oder nicht hat, steht bei seiner Geburt bereits fest.
Was wird verteidigt?
Man unterscheidet zwischen dem Kernterritorium, dem Außenterritorium und dem Streifgebiet. Bei den meisten im Haus lebenden Hunden teilt sich dies wie folgt auf:
•Zum Kernterritorium gehören, soweit vorhanden, das Innere des Hauses / der Wohnung sowie meist auch das Innere des Autos.
•Zum Außenterritorium zählen der Garten bzw. die direkte Umgebung des Hauses / der Wohnung (im Mehrfamilienhaus z. B. häufig auch das Treppenhaus) sowie die direkte Umgebung des Autos.
•Zum Streifgebiet zählen alle regelmäßig besuchten Spaziergehwege, insbesondere die in der Nähe des eigenen Hauses gelegenen.
Die Bereitschaft eines Hundes, etwas oder jemanden zu verteidigen, richtet sich grundsätzlich nach dem Wert, den dieser Gegenstand oder diese Person für ihn hat.
Das Kernterritorium wird besonders vehement verteidigt.
Daraus lässt sich logisch schlussfolgern, dass das Kernterritorium meist mit der stärksten Intensität verteidigt wird, während die Verteidigungsbereitschaft im Außenterritorium schon etwas sinkt und im Streifgebiet noch geringer wird.
Dennoch ist es individuell sehr unterschiedlich, wie wichtig einem Hund die Bereiche sind, die zu seinem Territorium gehören und welche Prioritäten er setzt. Kern- und Außenterritorium werden von den meisten territorial motivierten Hunden auch gegenüber Menschen verteidigt, während sich territoriales Verhalten im Streifgebiet des Hundes immer nur gegen andere Hunde richtet. Doch gibt es auch innerhalb dieser allgemein gehaltenen Regeln deutliche individuelle Unterschiede, und jeder Hund muss nach seinem eigenen Maßstab betrachtet werden:
Es kann zum Beispiel sein, dass ein Hund den Innenbereich seines Hauses gegen alle Menschen und Hunde verteidigt, den Garten nur noch gegen Hunde und fremde Menschen und das Streifgebiet nur noch gegen Hunde.
Ein anderer Hund verteidigt den Innenbereich seines Hauses sowie den Garten nur gegen fremde Menschen und gleichgeschlechtliche Hunde, während er bekannte Menschen und gegengeschlechtliche Hunde freundlich begrüßt. Im Streifgebiet ist er gleichgeschlechtlichen Hunden gegenüber distanziert und freut sich überschwänglich über jeden gegengeschlechtlichen Hund und jeden Menschen.
Der „alte Herr“ passt sonst gut auf sein Grundstück auf, aber der jungen Hündin kann er nicht widerstehen.
Der dritte Hund verteidigt den Innenbereich des Hauses gegen alle Hunde und Menschen, im Garten ist er Menschen gegenüber distanziert, aber er lässt sie in Ruhe. Den Garten verteidigt er gegen fremde Hunde, freut sich aber über den Besuch von Hundefreunden. Im Streifgebiet ist er allen Hunden und Menschen gegenüber aufgeschlossen, abgesehen von dem Rüden, der direkt nebenan wohnt und den er auf den Tod nicht ausstehen kann.
Alle drei Hunde aus diesen Beispielen denken und handeln territorial, sie setzen aber unterschiedliche Prioritäten und sind auch unterschiedlich gesellig. Das ist eine Frage des Charakters, der Vorerfahrungen und der Individualentwicklung eines Hundes. Wie alle Verhaltensweisen ist auch Territorialverhalten eine sehr spezifische Angelegenheit, bei der man sich stets das Individuum anschauen und überlegen muss, was für diesen Hund im Einzelnen wichtig ist und wo man als Mensch gegebenenfalls aufpassen sollte.
Lebt ein Hund von Anfang an in einem Mehrfamilienhaus, dann ist es durchaus möglich, dass sein Territorialverhalten nicht so stark zum Ausdruck kommt, da außerhalb der eigenen Wohnung zu viele Menschen und gegebenenfalls auch Hunde unterwegs sind, mit denen er sich das Treppenhaus und alle Wege um das Haus herum teilen muss. Manche dieser Hunde verteidigen ausschließlich die eigene Wohnung. Dann ist es manchmal überraschend, wenn der Hund nach dem Umzug in ein freistehendes Einfamilienhaus auf einmal auch in der Umgebung des Hauses ein ausgeprägtes Territorialverhalten an den Tag legt, denn dort sind die Grenzen nach außen endlich klar definiert.
