DIE BÃœCHSE DER PANDORA (Die Ritter des Vatikan 4). Rick Jones

DIE BÃœCHSE DER PANDORA (Die Ritter des Vatikan 4) - Rick Jones


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      Aber all das störte ihn nicht. Für ihn war das nur ein Ort, an dem er sich aufs Ohr hauen konnte.

      Er zog das Messer aus seiner Tasche, drückte auf den Knopf und sah zu, wie die Klinge herausfuhr. Das Metall war sauber und auf Hochglanz poliert. Aber es war kein sehr gut gefertigtes Messer. Eher wie eines, dass man drüben in Tijuana herstellte und dann über die Grenze schmuggelte.

      Er warf das Messer auf die Kommode, nahm eine schnelle Dusche und fühlte sich erfrischt und wie neu, als er ins Bett ging. In den meisten Nächten lag er einfach nur da und sah Nachrichten, und nicht selten schaltete er mit seiner Fernbedienung im Sekundentakt zwischen den Kanälen hin und her.

      Aber in dieser Nacht wollte er einfach nur im Dunkeln daliegen und über das nachdenken, was Louie zu ihm gesagt hatte, dass er in Kimballs Augen den Kampf lodern sehen konnte, was Kimball sich fragen ließ, ob sein Schicksal wirklich vorbestimmt war. Der Hinterhalt in der Gasse schien das zu bestätigen. Der »Kampf« schien für ihn stets greifbar zu sein, egal wie sehr er auch versuchte, ihn zu vermeiden.

      Ohne Louies Worten und den Bildern des Handgemenges in der Gasse, die ihm durch den Kopf gingen, hätte er sicher den Fernseher eingeschaltet. Und dann hätte er erfahren, dass Papst Gregor bei einem Sturz von seinem Balkon ums Leben gekommen war.

      Was für ein Tag.

      Kapitel 5

       Moskau, Russland

      Der Mann war um die sechzig, bewegte sich jedoch wie jemand, der weitaus älter war. Mit einem Gehstock in der einen und einem kleinen Beutel mit Brot und Eiern in der anderen Hand lief der alte Mann die kalten Straßen Moskaus entlang. Der Himmel über ihm war grau, so wie er stets grau zu sein schien, wenn der Mann mühsam zu seinem Apartment im dritten Geschoss des Wohnkomplexes zurückkehrte. Jeden Tag erwies sich die Reise die vielen Stufen hinauf als noch schwieriger für seine immer schwächer werdenden Beine.

      Wenn seine Beine eines Tages aufgaben, so dachte er bei sich, würde er es ihnen gleich tun.

      Später würde er sich mit einer Flasche Wodka ans Fenster setzen und besinnungslos trinken und seine letzten Gedanken würden in den Zeiten des Kalten Krieges schwelgen, als er noch von Wichtigkeit gewesen war. Nun, da die Mauern eingestürzt und der Kommunismus nichts weiter als ein Nachsatz in der Geschichte war, war aus dem alten Mann eine soziale Last geworden, der mit einer mageren Sozialhilfe von umgerechnet vierhundert Dollar im Monat über die Runden zu kommen versuchte. Nicht selten verbrachte er mehrere Tage des russischen Winters, ohne die Heizung einzuschalten, weil er nicht genug Rubel besaß, um die Rechnungen bezahlen zu können.

      Aber irgendwann hatte sich der alte Mann an dieses Leben angepasst und fand Wärme und Trost im Alkohol und den Erinnerungen an bessere Zeiten.

      Er stieg weiter die Treppenstufen zu seinem etwa dreißig Quadratmeter großen Apartment hinauf, wobei er nach jeder vierten oder fünften Stufe eine Pause einlegen musste, um zu Atem zu kommen.

      In der Wohnung angekommen, legte er die Eier in den Kühlschrank und das Brot auf die Anrichte, und dann lehnte er sich gegen das schmutzverkrustete Waschbecken, um wieder zu Kräften zu kommen.

      »Du wirst langsam alt, Leonid«, sagte er zu sich selbst. »Nicht mehr lange, bis man dem alten Hund den Gnadenschuss geben wird.«

      Der alte Mann nahm seinen Schal ab, zog seine Jacke aus und legte beides auf dem wackligen Küchentisch ab. Dann schlurfte er zu seinem abgenutzten Sessel, der vor einem Fenster stand, welches den Blick hinaus auf den Roten Platz freigab. Das war seine Komfortzone. Nur er, seine Erinnerungen und eine Flasche des billigsten Wodkas, den er sich leisten konnte. Doch der Sessel stand nicht mehr vor dem Fenster und die Vorhänge waren zugezogen, was selbst das triste Licht jenes wolkenverhangenen Tages zurückhielt.

      Der alte Mann blieb stehen und sein Herz begann wild in seiner Brust zu rasen. »Wer ist da?«

      Irgendwo dort im Schatten saß ein Mann in dem Sessel des alten Mannes, der für Sakharov beinahe so etwas wie ein Heiligtum darstellte. Er war im Dunkeln nicht näher zu erkennen, besaß keine genaue Form oder Kontur.

