DIE BÃœCHSE DER PANDORA (Die Ritter des Vatikan 4). Rick Jones
er doch drahtig und kräftig, aber er verströmte stets eine Aura, die einem riet, sich besser nicht mit ihm anzulegen.
Er stand in der zweiten Kammer unter dem Tempelberg, wo mittlerweile mehrere Lampen auf Stativen aufgestellt worden waren, die den Raum mit Scheinwerferlicht erhellten. Um die zentrale Plattform herum, auf der sich der Stab Aarons und der goldene Kelch befanden, waren die neun Hüter der Bundeslade verteilt, deren Knochen die kaffeeartige Färbung gealterten Kalziums aufzeigten.
Paled, der nahe der Plattform stand und den anderen Anwesenden um sich herum bei der Arbeit zusah, hatte sein Kinn in seine Hand gestützt. Für ihn bestand keinerlei Zweifel, dass es sich bei der fraglichen Bundeslade um die wahre Lade handelte, schon allein deswegen, weil weder er noch die israelische Regierung Kenntnis von dieser Kammer besaßen und sie in keiner der bekannten Quellen Erwähnung fand.
Die ganze Zeit über hatte die Bundeslade, bewacht von ihren Hütern, direkt unter ihren Füßen gelegen, während sich alle zuvor entdeckten Laden in Nordafrika als Plagiate oder Nachbildungen herausgestellt hatten.
Wie die Araber sie finden konnten, war ihm ein Rätsel. Noch viel wütender aber machte Paled, dass dem Mossad eine direkte Nachricht der Araber zugestellt worden war, in der es hieß, dass sie nun im Besitz der Lade wären, und das sich der Beweis dafür direkt zu Füßen der Israelis befinden würde. Er verstand dies als Schlag ins Gesicht, als eine Geste dafür, dass ihnen die arabische Welt nun einen Schritt voraus war.
Wieso aber würden sie soweit gehen und sich der Bundeslade auf die Art bemächtigen, wie sie es getan hatten? Und wie konnten sie überhaupt von ihrem Versteck wissen?
Paled zweifelte keine Sekunde daran, dass die Radiokarbonuntersuchungen an dem Stab und den Knochen bestätigen würden, dass diese über dreitausend Jahre alt sein würden, wenn nicht sogar deutlich älter.
So sehr er auch darüber nachgrübelte, kam Paled einfach nicht dahinter, was die Araber im Schilde führten. Ganz offensichtlich hatten sie die Lade zu einem bestimmten Zweck entwendet. Der Grund dafür aber blieb ihm schleierhaft.
Könnte es ihnen um Geld gehen?, überlegte er. Vielleicht Lösegeldforderungen für die Bundeslade, um damit ihre terroristischen Aktivitäten finanzieren zu können? Al-Qaida war bekannt dafür, historische Antiquitäten auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen, um Geld für ihr Regime zu sammeln.
Das war die erste logische Idee, die ihm in den Sinn kam.
Aber es gab natürlich auch andere Möglichkeiten. Sie konnten die Lade auch dazu benutzen, jede Situation zu einem zentralen Streitthema zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften eskalieren zu lassen, welche dieses Artefakt für sich beanspruchten, und das konnte schnell zu erhitzten Gemütern führen, wenn man ihnen diesen Schatz verwehrte.
Die Juden, die Katholiken, die Muslime – jeder von ihnen hätte rechtmäßigen Anspruch auf die Bundeslade.
Paled rieb sich nachdenklich weiter über sein Kinn, während seine Mitarbeiter behutsam die Gebeine der Hüter einsammelten. Doch egal, wie vorsichtig sie auch zu Werke gingen, brachen die spröden Knochen immer wieder entzwei. Dann nahmen sie den Stab des Aaron an sich, platzierten ihn in einem Metallkoffer, der eigentlich für ein Gewehr gedacht war, und verschlossen ihn. Dies war fraglos ein umwerfend bedeutsamer Schatz. Aber der eigentliche Fund war natürlich die Bundeslade und die beiden Steintafeln darin. Wieso also ließen sie den Stab zurück?
»Wir sind hier so gut wie fertig«, sagte Jacob, einer der Mitarbeiter des Lohamah Psichlogit.
