DIE BÃœCHSE DER PANDORA (Die Ritter des Vatikan 4). Rick Jones

DIE BÃœCHSE DER PANDORA (Die Ritter des Vatikan 4) - Rick Jones


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      »Ich bin sicher, das ist wie Fahrradfahren.«

      Der alte Mann humpelte zu einem fleckigen Sofa, aus dem bereits aus Rissen im Stoff das Füllmaterial quoll, und ließ sich darauf fallen. »Wieso?«

      Ghazis Lächeln wollte scheinbar nicht mehr verschwinden. »Wissen Sie, was sich wirklich in der Bundeslade befand?«, fragte er.

      »Interessiert mich einen Scheiß.«

      »Kein Mann des Glaubens, ich verstehe.«

      »Das ist in Russland kaum jemand«, sagte Leonid knapp. »Das blieb alles ein wenig auf der Strecke, als Stalin an die Macht kam.«

      »Ja, natürlich.«

      »Also noch mal«, begann Leonid. »Wieso?«

      »Die Bundeslade«, erklärte Ghazi, »enthielt angeblich fünf Gegenstände: Die beiden Tafeln mit den Zehn Geboten, einen Topf voll Manna, den Stab des Aaron und einen weiteren Gegenstand, den man erst dann sehen oder hören kann, wenn es zu spät ist.«

      Es verging eine gewisse Zeit, in der sich die beiden Männer gegenseitig nur stumm musterten. Schließlich sagte Leonid: »Falls Sie es nicht bemerkt haben: Ich bin ein alter Mann und habe nicht mehr viel Zeit. Also kommen Sie zum Punkt!«

      »Es heißt, wenn die Lade geöffnet wird, würden all jene, die nicht von Gott ausgewählt wurden, durch die Hand von Dämonen sterben, die in ihr verborgen sind.«

      Sakharov seufzte, und Ghazi merkte, dass der alte Mann die Geduld verlor.

      »Alles, was Sie tun müssen, Leonid, ist das, was Sie am besten können.«

      »Im Moment wäre das, mich zu betrinken.«

      »Sie wissen, wovon ich spreche.«

      »Um ehrlich zu sein, weiß ich das nicht.«

      Ghazi beugte sich ein wenig nach vorn. »Vor ein paar Tagen ist meine Gruppe in den Besitz der Bundeslade gelangt und der Deckel wurde geöffnet.«

      »Sie sagen, Sie haben die Lade gefunden?«

      »Die echte Bundeslade, ja.«

      »Und lassen Sie mich raten; es waren Dämonen darin, richtig?«

      »Keine Dämonen«, gab Ghazi zu. »Ein weiterer Trugschluss, wie ich glaube.«

      »Und was haben Sie damit vor?«, fragte Leonid. »Sie an den Höchstbietenden verscherbeln? An die Katholiken, oder die Juden, oder die Muslime, wer immer die tiefsten Taschen hat, damit Sie damit weiter Ihre Terroranschläge finanzieren können?«

      Ghazis Lächeln trübte sich ein wenig. Der alte Mann ging ihm langsam auf die Nerven. »Nichts dergleichen«, antwortete er kühl. »Ich habe eine andere Verwendung dafür.«

      »Und die wäre?«

      »Eine biblische Prophezeiung zu erfüllen, an die so viele glauben«, erwiderte er.

      »Und wie lautet diese? Nicht, dass es mich wirklich interessieren würde.«

      »Die Prophezeiung besagt, dass die Bundeslade den Dritten Weltkrieg einleiten könnte. Dass sich die religiösen Gruppen für diese Kiste aus Akazienholz und Gold ohne nachzudenken in einen Krieg begeben würden, nur des reinen Besitzes wegen.«

      »Müsste diese historische Nostalgie aber nicht auch für Sie gelten? Schließlich sind Sie ein Moslem.«

      »Allahs Wunsch ist es zuallererst, alle Ungläubigen auszulöschen. Diese Lade kann als Auslöser dienen, das zu erreichen.«

      Leonid legte den Kopf schräg und blinzelte. »Sie wollen einen Krieg beginnen?«

      »Vielleicht keinen Krieg«, sagte Ghazi, »aber eine Möglichkeit, all jene zu zerstören, welche die Lehren Allahs nicht unterstützen wollen. Wenn ein Krieg ausbricht, dann ist das Allahs Wille.«

      Der alte Mann zuckte zurück, wenn auch nur ein wenig. »Sie sind ja total durchgeknallt«, sagte er schließlich.