      »Ich bin gekommen, um Ihnen Ihren Respekt zurückzubringen«, erklärte der Schatten schlicht. »Um Ihnen all die Jahre des Ruhmes und des Erfolges zurückzubringen.«

      Der alte Mann erkannte die Stimme sofort, schnalzte angewidert mit der Zunge und winkte abweisend ab. Der mittelöstliche Akzent und der singende Tonfall in der Stimme des anderen verrieten Leonid, dass er Adham Ghazi vor sich hatte, jemanden, den er unter keinen Umständen erwartet oder zu sehen gewünscht hatte.

      »Sie kommen einfach unangemeldet in meine Wohnung und erschrecken einen alten Mann fast zu Tode. Was stimmt denn bloß nicht mit Ihnen?«

      Ghazi schwieg.

      »Sagen Sie, was Sie zu sagen haben, Ghazi, und dann verschwinden Sie.«

      Ghazi blieb regungslos sitzen, ein tiefschwarzer Umriss. Dann sagte er: »Mein Badezimmer im Iran ist größer als diese Wohnung. Und dort riecht es auch besser. Es ist eine Schande, dass ein Mann mit Ihren Talenten gezwungen ist, unter solchen Bedingungen zu leben.«

      »Wenn Sie den ganzen Weg bis hierher gekommen sind, nur um mir zu sagen, dass Ihre Scheiße nicht stinkt, dann verschwenden Sie nur Ihre Zeit.«

      »Immer noch der alte Hitzkopf, wie ich sehe. Das ist gut.«

      »Was wollen Sie, Ghazi?«

      Der Araber stand auf und trat ins Licht. Er trug einen teuren, maßgeschneiderten Nadelstreifenanzug und eine dazu passende Seidenkrawatte, ganz anders als sein Gewand in Syrien, wie etwa die schwarze Kapuzenrobe. Sein Bart war perfekt getrimmt, kein einzelnes Haar an seinem Kinn war zu lang oder außer Form gebracht. Für Leonid sah er wie aus Stein gemeißelt aus.

      »Ich will Ihnen Ihre ruhmreichen Zeiten zurückbringen«, sagte Ghazi und verschränkte die Hände hinter seinem Rücken. »Ich kann Ihnen etwas geben, das Russland nicht kann.«

      Der alte Mann winkte erneut ab. »Unmöglich«, sagte er. »Der Zug ist längst abgefahren und Mütterchen Russland ist Geschichte.«

      »Vielleicht. Aber ein neuer Zug ist eingetroffen.« Ghazi griff in die Tasche seines Anzugs, holte einen dicken Umschlag hervor und legte ihn auf die Küchenzeile. Leonid Sakharov musste nicht fragen, was er enthielt. »Das ist nur der Anfang, mein Freund. Wenn Sie fertig sind, werden Sie ein Leben in Luxus leben können. Das garantiere ich Ihnen.«

      Leonid Sakharov starrte den Umschlag an und weigerte sich, irgendein Zugeständnis zu machen, indem er ihn aufhob.

      »Russland mag Sie vergessen haben«, ergänzte Ghazi, »meine Leute jedoch nicht.«

      »Ihre Leute? Soweit ich das richtig verstehe, meinen Sie damit die al-Qaida.«

      »Wie ich sehe, haben Sie mich im Auge behalten. Nichtsdestotrotz können meine Leute Sie wieder zu dem machen, der Sie einmal waren. Nie wieder in dieser Rattenfalle von einem Stuhl dahinvegetieren und wehmütig auf den Roten Platz hinausstarren, während Sie diesen Fusel in sich hineinschütten. Es sei denn, dass Sie auf diese Weise enden wollen. Als hasserfüllter Trinker, den außer einer billigen Flasche Wodka jeden Morgen nichts mehr am Leben hält.«

      »Was geht Sie das an? Vielleicht bin ich ja gern ein hasserfüllter Trinker, den außer einer billigen Flasche Wodka jeden Morgen nichts mehr am Leben hält«, äffte Leonid seinen Besucher nach.

      Ghazi lächelte. »Sie sind so viel besser als das«, erklärte er ihm. »Und tatsächlich weiß ich, Leonid, dass Sie das selbst nicht glauben. Sonst würden Sie nicht jeden Tag aufstehen und den Erinnerungen an frühere Tage nachhängen. Sie wollen wieder dort sein, nicht wahr? Ihrem Tagesgeschäft nachgehen und gebraucht werden.«

      Der alte Mann sah zu Boden. Ghazi hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Er mochte ein müder alter Mann sein, aber Ghazi hatte recht mit seiner Vermutung, dass er jeden Tag in einem Schleier der Trunkenheit verbrachte, weil das diese Welt für ihn ein wenig erträglicher


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