Das ist aber nicht immer der Fall. Es gibt auch Hunde, die in einer Mietwohnung jedes Geräusch im Treppenhaus und auf dem Gehweg vor dem Haus wahrnehmen und als potenziellen Eindringling melden. Für diese Hunde und ihr gesamtes Umfeld kann das Leben in so einer Wohnung recht anstrengend werden.
Es gibt noch einen weiteren Bereich, den viele Hunde als dem Kernterritorium zugehörig betrachten, und zwar das Auto. In diese Kategorie können selbstverständlich auch Wohnwagen oder Wohnmobil fallen. All das sind sozusagen mobile Wohnungen, die von den meisten Hunden ebenso hoch bewertet werden wie das standortfeste Zuhause. Und was hoch bewertet wird, das wird im Zweifel auch entsprechend vehement verteidigt. Lebt man mit einem territorial denkenden Hund zusammen, sollte man sich nicht wundern, wenn der Hund hinten auf der Rückbank ausrastet, sobald ein für ihn Fremder ins Auto steigt. Er weiß ja nicht, dass wir uns mit dieser Person für einen gemeinsamen Ausflug verabredet haben. In seinen Augen ist es einfach ungeheuerlich, dass sie so dreist ist, sich in unser mobiles Zuhause zu setzen. Wenn das alle tun dürften, wo kämen wir denn da hin …!
Parkt das Auto auf einem gut besuchten Parkplatz, dann kann es gut sein, dass der Hund darin jedes Mal zu toben anfängt, wenn ein Passant an dem Auto vorbeigeht. Es gibt aber auch Hunde, die ganz genau darauf achten, wohin die vorbeigehenden Leute schauen und nur dann loslegen, wenn diese einen Blick ins Auto werfen oder es gar wagen, ihre Hand dem Türgriff zu nähern.
Camping mit einem territorial motivierten Hund kann schwierig werden. Insbesondere dann, wenn er die Umgebung zunächst für sich hatte und nach ein oder zwei Tagen auf einmal auf einem der Nachbarstellplätze ein weiterer Hund auftaucht. Das kann unter Umständen richtig böses Blut geben, denn der Nachzügler hat aus Hundesicht überhaupt nicht das Recht, sich einfach so nebenan in dem bereits deutlich als Außenterritorium unseres Hundes markierten Bereich einzunisten. Eine Frechheit sondergleichen.
Dasselbe kann einem übrigens auch zu Hause passieren, wenn in der Nachbarschaft eines territorial denkenden Hundes ein neuer Hund einzieht.
Manche Hunde fangen nach kurzer Zeit an, jeden Ort, an dem sie sich eine Weile aufgehalten haben, nach außen zu verteidigen. Man könnte sagen, sie „ziehen einen imaginären Gartenzaun“, denn es ist wirklich so, dass sie dann um sich herum im Geiste eine Linie ziehen, die niemand übertreten darf, der nicht die Befugnis dazu hat.
Das kann schon mal zu peinlichen Situationen führen, wenn man zum Beispiel mit seinem Hund auf einer Parkbank eine Pause einlegt und ein nichtsahnender Passant sich daneben setzen möchte. Oder wenn der Hund im Restaurant unter dem Tisch hervorschießt, um diesen gegen den heraneilenden Kellner zu verteidigen.
Wie man sich in den hier geschilderten Situationen verhalten sollte und wie man sie entschärfen kann, beschreibe ich ausführlich im Praxisteil dieses Buches.
Wie sieht ein territorial denkender Hund die Welt?
Um als Mensch, der mit einem territorial denkenden Hund zusammenlebt, vorausschauend agieren zu können und Probleme zu vermeiden, muss man wissen, wie der Hund die Welt sieht. Ganz wichtig für diese Hunde sind Grenzen – sowohl verschwommene Grenzen als auch fest definierte Grenzlinien.
Nehmen wir zum Beispiel die Haustür. Das ist eine fest definierte Grenze. Geht ein Besucher einfach so durch diese