      »Religion ist ein heikles Thema«, erläuterte Ghazi weiter. »Die Menschen sind dem Konzept ihres eigenen Gottes so treu ergeben, dass sie leicht wütend werden, sobald es jemand wagt, sich gegen ihre Religion auszusprechen. Aber was wäre, wenn sie nicht in den Besitz von etwas gelangen könnten, dass nach ihrem Glauben rechtmäßig ihnen zusteht, Leonid? Die Feindseligkeiten würden zunehmen, die Gemüter würden sich erhitzen und die Kämpfe beginnen. Und wofür? Für eine goldene Kiste?« Ghazi musterte den alten Mann für einen Moment, bevor er weitersprach: »Jeden Tag sterben Menschen im Namen der Religion«, fügte er hinzu. »Und für sehr viel weniger.«

      In einer fließenden Bewegung riss Ghazi die Vorhänge auf, sodass der alte Mann auf Moskau hinausschauen konnte.

      Leonid kaute vorsichtig auf seiner Unterlippe herum, dann sah er auf den Roten Platz und die Türme der Basilius-Kathedrale hinaus. Er vermisste sein altes Leben – vermisste, was er einmal besaß. Ghazi schien seine Gedanken zu erraten.

      »Kommen Sie mit mir«, spornte er ihn an. »Holen Sie sich zurück, was Russland Ihnen genommen hat. Werden Sie wieder zu jemandem, der etwas verändern kann.«

      Der etwas verändern kann. Dieser einfache Satz verfehlte seine Wirkung auf den alten Mann nicht. Die Worte gingen ihm immer wieder durch den Kopf, während er schweigend dasaß und offensichtlich mit sich selbst haderte.

      Und dann, nachdem er Ghazi einen Seitenblick zugeworfen hatte, fragte er: »Was soll ich für Sie tun?«

      Ghazis Lächeln blühte wieder auf, während er sich nah an Leonid heranbeugte. »Ich möchte von Ihnen nur eine einzige Sache, Leonid.«

      »Und die wäre?«

      »Ich möchte, dass Sie die Dämonen wieder zurück in die Kiste packen.«

      Der alte Mann wusste genau, wovon Ghazi sprach.

      Kapitel 6

       Irgendwo über dem Atlantik

      Kardinal Bonasero Vessucci saß in der Economy Class und sah durch das Fenster auf den Ozean unter ihm hinab. Weiße Gischt trieb auf Wellen entlang, welche in ihrer stahlgrauen Färbung dem bewölkten Himmel entsprachen, und von draußen prasselte Regen gegen das Fenster, während das Flugzeug am Rand von Turbulenzen dahinritt.

      In den letzten Stunden hatte er über vieles nachgedacht, insbesondere über jene Momente, in denen er neben Papst Pius XIII. auf dem päpstlichen Balkon gestanden und mit ihm über viele Dinge beratschlagt hatte, zumeist an sonnenklaren Tagen mit einem strahlend blauen Himmel. Aber um eine Sache kreisten seine Gedanken besonders: Die steinerne Brüstung, welche den Balkon umgab.

      Sie war kunstvoll gefertigt worden, das Mauerwerk beinahe anderthalb Meter hoch, was höher als die meisten anderen Geländer war, um als Sicherheitsmerkmal die Benutzer davor zu bewahren, auf das Kopfsteinpflaster darunter zu stürzen.

      Wieso also hatte sich Papst Gregor so weit über die Brüstung gelehnt, dass er das Gleichgewicht verlor und fiel, und das auch noch so früh am Morgen? Hatte er jemanden unten vor dem Balkon stehen sehen?

      Gedankenverloren rieb er sich übers Kinn. Die Möglichkeit bestand, sinnierte er. Der Mann konnte auch selbst über die Brüstung geklettert sein, um sich danach und als Schande vor Gott willentlich hinunterzustürzen, aber diesen Gedanken verwarf Bonasero sofort wieder. Oder man hatte ihn gestoßen. Doch auch da blieben Zweifel angebracht, denn das hätte bedeutet, dass Gregor ermordet worden war.

      Dennoch nagte da etwas an ihm, irgendwo unter der Oberfläche, obwohl die einhellige Antwort der untersuchenden Stellen lautete, dass es sich um einen furchtbaren Unfall handelte, und damit alle anderen Möglichkeiten von vornherein und ohne weitere Erklärungen ausschieden.

      In dem abschließenden Bericht würde also stehen, dass Papst Gregor durch die Folgen eines Sturzes ums Leben kam. Und das mochte sogar stimmen, überlegte Bonasero, zumindest bis zu


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