Paled versuchte noch einmal, einen logischen Grund für den Diebstahl zu finden, bevor er sich mit einem fragenden Gesichtsausdruck zu Jacob umdrehte. »Verraten Sie mir eines«, sagte er. »Wieso sollte jemand die Bundeslade entwenden, den Stab aber zurücklassen?«
Jacob zuckte mit den Schultern. »Um Lösegeld zu fordern?«
Paled schüttelte den Kopf. »Dann hätten sie den Stab ebenfalls mitgenommen und ihn für gutes Geld auf dem Schwarzmarkt verhökert, um damit ihre Sache zu finanzieren. Nein, ich glaube, das geht viel weiter. Ich glaube, sie haben etwas mit ihr vor.«
Jacob trat ein paar Schritte vor und dabei fielen ihm die Abdrücke der Füße der Lade auf, um die herum sich der Staub von dreitausend Jahren gesammelt hatte. »Haben Sie erste Vermutungen?«
Von denen hatte Paled einige, wenn auch nur schwach. »Als Mitglied des Lohamah Psichlogit, der die Dinge aus der Sicht der psychologischen Kriegsführung, der Propaganda und der Täuschung heraus sieht, glaube ich, dass sie die Lade als eine Art Waffe benutzen werden, ob nun psychologisch oder auf andere Weise.« Er trat auf die Plattform zu. »Sagen Sie mir, Jacob … was sehen Sie hier?«
Jacob zögerte, dachte nach. »Ich sehe die Araber, die unser eigenes Spiel gegen uns verwenden«, sagte er.
Paled nickte. »Und wenn sie dieses Spiel gut genug spielen …«, begann er, brachte den Satz aber nur in Gedanken zu Ende.
… dann könnten sie damit einen Krieg anzetteln, wie es ihn noch nie gegeben hat …
… und uns alle dabei vernichten.
Kapitel 3
Vatikanstadt, sehr früher Morgen
Aus den Augenwinkeln glaubte Papst Gregor XVII. einen flüchtigen Schatten durch die päpstlichen Gemächer huschen zu sehen.
Der Raum war dunkel, die hinteren Ecken und Winkel noch finsterer, und durch die offenen Türen, die zu dem Balkon hinausführten, fiel nur das dürftige Licht des Mondes herein. Eine schwache Brise aus Westen wiegte die Vorhänge sanft hin und her, eine anmutige Bewegung, so langsam und in sich ausgewogen, dass es den gesamten Moment wie einen Ausschnitt aus einem surrealen Traum wirken ließ. Und obwohl er die Brise spüren konnte, die in den Raum wehte, fühlte sein Geist sich weiter fiebrig und heiß an, und vielleicht war auch das der Grund, der ihn zu der Illusion führte, dass noch jemand anderes im Zimmer sei.
Trotzdem vergewisserte sich der Pontifex mit schwacher Stimme: »Ist da jemand?«
Stille.
Papst Gregor schlug seine Decke zurück, setzte sich auf und schwang seine Beine über den Rand des Bettes, bis seine nackten Fußsohlen den Marmorboden berührten.
Nach dem Tod Papst Pius XIII. war Gregor zu dessen Nachfolger ernannt worden und verrichtete bereits seit den letzten sechs Monaten sein Amt auf dem päpstlichen Thron. Unter seiner Führung regierte der Konservatismus, was ihn ein wenig von Pius liberalerem Standpunkt unterschied, nach dem sich die Kirche dem Willen der Massen durch Veränderungen und Reformen beugen müsse, weil auch die Welt sich jeden Tag veränderte. Gregor aber war der Überzeugung, dass sich die Menschen dem Willen Gottes beugen sollten, und nicht umgekehrt. Also begann das Pendel langsam wieder zu einer konservativeren Grundhaltung zurückzuschwingen, was natürlich erneut den Zorn einiger katholischer Bürger erregte.
Und obwohl er sich auch einiger Kritik aus den eigenen Reihen gegenübersah, galt er in seinem Kolleg als jemand, der auch bei Gegenwind nicht von seinem Standpunkt abwich, egal wie laut die gegnerischen Stimmen schreien würden.
Als Papst Gregor stand, fing die Welt um ihn herum an, sich zu drehen. Die Schatten schienen länger und lebendig zu werden, und diese Umrisse griffen nach ihm, versuchten ihn zurückzuziehen. Wahnvorstellungen eines verwirrten Geistes. Er taumelte, hielt inne, um sich festzuhalten, und schritt dann auf die Veranda zu, wo er von einem Windstoß empfangen wurde, der seine Haare wie die Mähne eines Pferdes nach hinten wehen ließ.
Vor ein paar Stunden noch war er so robust wie Atlas gewesen, hatte die gesamte religiöse Welt auf seinen breiten Schultern getragen. Doch jetzt fühlte er sich erstaunlich schwach und kaum dazu in der Lage, auch nur seine Hand zu heben.
Auch sein Magen brannte bei jedem langsamen Schritt, als würde er Magma verdauen. Und dann wurde sein gesamter Körper zu einem Haus des Schmerzes und wie ein Betrunkener taumelte er auf eine der Säulen neben der Verandatür zu und